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Friedhöfe als Lebensraum für Pflanzen und Tiere
Schuld ist streng genommen der Efeu-Kugelglanzkäfer. Denn hätte die einzige Kolonie dieses winzigen Insekts im gesamten süddeutschen Raum sich nicht ausgerechnet den Alten Südfriedhof in München als Refugium erwählt, wären heute vermutlich weit weniger Grabmäler einsturzgefährdet, die in Bodennähe nistenden Vögel dürften ihre Brutplätze behalten und Naturschutz und Denkmalpflege wären niemals so hart aneinandergeraten.
Weil der knapp zwei Millimeter große Käfer sich am liebsten im dichten Efeugestrüpp aufhält, das überall auf dem einstigen Pestfriedhof die historischen Grabmäler überwuchert, waren die Gärtner bislang gehalten, das Efeu beim Pflanzenschnitt möglichst zu schonen. Zum Leidwesen der Denkmalpfleger: „Armdicke Äste haben Teile der Figuren regelrecht abgetrennt“, klagt Anton Hebensteiner, Leiter des Grabmalamtes.
Efeu steht für ewiges Leben
Efeu wächst traditionell auf allen alten Friedhöfen, denn als immergrünes Gewächs symbolisiert die Kletterpflanze Auferstehung und ewiges Leben. Ihre dominierende Stellung erhielt es zu Anfang des 19. Jahrhunderts, als sich die kargen, von kahlen Grabhügeln geprägten Gottesäcker zu gärtnerisch gestalteten Gedenkstätten wandelten. Grün wurde zentrales Element der Begräbniskultur; immergrüne Gewächse wie Efeu, Rosmarin und Buchsbaum avancierten zu Friedhofspflanzen schlechthin.
Man schmückte die Gräber mit Sträuchern und Blumen, putzte sie heraus mit Engelsstatuen und kunstvoll geschmiedeten Kreuzen und pflanzte dazwischen Hecken, Büsche und Bäume. Friedhöfe wurden zu „stillen Orten, darauf man mit Andacht gehen und stehen kann“, so wie Martin Luther es einst verlangt hatte.
Als Gesamtkunstwerk aus Skulptur, Architektur und Gartengestaltung sind historische Friedhöfe heute kulturelles Gedächtnis einer Stadt; darüber hinaus sind sie aber auch jahrhundertelang gewachsenes Biotop und Arche Noah für seltene Pflanzen und Tiere. Experten schätzen, dass rund ein Zehntel aller Farn- und Blütenpflanzen, die auf den Friedhöfen Berlins vorkommen, zu den gefährdeten Arten der „Roten Liste“ zählen.
Fledermäuse im Mausoleum
Überall dort, wo der Mensch seine Ordnungsliebe zügelt, gedeiht das Leben: Streifenfarn krallt sich in Bruchsteinmauerwerk, ein wärmender Pelz aus Moosen und Flechten bedeckt verwitternde Grabplatten, Bachstelze und Hausrotschwanz nisten in den Nischen kleiner Kapellen und in die Mausoleen haben sich Fledermäuse einquartiert.
Friedhofsämter, die sich damit begnügen, die Wiesen zwischen den Gräbern nur zweimal jährlich zu mähen, werden mit sprießenden Wildblumen belohnt, mit bunten Faltern, die von Blüte zu Blüte schweben und mit Zikaden, die im Gras verborgen Zirpkonzerte geben. Nutzlose Flächen kennt die Natur nicht: Selbst im Umkreis von Kompostgruben wächst – so man sie lässt – eine Vielzahl von Kräutern, die Lebensgrundlage für Käfer, Bienen und Heuschrecken sind.
Besonders mobile Tierarten schätzen Friedhöfe als Trittsteinbiotop, das ihnen das Einsickern in den städtischen Lebensraum erleichtert. Im dichten Gestrüpp alter Eiben- und Hainbuchen-Hecken suchen sich Eidechsen, Waldmäuse und Igel ihre Beute; Gebüschbrüter wie Zilpzalp, Heckenbraunelle und Mönchsgrasmücke bauen hier ihre Nester; bodenbrütende Singvögel fühlen sich sicher im Schutz des dichten Grüns.
Konflikt Natur- und Denkmalschutz
„Herumstöbernde Hunde, die die Tiere stören könnten, gibt es nicht“, erläutert Heinz Sedlmeier vom bayerischen NABU-Partner LBV das Vogelparadies der Friedhöfe. „Selbst Waldvögel finden im Baumbestand historischer Anlagen einen idealen Lebensraum.“ Auf dem Alten Münchner Südfriedhof, dessen Areal die fast flächendeckend zusammengewachsenen Kronen der Birken, Eschen, Linden, Robinien und Ahornbäume mit ihrem Grün überdachen, leben beispielsweise Sperber, Buntspechte und Rabenkrähen. Sogar ein leuchtend gelbschwarz gefärbter Pirol wurde schon gesichtet.
Doch zur Zeit ist die Idylle nachhaltig gestört. Zwar ist der Alte Südfriedhof, auf dem seit über 60 Jahren niemand mehr beerdigt wurde, als überregional bedeutsames Biotop geschützt, doch weil mindestens 900 der rund 5000 Grabmäler kulturhistorisch wertvoll sind, haben auch die Denkmalpfleger ein gewichtiges Wort mitzureden. Zug um Zug wurden alle denkmalgeschützten Gräber freigelegt und auf Standfestigkeit geprüft. „Ungeschulte Hilfskräfte haben den Efeubewuchs heruntergerissen, obwohl die Pflanzen noch voll im Saft standen“, schimpft Heinz Sedlmeier. „Danach hat man die Grabsteine mit Pestiziden imprägniert.“ Die „übertriebene Grabpflege“ habe vor allem dem Zaunkönig die Nistplätze genommen.
Oase im Großstadtlärm
Den Höhepunkt erreichten die Arbeiten während der Brutzeit, als das Gelände zur Baustelle mit rangierenden Baggern, brummenden Betonmischern und an- und abfahrenden Lkw mutierte. Erst Ende 2006 soll die Sanierung abgeschlossen sein und wieder Friedhofsruhe einkehren.
Dann wird der Alte Südfriedhof wieder zur Oase für Flaneure, die vor dem Großstadtgetöse in die Grabanlage flüchten. Nach Durchschreiten des Portals verlangsamt sich unwillkürlich ihr Schritt, sie atmen tief durch und tauchen ein in eine Aura würdevoller Romantik. Der Verkehrslärm dringt nur als schwaches Rauschen über die Backsteinmauern; das Gezänk der Amselkolonie, die sich um die besten Nistplätze streitet, ist dagegen deutlich zu vernehmen. Aber empörtes Vogelgezwitscher hätte auch Martin Luther sicherlich nicht in seiner Andacht gestört.
Hartmut Netz
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