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Die Folgen der Usutu-Epidemie 2011
25. Januar 2012 -
Im Spätsommer 2011 erreichten den NABU Nachrichten besorgter Vogelfreunde, die kaum noch Amseln in ihren Gärten sahen. Zunächst erschien dies nicht weiter alarmierend, da sich Amseln für gewöhnlich im Sommer recht versteckt halten. Schnell wurde aber klar, dass die Lage in diesem Jahr anders war. Am 14. September 2011 bestätigte dann das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg den ersten Fall einer am Usutu-Virus erkrankten Amsel. Mediziner waren den von Stechmücken übertragenen Viren schon länger auf der Spur.
Gleich am nächsten Tag startete daher der NABU eine Aktion, tote oder kranke Amseln zu melden. Von Mitte September bis Mitte November gingen insgesamt Meldungen von 856 tot oder krank aufgefundenen Amseln ein. Der Aufruf endete mit dem Einzug winterlicher Kälte, als kaum noch Stechmücken unterwegs waren, die Vögel infizieren konnten. Die Auswertung erfolgte nach gesicherten, veterinärmedizinisch belegten Fällen, nach Usutu-Verdachtsfällen und nach solchen, die keinerlei Hinweise auf Usutu ergaben, sondern andere Todesursachen nahe legten. Viele Beobachter, die dem Aufruf gefolgt waren, machten sehr genaue Angaben über die Vögel und die Fundumstände. Das war sehr hilfreich und für die Interpretation der Daten oftmals unentbehrlich. Noch wertvollere Dokumente waren Fotos, die eingereicht oder angeboten wurden. Denn zu den Symptomen der Krankheit zählen unter anderem typische Gefiederanomalien an Kopf und Hals.
Vor allem Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen betroffen
Die meisten Funde stammten aus dem Dreiländereck zwischen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Dies waren auch bis zuletzt die einzigen Bundesländer mit echten Nachweisen von Usutu-Fällen. Sowohl nach Zahlen als auch prozentual stammten die meisten Usutu-Nachweise aus Rheinland-Pfalz und dort aus den Landkreisen Germersheim, Rhein-Pfalz-Kreis, Südliche Weinstraße und Neustadt a. d. Weinstraße. Hessische Usutu-Nachweise kamen aus den sich nördlich anschließenden Kreisen Bergstraße, Groß-Gerau und Main-Taunus-Kreis. In Baden-Württemberg konzentrierten sich die nachgewiesenen Fälle auf die Rhein-Neckarregion um Heidelberg, Mannheim und Hockenheim. Vom südlichen Oberrhein wurden zwei Nachweise (Freiburg im Breisgau und Ihringen am Kaiserstuhl) verzeichnet.
Mit der Stunde der Wintervögel, die vom 6. bis 8. Januar 2012 stattfand, bot sich eine weitere Möglichkeit, um etwas über die Folgen der Usutu-Epidemie für den Amselbestand heraus zu finden. Bei der Vogelzähl-Aktion wurden tatsächlich deutlich weniger Amseln gezählt als 2011. Bundesweit beträgt der Rückgang nahezu ein Drittel. Die 2012 dünner besiedelten Regionen verteilen sich in einem breiten Band, das von Südwestdeutschland nach Nordosten verläuft. Im Jahresvergleich haben die Amseln am stärksten in Rheinland-Pfalz abgenommen (- 54 Prozent), gefolgt von Hessen (- 43 Prozent) und Baden-Württemberg (- 40 Prozent). In manchen Landkreisen fällt der Rückgang noch erheblich höher aus, so im Rhein-Pfalz-Kreis und im benachbarten Frankenthal (- 75 Prozent), in Worms (- 73 Prozent) und Ludwigshafen (- 65 Prozent ).Traurige Spitzenreiter sind in Hessen der Landkreis Bergstraße (- 65 Prozent) und Groß-Gerau (- 55 Prozent), in Baden-Württemberg der Rhein-Neckar-Kreis (- 66 Prozent) und Heidelberg (- 70 Prozent).
Krankheit brach vor Juli aus
Die Vergleichszahlen der „Stunde der Wintervögel“ lassen aber auch hinsichtlich manch anderer Region in Deutschland aufhorchen und ergänzen das, was unser Aufruf anlässlich des Amselsterbens zeigt: So ergibt sich für den Saalekreis in Sachsen-Anhalt eine um 62 Prozent geringere Zahl an Amseln und im brandenburgischen Landkreis Teltow-Fläming ein Minus von 56 Prozent. Aus Brandenburg wurden zwar keine toten Amseln zur veterinärmedizinischen Untersuchung eingesandt – weshalb es von dort auch keine echten Usutu-Nachweise gibt. Dafür lieferte das eingesandte Foto einer fast kahlköpfigen Amsel aus Deetz an der Havel einen umso wertvolleren und stichhaltigen Verdacht auf eine Usutu-Infektion hunderte Kilometer vom Rhein-Neckar-Raum entfernt. Die Aufnahme entstand schon im Juli 2011. Die Amsel soll sich zu dem Zeitpunkt – trotz dieser typischen Gefiedersymptome – noch völlig normal verhalten haben. Es ist daher anzunehmen, dass sich dieser Vogel noch in einem Anfangsstadium der Krankheit befand.
Hat der Amselschwund noch weitere Ursachen?
Der NABU schließt aus diesem und ähnlichen Fällen, die gemeldet wurden, dass möglicherweise schon viele Amseln an Usutu gestorben waren, bevor der erste Nachweis im September 2011 gelang. Auch manche Zuschriften machen deutlich: Den meisten Vogelfreunden wurde das Amselsterben erst bewusst, als fast keine Vögel mehr da waren. Das ist nur allzu verständlich, denn viele unterschiedliche Faktoren beeinflussen die Anwesenheit und Zahl von Vögeln in Gärten und an Futterstellen. Einige sind auf den Lauf der Natur, andere auf äußere Faktoren zurück zu führen. Schwankungen sind im Laufe von Jahren völlig normal und ohne echte Negativtrends noch nicht besorgniserregend.
Auch der aktuelle Rückgang der Amseln wird neben dem neuartigen Virus weitere Ursachen haben. So war das Frühjahr 2011 in vielen Regionen extrem niederschlagsarm. Knochentrockener Boden erschwerte es den Amseln, an Regenwürmer - ihre wichtigste Nahrung zur Jungenaufzucht – heranzukommen. Der Bruterfolg dürfte darunter gelitten haben. Auswirkungen auf die Bestände der Art wären dann unvermeidlich – ob mit oder ohne zusätzliche Verluste durch das Usutu-Virus.
Wie wird es weitergehen?
Der NABU und ornithologische Fachverbände wollen, in enger Kooperation mit Veterinärmedizinern, die weitere Entwicklung im Auge behalten. Denn mit Infektionen ist auch noch in den kommenden Jahr zu rechnen. Amseln sind offenbar gegenüber diesen Viren erheblich empfindlicher als andere Vogelarten. Doch auch sie reagieren mit der Zeit durch die Bildung von Antikörpern. In Österreich und anderen Ländern setzte nach einigen Jahren eine weitgehende Immunisierung der Amselpopulation ein. Langfristig konnten sich die Bestände dadurch wieder erholen. Ob es noch zu früh für solch eine positive Entwicklung ist und die Epidemie 2012 zunächst noch weitere Kreise ziehen wird, kann nur durch aufmerksames Beobachten und die Auswertung weiterer Daten beantwortet werden.
Text: Markus Nipkow und Moritz Klose
Auf Grundlage von Daten aus der „Stunde der Gartenvögel“ konnten Wissenschaftler nun erstmals die Auswirkungen des seit 2010 in Deutschland auftretenden Usutu-Virus genau berechnen. In den Befallsgebieten nahm die Amsel um zusätzliche 16 Prozent ab. Mehr →