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Jetzt NABU-Mitglied werden!Eckart Brandt: Der Herr der Äpfel
Mit regionaler Vielfalt gegen die Sortenarmut im Supermarkt-Regal
Fast zärtlich streicht Eckart Brandt mit der Hand über den knorrigen Stamm, betastet die moosige Rinde, kratzt mit den Fingern Holzstaub aus einer Höhlung: "Wer hier drin wohl wohnt?", murmelt er in den Bart. Sein Blick gleitet suchend am Stamm empor, ohne Antwort auf die Frage zu finden. Eckart Brandt, ein untersetzter Mann mit roten Wangen und blonder Lockenpracht, ist Obstbauer aus Passion und mit seinen Apfelbäumen verwachsen. Dieser hier ist sein Lieblingsbaum: eine Coulon-Reinette mit Zwölf-Meter-Krone, die gut 70 Jahre auf dem Buckel hat.
Der Baum-Veteran steht in einem von Brandts Obstgärten an den Ausläufern des Alten Landes, auf halber Strecke zwischen Hamburg und Cuxhaven. Der Marschstreifen am Unterlauf der Elbe gilt als Deutschlands größtes zusammenhängendes Obstbaugebiet. Von Kanälen durchzogene Obstgärten; saftige Wiesen, auf denen schwarzweiß gefleckte Kühe weiden; die Dörfer geprägt von Bauernhäusern aus rotem Backstein, deren weißes Fachwerk in der Sonne leuchtet. Das erste Obst wurde hier vor 700 Jahren geerntet, heute sollen in den Gärten des Alten Landes 18 Millionen Obstbäume stehen, vier Fünftel davon Apfelbäume.
Kulturgut oder Industrie-Produkt?
Eckart Brandt fühlt sich der Obstbau-Tradition des Alten Landes verpflichtet. In seinen Obstgärten, die verstreut im Umkreis seiner Heimatgemeinde Großenwörden liegen, hegt und pflegt er seit 20 Jahren die alten norddeutschen Apfelsorten. Unablässig ist er auf der Suche nach neuen Raritäten, 800 regionaltypische Sorten hat er bislang gesammelt: "Der Apfel ist ein Kulturgut", lautet das Credo des Apfelfreaks, dem es in der Seele weh tut, dass die einstige regionale Vielfalt verdrängt wurde von der überregionalen Apfel-Einfalt im Supermarkt-Regal. "Industrie-"pfel", nennt Brandt gängige Sorten wie Elstar, Gloster, Jonagold oder Golden Delicious verächtlich. "Die sehen nicht nur nach Lackschuh aus, die schmecken auch so."
Brandt setzt dagegen auf aromatische Regionalsorten: In seinen Obstgärten vermehrt er alte Lokal-Matadoren wie Celler Dickstiel, Schöner von Haseldorf, Vierländer Blutapfel, Juwel von Kirchwerder - schon die Namen klingende Poesie. Besonders stolz ist der Obstbauer auf die altbewährte Sorte Finkenwerder Herbstprinz, ein saftiger, gelbroter Tafelapfel mit ausgewogenem Zucker-Säure-Verhältnis, der sich auch ausgezeichnet zum Backen, Mosten und für Obstbrand eignet. "Ein Apfel mit rustikalem Charakter", schwärmt Brandt vom Herbstprinzen. "Man schmeckt die Aromen des norddeutschen Sommers und die nahe See." Eigenschaften, die auch die Feinschmecker von Slowfood überzeugten: Die Genießer-Vereinigung hat den Finkenwerder Herbstprinzen in ihre "Arche des Geschmacks" aufgenommen, die regionale Spezialitäten vor dem Untergang retten soll.
Obstgärten als Genbank
Das ist durchaus im Sinne von Eckart Brandt, der seine Obstgärten als Genbank versteht, deren Schätze eines Tages für Züchter wertvoll werden könnten. Zentrum des Boomgarden-Projekts - so hat der 54-Jährige sein Apfel-Vermächtnis genannt - ist Hof Königsmoor, ein alter Gutshof, der mitten in einem Sumpfgebiet liegt und nur im Schritt-Tempo über eine schmale Holperpiste zu erreichen ist. Hier lebt und arbeitet Brandt, wenn er nicht gerade auf seinen Obsthöfen zu tun hat oder auf Biomärkten in Hamburg und Umgebung seine Erzeugnisse verkauft. Vor dem Küchentisch stapeln sich Kisten mit Einmachgläsern. An der Wand ein Regal, vollgestopft mit Ordnern und Bergen von Papier.
Brandt ist gelernter Historiker und das schimmert immer wieder durch, wenn er von seinen Recherchen nach der Herkunft alter Apfelsorten erzählt. Ein schier unerschöpfliches Thema für den Spross einer Imker-Familie, der erst über Umwege zum Obstbau gefunden hat. Weil das Studium keine beruflichen Perspektiven bot, hatte sich Brandt Anfang der 80er Jahre auf den Betrieb einer Mosterei verlegt. Die vielen, nie gesehenen Apfelsorten, die ihm die Leute damals kistenweise in den Hof stellten, entfachten seine Neugier: Wie er es als Historiker gelernt hatte, begann er, Dokumente, Ernte-Statistiken und Sorten-Bücher aus dem "goldenen Zeitalter der Pomologie" im 19. Jahrhundert zu studieren. So wurde die Apfelvielfalt zum Leitmotiv von Eckart Brandts Leben.
Die Liebe zum Apfelbaum
Wenn der Obstbauer in Blaumann und rotweißkariertem Hemd durch das hohe Gras zwischen seinen Apfelbäumen stapft, den Blick fest auf die Baumreihen geheftet, wird seine Apfelliebe fast körperlich spürbar. Im Vorbeigehen befühlt er erste knospende Früchte; rupft ein paar welke Blätter von einem tief hängenden Ast; begutachtet einen Baum, dessen Rinde sich als wolliges Gewucher von den Ästen schält. Hochstämmige Bäume, wie sie Eckart Brandt in seinen Apfelgärten stehen hat, sind heutzutage die Ausnahme: "Man muss ständig die Leiter umstellen, damit man alle Äpfel erwischt", erläutert er. "Die Ernte dauert dreimal so lange wie bei niedrigstämmigen Spindelbäumen." Unökonomisch sind auch die großen Abstände zwischen den Bäumen; verschenkter Platz, der kein Geld bringt. Ein Luxus, den der Obstbauer jedoch nicht missen mag - zwischen den Baumkronen soll noch der Himmel durchscheinen.
Auch dem Öko-Obstbau steht Brandt kritisch gegenüber: "Die wollen das gleiche Sortiment wie die konventionellen Kollegen", schimpft er. "Es werden Sorten angebaut, die für einen ökologischen Apfelgarten viel zu empfindlich sind. Öko heißt dann, dass man die Bäume mit Bio-Spritzmitteln statt mit Pestiziden bepüstert." Weil er nicht als "fundamentalistischer Querulant" dastehen wollte, ist der streitbare Obstbauer aus dem Bioland-Verband ausgetreten - von Jonagold in Bio hält er wenig.
Missionsarbeit auf dem Wochenmarkt
Auf dem Biomarkt in Hamburg Elmsbüttel, wo Eckart Brandt jeden Donnerstag seine Erzeugnisse anbietet, versucht er, den Kunden die Apfelvielfalt schmackhaft zu machen. Seinen Stand hat er im Schatten der Apostelkirche aufgebaut, einem alles überragenden, mächtigen Backsteinbau. Gläser mit Bio-Marmelade und Flaschen mit Apfelsäften eigener Produktion stehen in Reih und Glied neben den Kisten mit Obst und Gemüse. "Man hat den Leuten weisgemacht, ein Apfel müsse knackig sein", empört sich Brandt. "Ganze Reihen mürbfleischiger Äpfel sind aus dem Sortiment gefallen, obwohl sie ein fantastisches Aroma haben."
Um die alten Sorten zu erhalten, muss Eckart Brandt sein Boomgarden-Projekt in den kommenden Jahren umquartieren, denn es steht größtenteils auf Pachtland; die Verträge laufen 2011 aus. Der Wilkenshoff bei Hollenstedt gewährt den gesammelten Obstschätzen Asyl. Alleen, Obstgehölze, Streuobstwiesen und ein Muttergarten sollen die genetische Apfelvielfalt der Nachwelt überliefern: "Wenn wir uns züchterisch auf zwei Grundsorten einengen, von denen fast alle Äpfel abstammen, ist das ein riskantes Spiel", warnt der Obstbauer. "Das Klima ändert sich und keiner weiß, wie das Obstsortiment der Zukunft aussehen muss."
Hartmut Netz
Infos: "Mein großes Apfelbuch" von Eckart Brandt, erschienen im Bassermann-Verlag für 9,95 Euro, bietet eine bunte Mischung aus Praxistipps, Rezepten und Anekdoten. Die Internet-Seiten des Boomgarden-Projekts: www.boomgarden.de.
Erschienen in Ausgabe 3/2004.