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Jetzt NABU-Mitglied werden!Wo kommen plötzlich all die Taucher her?
Ornithologische Sensation an der Talsperre Kelbra
14. August 2012 - „Am Samstag wollten wir, John Bryant, Stefan Minta, beide vom NABU Einbeck, und ich eigentlich an der, so erwarteten wir, abgelassenen Talsperre Kelbra (= Helme-Stausee Berga-Kelbra) durchziehende Limikolen beobachten. Erster Schreck: Der See war noch nicht abgelassen! Dafür schwammen Tausende Wasservögel auf der Wasserfläche. Dann die Überraschung: Überall sehr viele Schwarzhalstaucher! Leider hatten wir keine Zählgeräte dabei, entschieden uns trotzdem zum Grobzählen in vorab abgestimmten Sektoren. Wir staunten nicht schlecht, als schließlich mindestens 2.700 Vögel aufaddiert wurden, wobei wir geschätzt nur 70 Prozent der Wasserfläche erfassten“, berichtet Bernd Riedel aus Northeim.
Eine zweifach durchgeführte Zählung durch Bernd Riedel und Stefan Munzinger in den frühen Vormittagsstunden am Sonntag, dem 12. August, bestätigte die Schätzung vom Vortag: Sensationelle 3 370 Schwarzhalstaucher (Podiceps nigricollis) wurden auf der rund sechs Quadratkilometer großen Wasserfläche der Talsperre gezählt, die teilweise zu Sachsen-Anhalt und teilweise zu Thüringen gehört. Darunter waren unter anderem mindestens 15 Jungvögel im Dunenkleid – sogenannte Pulli –, die noch gefüttert wurden. Rund 15 Prozent der Vögel waren noch teilweise oder vollständig im Prachtkleid. Flugbewegungen waren nur vereinzelt festzustellen.
Alle Daten im NABU-Naturgucker
Schwarzhalstaucher sind Kurzstreckenzieher, wichtige Winterquartiere liegen unter anderem am Bodensee, am Genfer See sowie entlang der Atlantikküste. Neben den Schwarzhalstauchern wurden an der Talsperre Kelbra weitere interessante Beobachtungen gemacht: mindestens 3 000 Blessrallen sowie knapp 200 Zwergtaucher. Alles in allem auch das vergleichsweise hohe Zahlen, aber typisch für August. Die beobachteten rund 500 Tafelenten liegen hingegen deutlich von den letztjährigen Maxima entfernt. Alle Beobachtungen finden sich für jeden einsehbar im NABU-Naturgucker.
Nach Angaben des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten umfasst die Brutpopulation des Schwarzhalstauchers in Deutschland 930 bis 1500 Paare. Auf der Talsperre Kelbra wurde damit am letzten Wochenende eine Konzentration von Schwarzhalstauchern beobachtet, die zahlenmäßig einem wesentlichen Teil der deutschen Brutpopulation entspricht. Die Rastbestände in Europa werden auf bis zu 290 000 Tiere geschätzt, wobei die große Mehrheit – 80 bis 90 Prozent – allerdings in Osteuropa beheimatet ist, insbesondere in Russland und der Ukraine.
Es stellen sich nun zahlreiche Fragen: Wo kommen die Vögel her? Der Brutbestand von bis 200 Paaren an der Talsperre Kelbra selbst reicht als Quelle jedenfalls nicht. Und seit wann gibt es dieses Vorkommen in dieser Größenordnung hier – oder ist es nur ein einmaliger Zufall? Die Ansammlung liegt weit über den bisher bekannten Zahlen. So wurden etwa im August 2010 nach Angaben von Klaus Hallmann im Naturgucker zwischen 200 und 350 Vögel beobachtet, beziehungsweise bis zu 714 Vögel laut Joachim Scheuer und Helmut Willems in den Mitteilungen des Vereins Thüringer Ornithologen.
Bisher unbekanntes Phänomen
Eine weitere wichtige Frage, da dieses Phänomen bislang offensichtlich unbekannt ist: Wie kann es sein, dass diese Masse an Schwarzhalstauchern bislang wohl noch nie beobachtet wurden? Im NABU-Naturgucker und anderen Meldesystemen sind zwar zahlreiche Beobachtungen zum Schwarzhalstaucher dokumentiert, bei keiner wird allerdings in den letzten beiden Wochen von mehr als 50 Tieren berichtet. Abgeleitet aus diesem Umstand ergibt sich eine weitere Frage: Wie tragfähig sind insgesamt die bisher veröffentlichten Beobachtungszahlen, wenn in Deutschland mit vielen Tausend aktiven Vogelbeobachtern eine solche große Konzentration bislang „durchgerutscht“ ist?
Stefan Munzinger
Wer sich selbst ein Bild machen möchte, kann dies ohne Beeinträchtigung der Schwarzhalstaucher und anderen Wasservögel jeder Zeit tun: Der Beobachtungsturm im Bereich des Campingplatzes im Süden der Talsperre bietet einen perfekten Rundumblick auf über 90 Prozent der Talsperre. Anfahrtsbeschreibung: A 38, Ausfahrt Berga (östlich von Nordhausen). In Berga links weiter nach Kelbra, dort im Ort nach rechts auf der L 1040 Richtung Sondershausen. Nach rund zwei Kilometern kommt rechts die Einfahrt zum Campingplatz; hier abbiegen und links auf den Parkplatz; per Fuß bis an den Uferbereich und dann nach links, wo der Beobachtungsturm steht. Eine Karte gibt es im NABU-Naturgucker im Menüpunkt „Basisinfos“.
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