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Ein Porträt Kurt Kretschmanns anlässlich seines 90. Geburtstages
Vieles ist schon geschrieben worden über Kurt Kretschmann, den Ehrenpräsidenten des NABU, der in diesem Frühjahr seinen 90. Geburtstag feiern durfte: Naturschützer der ersten Stunde, seit 75 Jahren Vegetarier und noch länger überzeugter Pazifist. Aber das Leben dieses "von Idealen getragene(n) Mann(es) kann in sein(em) Wirken für den Naturschutz nur in seiner tiefen Verbindung von Naturliebe, Naturverantwortung und Menschlichkeit begriffen werden", so Michael Succow, Kuratoriumsmitglied und ehemaliger NABU-Vizepräsident. Denn für Kurt Kretschmann sind Naturschutz und Menschlichkeit keine abstrakten Lebensideale, sondern täglich gelebte Wirklichkeit.
Dass die Liebe sich zu einer lebensrettenden Kraft entwickeln kann, hat er oft im Krieg erfahren. Ein Krieg, in den er als überzeugter Pazifist gegen seinen Willen hatte ziehen müssen. Er wundert sich noch heute, wie er den überstehen konnte. An einem Tag im März 1945 soll das gegen ihn verhängte Todesurteil vollstreckt werden. Er hatte am Tag zuvor versucht, zu den russischen Truppen zu gelangen.
Ein Pazifist im Krieg
Dann greift die Rote Armee im "Kessel von Demjansk" plötzlich zum zweiten Mal an und zehntausende deutsche Soldaten rennen um ihr Leben. Zusammen mit einem schwer verwundeten Kameraden gelingt Kretschmann die Flucht. Die Granaten fliegen und er fällt zu Boden. Als er wieder zu sich kommt und aufsteht, bemerkt er einen Granatsplitter am rechten Arm, einen im Gesäß und einen direkt über dem Herzen. "Er war in der mit den Briefen meiner Frau vollgefüllten Brusttasche stecken geblieben und hatte mich nur etwas angekratzt", wie Kretschmann später berichtet. Kretschmann überlebt in der "Hauptkampflinie", wo die durchschnittliche Lebenserwartung gerade mal zehn Wochen betrug, über zwei Jahre.
Das Kriegsende überlebt Kretschmann in Bad Freienwalde, und auch hier auf wundervolle Weise. Er nutzt einen Urlaub im Winter 1945 um mit Hilfe seiner Frau die Desertion vor zu bereiten. Unter einem kleinen Holzhaus in seinem jetzigen Garten gräbt Kretschman eine ein Meter hohe und zwei Meter lange Höhle, die er mit Brettern und Dachpappe befestigt und isoliert. Gegraben wird nachts und ohne Beleuchtung, denn niemand soll Verdacht schöpfen. Anfang Februar 1945 bezieht er seine "sargähnliche Kabuse", während draußen der Winter das Thermometer auf zehn Grad Frost hinunter drückt und hoher Schnee liegt. Seine Frau kann ihm nur nachts unter Todesgefahr etwas zu Essen und Trinken in sein Versteck bringen. Er harrt zehn Wochen in fast vollständiger Dunkelheit, unter großer Kälte aus, bis die Russische Armee eintrifft. Nach vier Monaten in russischer Kriegsgefangenschaft kehrt er nach Bad Freienwalde zurück.
Das Glück der Einfachheit
Die Strapazen und Gefahren im Krieg überlebt er zweifellos auch, weil er vor dem Krieg zusammen mit seinem besten Freund sieben Jahre in einer Hütte auf einer Waldparzelle in der Nähe von Bernau bei Berlin sozusagen als Aussteiger gelebt hatte. Hier experimentierten sie mit einer einfachen Lebensweise: Dazu gehörte Bildung, ein täglicher zehn Kilometer langer Lauf und eine vegetarische Ernährung. Sie lebten von dem, was die Natur ihnen bot, bauten aber auch selber Obst und Gemüse an.
Kretschmann hielt viele seiner Naturbeobachtungen aus dieser Zeit in Gedichten fest. Jährliche Fastenkuren im Frühjahr gehörten ebenfalls dazu: Sie dienten dazu "unseren Willen (zu) stärken, denn dunkel ahnten wir, dass uns noch schwere Zeiten bevorstanden". Die fangen an, wenn Kurt 1936 das erste mal eingezogen wird und eine fünfmonatige Dienstzeit in Landsberg an der Warthe absolvieren muss. Am Ende ist er "nervlich vollkommen fertig", man hat ihn als Kriegsgegner pausenlos schwer drangsaliert. Diese Behandlung soll ihn ab jetzt, wann immer er mit dem Militär in Berührung kam, zu Teil werden. Nach seiner Entlassung begibt sich Kurt Kretschmann auf Wanderschaft durch Deutschland, die Schweiz und Oberitalien. Mehr als 10.000 Kilometer wandert er durch die Natur und findet hier seine Universität für den Naturschutz.
Ein Leben für den Naturschutz
Nach dem Krieg fasst Kurt Kretschmann den Entschluss, nur für die Sache zu arbeiten, an die er mit ganzem Herzen glaubt: er setzt zusammen mit seiner Frau seine ganze Lebenskraft für den Naturschutz ein. Er baut für seine Familie ein Blockhaus, genannt das "Sonnenhaus", das heutige "Haus der Naturpflege", wird 1949 Kreisbeauftragter für Naturschutz im Kreis Oberbarnim und erfindet das Naturschutzsymbol, eine schwarze Waldohreule, die 1992 für ganz Deutschland als Naturschutzsymbol übernommen wird.
Von 1954 bis 1960 ist er Begründer und Leiter der Lehrstätte für Naturschutz "Müritzhof", wo praktische Naturschutzarbeit gelehrt und ausgeführt wird. Auch errichtet er in dieser Zeit den "Arbeitskreis für die vom Aussterben bedrohten Tierarten der DDR", der Vorkommen dieser Arten erfasst und Schutzmaßnahmen organisiert. Ebenso der "Zentrale Arbeitskreis Weißstorch" mit einem Lebensraumschutz- und Betreuungssystem, das nach der Wende in ganz Deutschland eingeführt wird und darauf beruht, dass in jedem Bezirk des Landes ein Weißstorchbetreuer sich um den Bestand dieser Vogelart kümmert. Die Resultate dieser Arbeit halten Erna und Kurt Kretschmann in den Mitteilungsblättern fest, die sie mühevoll selber auf ihrer Schreibmaschine vervielfältigen.
Der Großteil dieser Arbeit erledigen er und seine Frau Erna ehrenamtlich, sie gelten seitdem als "die Mutter und der Vater des ostdeutschen Naturschutzes". Seit einigen Jahren ist der "totale Mulchgarten" das Projekt, um das sich Kurt Kretschmann in seinem neuen Domizil in Bad Freienwalde mit Liebe kümmert. Auch hier führt er immer wieder neue Experimente zur Fruchtbarmachung des Bodens und zur Ertragssteigerung der Pflanzen durch. Ganz stolz ist er auf das Resultat der jüngsten Topinamburanpflanzung: Auf kleinstem Raum in seinem Garten gedeiht eine Ernte, die eine vierköpfige Familie für eine Saison ernähren könnte. Denn Kurt Kretschmann ist in seinem Naturschutz immer den Menschen zugewandt, ein "Menschenfreund", so Michael Succow.
Johanna Theunissen
aus „Naturschutz heute“, Ausgabe 3/2004
Wenn man jetzt aufgefordert wird, den Beginn und die Entwicklung des Naturschutzes in der DDR zu beschreiben, so muss man auf das Jahr 1947 zurückgehen, als in den fünf Ländern ehrenamtliche Landesbeauftragte für Naturschutz eingesetzt wurden. Mehr →