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Jetzt NABU-Mitglied werden!Die Haut der Erde
Fruchtbarer Boden ist eine endliche Ressource
Es ging einfach zu schnell: Binnen Sekunden nahm eine braune Staubwolke den Autofahrern auf der A19 bei Rostock die Sicht. In beiden Fahrtrichtungen krachten die Autos ineinander, verkeilten sich, begannen zu brennen. Der Sturm, der am 8. April 2011 bereits seit den frühen Morgenstunden über das Land fegte, hatte von den kahlen Äckern am Autobahnrand das ausgetrocknete Erdreich aufgewirbelt und die Fahrbahn vernebelt. Die Bilanz: acht Tote und 130 Verletzte – einer der schwersten Autobahn-Unfälle seit 20 Jahren.
Experten geben der Agrarindustrie eine Mitschuld am Entstehen des Sandsturms. Die Flächen seien zu groß; es fehlten Windschutzstreifen, kritisiert Mathias Grünwald, Professor für Landschaftsarchitektur an der Hochschule Neubrandenburg: „Die Landwirtschaft ist nur an leicht zu bearbeitenden Großflächen interessiert“, sagt Grünwald. „Jetzt haben wir die Kehrseite davon gesehen.“ Gegen Winderosion seien Hecken das Mittel der Wahl: „Sie halten den Humus und machen den Boden fruchtbarer.“ Außerdem rät Grünwald zum Anbau einer Zwischenfrucht, die als Gründünger untergepflügt wird: „Wo im Frühjahr Winterweizen oder Raps wächst, gibt es das Erosionsproblem nicht.“
Grundlage allen Lebens
Die industrielle Landwirtschaft, die ihren riesigen Agrarflächen mit massivem Chemie- und Technikeinsatz in möglichst kurzer Zeit möglichst hohe Erträge abringt, gilt als Hauptverursacher schwindender Bodenqualität: Immer schwerere Maschinen verdichten das Erdreich, Monokulturen und enge Fruchtfolgen laugen die Böden aus, Kunstdünger und Pestizide dezimieren das Bodenleben und wenn für den Anbau von Energiepflanzen Wiesen und Weiden umgebrochen werden, fördert dies das Abtragen der fruchtbaren Humusschicht durch Wind und Regen. Die intensive Landwirtschaft hat Artenvielfalt und Bodenfruchtbarkeit weltweit dramatisch reduziert. Viele Böden sind übernutzt, versalzen und vergiftet, heißt es im jüngsten Bericht der Welternährungsorganisation FAO.
Dass der Mensch den Boden, von dem er lebt, wie Dreck behandelt, ist rational kaum nachvollzierbar. Böden filtern verschmutztes Wasser, erhalten die Artenvielfalt, binden klimaschädliches Kohlendioxid und erzeugen Nahrungsmittel – kurz: sie sind die Grundlage allen Lebens. Boden besteht aus Erdreich, einem komplexen Biomaterial, das die meisten Lebewesen auf diesem Planeten beherbergt: Kleinsäuger, Schnecken, Würmer, Insekten, Algen, Pilze und eine Vielzahl von Bakterien bilden ein Beziehungsgeflecht, das auch das oberirdische Leben entscheidend beeinflusst. Trotzdem ist fast alles, was sich in einer Tiefe von mehr als zehn Zentimetern abspielt, noch weitgehend unerforscht.
Schwer wieder aufzubauen
Was wir gemeinhin als Boden bezeichnen, ist nur die oberste, dünne Verwitterungsschicht. Die „Haut der Erde“ bildet sich aus verwitterndem Gestein und einsickernder organischer Substanz, von der es abhängt, wie fruchtbar der Boden ist. Die Kleinstlebewesen im Boden zersetzen die organischen Materialien zu Humus und machen dadurch die enthaltenen Nährstoffe für Pflanzen verfügbar. Wer also dem Boden durch Gründüngung, Mulchen, Kompostgaben oder das Einarbeiten von Ernteresten organische Substanz zuführt, erhält und fördert die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens. Oder im Umkehrschluss: Ist das Bodenleben zerstört, lässt sich die fruchtbare Schicht nur schwer erneuern. Boden sei eine endliche Ressource, heißt es in einem Bericht der Universität Sheffield. Trotzdem baue ihn der Mensch zum Teil 100mal schneller ab, als er sich neu bilden könne.
Weltweit sind in den vergangenen 30 Jahren fast 80.000 Quadratkilometer Agrarland unbrauchbar geworden. Auch in Deutschland wird der „größte Schatz der Menschheit“ sträflich vernachlässigt: Ein aktueller Bericht der EU-Kommission attestiert den hiesigen Böden, gestresst zu sein. In den großen Ackerbaugebieten vor allem im Osten liegen die Humusgehalte zum Teil unter zwei Prozent. „Die intensive Bewirtschaftung gefährdet die Bodenfruchtbarkeit“, sagt NABU-Agrarexperte Florian Schöne. Deutschland sei Spitzenreiter beim Anbau von Energie-Mais: „Fruchtfolgen mit humuszehrenden Kulturen wie Mais steigern die Erosionsgefahr“, warnt Schöne. Nicht ohne Grund: Laut „Kritischem Agrarbericht“ gehen in Deutschland jährlich pro Hektar Ackerfläche sieben Tonnen fruchtbarer Boden durch Erosion verloren.
Die perfekte Ackerkrume
Trotzdem sträubt sich die Bundesregierung gegen eine EU-weit geltende Bodenschutz-Richtlinie. Die Kommission will damit der weiteren Erosion, Verdichtung, Versteppung, Versalzung und Vergiftung des Bodens Einhalt gebieten. Doch vor allem Deutschland stellt sich quer. Immerhin gibt es hierzulande seit 1999 ein Bodenschutz-Gesetz; doch dieses Gesetz hat wegen fehlender Kontrollinstanzen kaum Einfluss auf die Landwirtschaft. „Ein stumpfes Schwert“, urteilt Florian Schöne.
Und so kommt es, dass die konventionelle Landwirtschaft die Frage nach der Bodenqualität weiterhin auf ihre Weise beantwortet: mit durchschnittlich 100 Kilogramm synthetisch erzeugtem Stickstoffdünger pro Hektar und Jahr. Doch Kunstdünger versorgt die Pflanzen direkt, für das Bodenleben fällt nichts ab. Einen gesunden, fruchtbaren Boden kriegt auf Dauer aber nur hin, wer das Bodenleben im Allgemeinen und die Regenwürmer im Speziellen pflegt. Die unscheinbaren Tierchen lockern und düngen den Boden, machen ihn luft- und wasserdurchlässig und schaffen damit ganz ohne menschliche Hilfe das, was sich jeder Bauer erträumt: feinporigen, krümeligen Humus – die perfekte Ackerkrume eben.
Hartmut Netz
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