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„Ewigkeitschemikalien“ vor dem Verbot?
Sie stecken fast überall drin: im Einweg-Kaffeebecher, in Textilien und Möbeln, im Kochgeschirr und sogar in der Zahnseide. PFAS sind eine Gruppe chemischer Substanzen, die der Mensch nutzt, weil sie das Leben erleichtern, dabei allerdings auch außerordentlich stabil und in der Natur kaum abbaubar sind. Zudem können sie Menschen, Tiere und Pflanzen schädigen. Die EU plant deshalb, PFAS, die man wegen ihrer Langlebigkeit auch „Ewigkeitschemikalien“ nennt, möglichst umfassend zu verbieten. Doch Ersatzstoffe zu entwickeln, ist oft schwierig, weshalb sich die Industrie vehement gegen ein Verbot wehrt.
In Pizzakartons und Implantaten
Das Kürzel PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, eine Stoffgruppe, die mehr als 10.000 verschiedene organische Verbindungen umfasst. Diese Substanzen, die in der Natur nicht vorkommen, bestehen aus Kohlenstoffketten, deren Wasserstoffatome ganz oder teils durch Fluoratome ersetzt wurden.
Es gibt kurz- und langkettige PFAS. Ihre Eigenschaften – sie sind wasser-, fett- und schmutzabweisend sowie chemisch und thermisch äußerst beständig – sind fast überall erwünscht. In Pizzakartons verhindern sie das Durchweichen der Pappe, in Löschschaum ermöglichen sie das Ersticken der Flammen, in Wärmepumpen zirkulieren sie als Kältemittel, in Implantaten sorgen sie für lange Lebensdauer. Eine Aufzählung, die nur einen kleinen Ausschnitt aus der Fülle der Anwendungen zeigt.
In Boden und Trinkwasser
Die Kehrseite: Gelangen diese Stoffe in die Umwelt, was vor allem bei Produktion und Entsorgung über das Abwasser und die Abluft von Fabriken und Deponien geschieht, reichern sie sich in der Natur an. PFAS lassen sich weltweit in Böden und im Trinkwasser nachweisen.
Zum Beispiel in Rastatt: In der Umgebung der 50.000-Einwohner-Stadt in Baden-Württemberg sind 480 Hektar ehemaliger Ackerflächen kontaminiert – vermutlich durch jahrelanges Düngen mit Kompost, dem mit PFAS verseuchte Schlämme aus der Papierproduktion beigemischt waren. Mit der Zeit wurden die Substanzen ins Grundwasser ausgewaschen, gelangten ins Trinkwasser und weiter ins Blut der lokalen Bevölkerung. Untersuchungen ergaben bei den jeweiligen Testgruppen deutlich erhöhte PFAS-Werte.
Leberschäden und Krebsgefahr
Ein Rechercheteam von ARD, WDR und Süddeutscher Zeitung hat in Deutschland über 1.500 mit PFAS belastete Orte identifiziert. Dazu passt eine Studie des Umweltbundesamtes, die belegt, dass bundesweit Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 15 Jahren zu hohe PFAS-Konzentrationen im Blut haben. Demnach waren alle der mehr als 1.100 Testpersonen mit PFAS belastet; über ein Fünftel von ihnen mit Konzentrationen, die den Schwellenwert der Kommission Human Biomonitoring überschritten. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung sei nicht auszuschließen, heißt es in der Studie.
PFAS und deren Zerfallsprodukte können der Europäischen Umweltagentur zufolge die Leber schädigen, die Fruchtbarkeit beeinträchtigen und Krebs auslösen. Sie reichern sich im menschlichen Körper an und können über die Muttermilch auf Babys übergehen. Einige PFAS sind wegen ihrer Giftigkeit und Umweltgefährlichkeit bereits seit Längerem verboten. Nun plant die EU, das Verbot auf die gesamte Stoffgruppe auszuweiten. Für besonders sensible Bereiche soll es jedoch Ausnahmen und Übergangsfristen von bis zu 13,5 Jahren geben. Zeit, um Alternativen zu entwickeln.
Aufwändige Ersatzstoff-Forschung
Zu Ersatzstoffen forschen auch die Institute der Fraunhofer-Gesellschaft. PFAS hätten in der Regel mehrere vorteilhafte Eigenschaften zugleich, erläutert Christoph Schäfers, der am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie den letzteren Bereich leitet: „Ein Ersatzstoff für nur eine Eigenschaft lässt sich vergleichsweise leicht entwickeln. Ein Komposit zu schaffen, das mehrere erwünschte Eigenschaften auf sich vereint, ist dagegen technisch aufwendig und kostspielig.“ Hinzu komme, dass der neue Stoff für die Umwelt harmlos sein müsse.
Deshalb warnen die deutschen Industrieverbände vor einem umfassenden Verbot. Insbesondere in der Medizintechnik und in Schlüsseltechnologien der Energiewende seien PFAS unentbehrlich, heißt es von Seiten der Industrie. Tatsächlich stecken PFAS sowohl in Prothesen, Herzschrittmachern und Narkosegeräten als auch in Wärmepumpen, Windrädern und Lithium-Ionen-Batterien.
Wärmepumpen-Alternative Propan
Teils gibt es bereits Ersatzstoffe, teils sind noch keine in Sicht. So lassen sich PFAS-Kältemittel in Haushaltswärmepumpen problemlos durch ungiftiges Propan ersetzen. In industriellen Großwärmepumpen ist das aufgrund von Brandschutzauflagen nur eingeschränkt möglich. Für manche Anwendungen in Batterien oder Windrädern gibt es noch gar keinen Ersatz.
Ein PFAS-Verbot werde kommen, ist Bernd Wille vom NABU-Bundesfachausschuss Umweltchemie und Ökotoxikologie überzeugt: „Aber, wie bei der EU üblich, mit vielen Ausnahmen.“ Etwa für Teflon – in der Medizintechnik ein zentraler Stoff: „Dafür Ersatzstoffe zu entwickeln, dauert sehr lange“, erläutert der gelernte Chemiker. Aber für solche Fälle seien die großzügigen Übergangsfristen gedacht. Das PFAS-Verbot könnte schon 2026 in Kraft treten – verbunden mit der Hoffnung, dass die Industrie bei der Suche nach Alternativen endlich in die Gänge kommt: „Der Teil der Industrie, der erkannt hat, dass wir von den fluorierten Verbindungen wegmüssen, braucht das Verbot für die Planungssicherheit. Der andere Teil braucht das Verbot damit er anfängt, sich zu bewegen.“
Hartmut Netz (Naturschutz heute, 4/23)
- PFAS-Broschüre des Umweltbundesamtes
- PFAS-Infos auf der Website des BFA Umweltchemie und Ökotoxikologie
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