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Ein Besuch bei Janos Frecot
Janos Frecot, geboren am 30. März 1937 im rumänischen Freidorf bei Timisoara, ist ein Herausgeber musikwissenschaftlicher Arbeiten. So steht es im Internet. Nein, Frecot sei vor allem ein "Vollblut-Berliner", schreibt die Frankfurter Allgemeine, lobt "seine begeisternden freien Reden" und seinen "Beitrag zur Fotokultur". Wie auch immer: Jedenfalls ist der Mann seit Jahrzehnten pünktlicher Beitragszahler - sagt die NABU-Mitgliederdatenbank -, wohnhaft in Belzig, Kreis Potsdam-Mittelmark.
Im Hohen Fläming
Von Berlin-Mitte braucht der Regionalzug genau eine Stunde. Naturfreunden fallen zu Belzig vor allem die berühmten "Landschaftswiesen" mit ihren Großtrappen ein, potteben und wenig bewachsen, wie es Trappen halt mögen. Ganz anders Belzig selbst, immerhin ist der nahe der Stadt liegende Hagelberg mit 200 Metern höchster Punkt der Norddeutschen Tiefebene. Die historische Altstadt präsentiert sich sorgsam restauriert. Belzig hat sich von den Brandschatzungen bischöflich-magdeburgischer Truppen 1406 ebenso erholt wie von 40 Jahren DDR.
In der "Straße der Einheit" öffnet Janos Frecot dem Besuch die Tür. Die Fensterläden zum Schutz vor der Frühsommersonne geschlossen, scheint das einstöckige Gebäude nicht mehr als eine größere Kate. "Der Eindruck täuscht" schmunzelt Frecot. Das Haus hat Tiefe. Diele, Arbeitszimmer mit unendlichen Bücherregalen, Wohnzimmer, Musikzimmer, eins reiht sich ans andere. "Die ältesten Teile stammen aus der Zeit um 1800 und seitdem haben die Besitzer Generation für Generation immer wieder angebaut."
Am richtigen Ort
"So, das Beste kommt noch." Janos Frecot teilt den leise klingenden Kettenvorhang und wir stehen im Garten. Ja, das ist das Beste. Ein Garten, wie er sein soll - und was für eine Kulisse, bunt blühendes Leben und gleichzeitig tiefer Frieden. Dem Haus gleich geht der Garten in die Tiefe, bietet Platz für Lavendel und Rittersporn, Kirschen und Pflaumenbaum, Pergolen und Durchgänge, wilde Ecken und Kräuterbeet.
"Der Tisch ist immer reich gedeckt. Was wir nicht selbst essen, bleibt übrig für die Vögel, für die Igel und alles was unterwegs ist". Die Lieblinge des Hausherrn aber sind die zahlreichen Rosen, vor allem alte französische Sorten: "Die duften wunderbar und bereits die Namen sind ein Genuss. Was ist schon die Rose Fritz Müller" gegen eine Gloire de Dijon"."
"Vor fünf Jahren beschlossen meine Frau und ich, uns ein Haus mit Garten zu suchen. In Berlin aber ist das unbezahlbar", erzählt Frecot. "Als wir dann hierher kamen und den Garten sahen, haben wir uns nur kurz angesehen und es war klar, das soll es sein."
Garten-Theater
Den Bühnenrand im Frecot"schen Garten bilden die baumgesäumten Mauern der Nachbarn, im Hintergrund zeigt sich Fachwerk, 1798 Geburtshaus des Komponisten und Dresdner Hofkapellmeister Carl Gottlieb Reißiger. Rechterhand, tief eingeschnitten, fließt gar ein Bach den Garten entlang und linkerhand schließlich thront über allem Sankt Marien, die romanisch-spätgotische Stadtkirche. Ihre Feldsteinmauern reichen bis an den Garten heran.
Gleich zwei Turmfalkenpaare beherbergt die Kirche, die Jungen sind vor kurzem ausgeflogen und betteln nun lautstark die Eltern an. Auch die Mauersegler haben reichlich Nachwuchs. Sechs der schnellen Flieger hatten im Frühjahr am Kirchendach Quartier bezogen, jetzt sirren mehrere Dutzend Segler durch die Luft.
Natur und Stadt
Geboren ist Frecot, da hat das Internet recht, tatsächlich in Rumänien. Im gleichen Ort übrigens wie 30 Jahre zuvor Tarzan-Darsteller Johnny Weißmüller, mit dem er auch den Taufnahmen Janos teilt - Ende der Gemeinsamkeiten.
Schon nach einem Jahr jedoch zog die Familie nach Erkner bei Berlin. "Ich hatte eine traumhafte Kindheit, mitten im Krieg, aber auch mitten in der Natur. Die Liebe zur Natur und speziell zur Vogelwelt hat mir meine sächsische Großmutter vermittelt. Der Weg in den NABU, damals noch Bund für Vogelschutz, war später nur ein logischer Schritt. Die Natur ist das zuverlässigste Glück, das wir haben, und sie hat keine Lobby."
Nach dem Krieg siedelten die Frecots erneut um, in den Westen Berlins. Der jugendliche Janos erlebt dies als schockierenden Natur- und Landschaftsverlust. "Moabit war damals nur Stein- und Trümmerwüste, der Tiergarten zerstört. Ich musste erst beginnen, mir die Stadtlandschaft anzueignen". Natur als Thema und Herzensangelegenheit dagegen ging Frecot lange Zeit verschüttet. "Erst als eigene Kinder kamen, da entdeckte ich die Natur ein zweites Mal." Eine Tochter studierte denn auch Garten- und Landschaftsplanung und arbeitet häufig an Gebietskartierungen für Naturschutzbehörden.
Praxis und Ideologie
Mitte der 60er Jahre beschäftigte sich Janos Frecot beruflich mit musikwissenschaftlichen Biografien. Eher zufällig brachten ihn Antiquaratsfunde auf die Spur der so genannten Lebensreform-Bewegung der späten Kaiserzeit und Weimarer Republik, die in der Stadt und der Moderne nur Dekadenz sahen. An der Mischung aus Vegetarismus und Freikörperkultur, Jugendbewegung und Theosophie faszinierte ihn "die typisch deutsche Sucht, die eigene Lebenspraxis mit einer Ideologie zu untermauern" und Gefolgsleute zu suchen. Zudem gebar dies ein brisantes Gemisch vorwiegend antidemokratischer Impulse, die "in den großen Strom des Präfaschismus mündeten".
So entstand rasch ein Buch über den Lebensreform-Maler Fidus und über die Jahrzehnte ein einmaliges Archiv aus seltenen Büchern, Broschüren und Zeitschriften jener Zeit, die sonst in Bibliotheken kaum präsent sind. Daran wird sich in Deutschland leider auch nichts ändern, denn inzwischen gehört der Bestand als "Frecot Collection" der kalifornischen Stanford-Universität. Deutsche Stellen hatten zuvor mehrfach "müde abgewinkt".
Inzwischen als Ausstellungsmacher tätig, kam Janos Frecot 1978 an die Berlinische Galerie, das "Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur". Hier baute er die Fotografische Sammlung auf und leitete sie bis zu seiner Pensionierung 2002. Durch die von Frecot zusammengestellten Ausstellungen und nicht zuletzt dank des Erwerbs bedeutender Nachlässe wie dem von Heinrich Zille oder von Erich Salomon, dem Erfinder des Fotojournalismus, genießt die Sammlung heute internationalen Ruf.
Weltläufiger Ruhestand
Eine ganze Wegstunde zum Herz der Hauptstadt, das finden viele deutsche Bekannte Frecots arg abgelegen. Anderen Besuchern dagegen erscheint dieses eine Stündchen als Luxus, undenkbar etwa in London oder New York. Den Ruhestand nutzt er, "den Horizont zu weiten" und er scheint aktiver denn je. Garten und Haus in Belzig sind dabei Ruhepol und Kraftzentrum zugleich.
Janos Frecot stellt sein Wissen und seine Verbindungen jetzt unter anderem der Wiener Albertina zu Verfügung, für deren Fotosammlung er als Ankaufberater fungiert. Dazu kuratierte er aktuell eine Ausstellung zur Großstadtfotografie, die die Albertina unter dem Titel "Blicke, Passanten - 1930 bis heute" noch bis Anfang September zeigt. In Arbeit ist ein zweiter Bildband mit Fotografien Arno Schmidts. Der erste Band "Vier mal Vier" mit Landschaftsfotos des 1979 verstorbenen Schriftstellers hatte 2003 für großes Aufsehen gesorgt.
Die aktuelle Fotoszene hält Frecot weiter aufmerksam im Blick. Dabei beobachtet er auch bei jüngeren Fotokünstlern einen deutlichen Trend zu Natur- und Gartenthemen. "Der Geruch des Spießigen ist weg", freut sich Janos Frecot und pflückt vom Kräuterbeet ein Agastachenblatt: "Schmeckt intensiv nach Lakritze und macht sich wunderbar im Salat." Im Hintergrund zirpt wie zur Bestätigung ein Heupferd.
Helge May
Naturpark Hoher Fläming
Stadt Belzig
Reißiger-Gesellschaft
"Frecot Collection" der Stanford University
Berlinische Galerie
Ausstellung "Blicke, Passanten" in der Albertina
Arno-Schmidt-Stiftung