Feldlerche im Flug - Foto: Axel Aßmann/www.naturgucker.de
Hoch in der Luft oder aus der vollen Deckung?
Wo Vögel am liebsten singen
Da hat man sie doch deutlich singen gehört: das Rotkehlchen, die Amsel, ja sogar die Nachtigall, die noch in der späten Nacht schlug, bevor morgens der Gesang der Lerche begann. Aber wo waren sie nur alle, als sie gesungen haben? Im Gebüsch, im Baum, am freien Himmel?
Weit oben am Himmel
Wer die singende Feldlerche sehen will, der muss sie dort, wo sie noch vorkommt, zuerst am Himmel suchen. Hoch über die frühsommerliche Wiese hat sie sich erhoben, manchmal so hoch, dass man mit den Augen lange nach ihr suchen muss, bis man sie als flatternden Punkt unter den Wolken gefunden hat. In 50 bis 80 Metern Höhe, manchmal noch höher, trägt sie ihren kontinuierlich trillernden Gesang vor. Sie kann es viele Minuten lang, im Extrem bis zu einer Stunde singend in der Luft aushalten, dann lässt sie sich in Stufen herab, um den Boden zu erreichen.
Manchmal führt die Feldlerche ihre Darbietung auch noch stehend auf einem Zaunpfahl fort. Irgendwo in der Nähe verbirgt sich hier das Bodennest, in dem das Weibchen die Eier bebrütet. Vor allem dem Weibchen gilt der Gesang des Männchens, außerdem den Nachbarn jenseits der Reviergrenze.
Einen Vogel, der seinen Gesang im Flug präsentiert, nennt man einen Flugsänger. Sein Gesang heißt Fluggesang, sein Verhalten ist der Singflug. Zu ihnen gehören nicht nur die Lerchen, sondern auch die Pieper, oft das Schwarzkehlchen und die übrigen Schmätzer, einige Grasmücken, ja sogar der Schneesperling des Hochgebirges ist ein solcher Vertreter. Sie alle sind nicht eine Gruppe von nahen Verwandten. Das Singen im Flug hat sich unabhängig entwickelt, wo die Vögel offene Lebensräume oder deren Säume besiedelt haben.
Die Singflüge sind keineswegs alle so ausgedehnt wie bei der Lerche. In vielen Fällen steigt der Sänger kurz auf, singt und landet wieder. Das Prinzip des Singflugs haben keineswegs nur die Singvögel entdeckt. Man kennt solche Gesänge beispielsweise auch bei vielen Watvögeln. Ein Rotschenkel, ein Brachvogel, eine Waldschnepfe – sie alle tragen ihren Gesang fliegend vor.
Wartengesang: öffentlich für jedermann
Wer es sich nicht leisten will, hoch in die Lüfte zu steigen, möchte doch wenigstens von erhöhter Position aus singen, sozusagen öffentlich und sichtbar für Rivalen und Partner. Die Amsel zum Beispiel sucht Nahrung am Boden, brütet im Gebüsch oder Baum, aber für das Singen, das heißt für das Markieren ihres Reviers, braucht sie eine erhöhte Warte, einen Ast oben im Baum, gern auch einen Dachfirst.
Noch weiter treibt es ihre Verwandte, die Singdrossel. Bald nach ihrer Ankunft schon im März sucht das Männchen eine hohe Baumspitze auf, um von hier aus seinen weit klingenden Gesang vorzutragen. Vögel, die sich beim Singen in dieser Weise exponieren, das sind Wartensänger.
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Singdrossel: Gesang von der äußersten Zweigspitze - Foto: Meik Matiszik
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Die Amsel lässt sich zum Singen gern auf einem Dachgiebel nieder. - Foto: Hans-Heiner Bergmann
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Zaunkönig - Foto: NABU/Michael Groß
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Die Grauammer gibt sich mit einem Zaunpfahl oder einer Mauer als Singwarte zufrieden. - Foto: Hans-Heiner Bergmann
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Waldweg und Waldrand: Hier finden Wartensänger ihre Singwarten. - Foto: Hans-Heiner Bergmann
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Streuobstwiese am Fuß der Schwäbischen Alb, ein bevorzugter Lebensraum für Wartensänger. - Foto: Hans-Heiner Bergmann
Die meisten unserer Singvögel verhalten sich nach diesem Prinzip. Der Zaunkönig meidet es, ganz frei auf einer Baumspitze zu sitzen. Aber einen freien Zweig in halber Höhe des Baumes, das ist seine Sache. Manchmal singt er auch so verborgen im Busch, dass man den Zwerg vergeblich zu entdecken versucht. Dann kann man ihn beinahe schon zu den Deckungssängern rechnen.
Wer im Verborgenen singt
Nachtigallen hört man am besten an einem Maiabend oder mitten in der Nacht. Sie singen aber auch am hellen Tage ihr Lied. Voll klingende Staccatostrophen sind es, dann auch wieder ein lang gedehntes Flöten, das man Crescendo nennt. Wer sie zu Gesicht bekommen will, der muss nach einem unscheinbar braunen Vogel mit hellerer Unterseite Ausschau halten, mit dunklen Augen und einem roten Schwanz.
Aber selbst demjenigen, der die Nachtigall aus der Nähe singen hört, wird es kaum gelingen, sie zu Gesicht zu bekommen. Die Nachtigall ist ein Deckungssänger. Sie verharrt in dichtem Gebüsch, bewegt sich wenig und lässt nur ihre Strophen erschallen. Es ist ein seltenes Ereignis, wenn ein solcher Sänger einmal etwas freier auf einem Zweig am Rand des Gebüschs sitzt. Sobald man ihn entdeckt hat, zieht er sich rasch wieder zurück.
Es gibt bei uns einen weiteren sommerlichen Sänger, den man schwerlich zu Gesicht bekommt. Unter den Grasmücken ist die Gartengrasmücke die schlichteste: keine schwarze Kappe, keine weiße Kehle, keine hellen Schwanzkanten. Sie ist kaum zu entdecken, wenn sie im dichten Gebüsch oder einer belaubten Baumkrone singt. Dafür ist ihr Gesang laut und orgelnd und dringt weit durch die Vegetation.
Passen nicht dazu: die Sonderrolle
Unter die Flugsänger, Wartensänger oder Deckungssänger lassen sich die meisten bei uns singenden Vögel einordnen. Was aber tun wir mit einem Baumläufer, der den Baum hinaufklettert, in die Ritzen und unter die Rinde pickt und zwischendurch immer wieder eine Strophe singt? Er passt in keine der Kategorien: Er singt nicht im Flug, nicht auf der Warte, nicht in der Deckung. Genauso die Winzlinge unter unseren Vögeln, die Goldhähnchen mit fünf Gramm Körpergewicht. Weil sie ständig in Bewegung sind, könnte man sie Bewegungssänger nennen.
Manche Vögel singen überhaupt nicht. Der Buntspecht belässt es beim Trommeln, anstatt zu singen. Es gibt weitere Arten, die sich einer Einteilung entziehen. Aber schauen sie doch mal draußen zu, wer wo am liebsten singt. Wo sitzt das Rotkehlchen, wenn es singt, wo der Zilpzalp, wo der Hausspatz?
Riskant: Singen ist nicht ungefährlich
Jedes Singen macht den Sänger auffällig. Ein Feind, der den Gesang hört, kann das nutzen, um den Weg zur Beute zu finden. Deswegen: Singen kostet nicht nur Zeit und Energie, sondern ist auch Risiko. Hoch in der Luft hat die Lerche gute Übersicht, es gibt kaum Feinde, die ihr gefährlich werden könnten. Sie trägt ein Tarnkleid, um am Boden möglichst unauffällig zu sein. Hier könnte sie am ehesten vom Sperber und anderen Feinden überrascht werden, ohne dass sie singt.
Ein Wartensänger trägt andere Risiken. Er begibt sich an den Rand der Deckung von Baum und Busch, bleibt aber trotzdem dem Angriff eines Feindes ausgesetzt, der seinerseits die Deckung nutzt, um sich ungesehen zu nähern. Wartensänger müssen wählen: Je höher und freier sie sitzen, desto besser ist ihr Wirkungsgrad beim Gesang, desto auffälliger aber sind sie auch für ihre Feinde. Deckungssänger verlassen sich vollständig darauf, nicht gesehen zu werden, müssen aber umso mehr in den Gesang investieren.
Hans-Heiner Bergmann
Prof. Dr. Hans-Heiner Bergmann hat sich seit vielen Jahren mit Vogelstimmen beschäftigt und dazu gemeinsam mit Mitarbeitern und Koautorinnen zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt. Ihn interessiert auch die Ökologie des Vogelgesangs.
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