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20 Jahre Naturschutz auf Truppenübungsplätzen
Wo einst Panzer rollten, blühen heute Orchideen. Im Frühling tanzen Birkhähne auf ihren Balzplätzen, dort wo früher Schüsse Flächenbrände entfachten, und hier und da schillert das Schuppenkleid der Smaragdeidechse durchs Dickicht. Was wie ein Öko-Märchen klingt, ist erfreuliche Realität – wenn auch eine, die selbst Fachleuten lange Zeit unbekannt war: Auf ehemaligen Truppenübungsplätzen in Deutschland hat sich eine Artenvielfalt erhalten, die in anderen Teilen der Republik ihresgleichen sucht.
Es ist knapp 20 Jahre her, dass diese Vielfalt entdeckt wurde, angestoßen vom heutigen Chef des Umweltbundesamtes und damaligen NABU-Präsidenten Jochen Flasbarth sowie Christian Unselt, heute Leiter der NABU-Stiftung Nationales Naturerbe. Die Naturschützer brachten Anfang der 90er Jahre das Thema Truppenübungsplätze auf die politische Tagesordnung: „Bis dahin war vor allem unter dem Altlasten-Gesichtspunkt diskutiert worden“, erinnert sich Unselt. Munition, die jederzeit explodieren kann, Reste chemischer Kampfstoffe und Schwermetalle lagern im Erdreich, Kerosin und andere Mineralöl-Produkte sickerten ins Grundwasser.
Militarisierung des Naturschutzes?
Können Militärgebiete unter solchen Bedingungen Naturparadiese sein? Eine erste Analyse, die das vom NABU initiierte Institut für Ökologie und Naturschutz (IfÖN) 1991 anfertigen ließ, antwortete mit einem klaren „Ja“. „Es hat sich gezeigt, dass es nicht nur um militärische Altlasten, sondern auch um ökologische Perlen geht“, berichtet Unselt. So wurden sogar Arten gefunden, die in Deutschland als ausgestorben galten. Der Echte Kiemenfuß, ein Kleinkrebs, wurde auf Truppenübungsplätzen wiederentdeckt – dort, wo Panzerketten die Erde durchzogen hatten und durch Bodenverdichtung kleine Tümpel schufen, die sich rasch erwärmen und immer wieder austrocknen konnten: der ideale Lebensraum für diese Tierart.
Angesichts des großen Artenreichtums dauerte es nicht lange, bis diskutiert wurde, ob Truppenübungsplätze vielleicht die besseren Naturschutzgebiete seien. Von einer „Militarisierung des Naturschutzes“ war sogar die Rede. Zumindest aber führten die neuen Erkenntnisse zu einem Umdenken in der Biotoppflege.
Dies beruht auf der Entdeckung, dass Flora und Fauna nicht erst aufblühten, seit sich die Armeen zurückzogen. Im Gegenteil: Manche Arten haben sich gerade durch den Schießbetrieb und die Panzerfahrten so prächtig entwickeln können. Das Birkhuhn beispielsweise war besonders im Zentrum von Schießbahnen zu entdecken, wo es oft zu Bränden kam. Hier verjüngte sich die Heide immer wieder und beherbergte besonders viele Insekten – ein Paradies für das Birkhuhn.
Dauernde Bewegung
Durch die unvorhersehbare und zerstörerische Nutzung entwickelte sich eine Eigendynamik, die letztlich zum Erhalt vieler Biotope und Arten beitrug. Diese Beobachtung führte zu einem neuen Ansatz: Biotope sind demnach nicht termingerecht und parzellenscharf zu pflegen, sondern eine gewisse Planlosigkeit darf herrschen, um die sogenannten Sukzessionsabläufe – also die Veränderung eines Ökosystems hin zum „ökologischen Optimum“ – in einem vielfältigen Mosaik immer wieder zu durchbrechen.
Biotoppflege darf dabei „katastrophal“ wirken, wie Unselt beschreibt. Voraussetzung sei, dass Katastrophen wie Brände nie das gesamte Schutzgebiet betreffen und damit das Nebeneinander verschiedener Entwicklungsstadien sichern. Die logische Konsequenz: Naturschutzgebiete müssen groß sein. Unselt war deshalb schon früh klar, dass die Truppenübungsplätze als letzte unzerschnittene Gebiete Mitteleuropas für den Naturschutz gesichert werden müssen.
Mit der Koalitionsvereinbarung vor vier Jahren kam es zum lang ersehnten Erfolg: Rund 125.000 Hektar ehemalige Militärgebiete, Flächen aus DDR-Volkseigentum und Bergbaufolgelandschaften sollen in die Obhut von Naturschutzorganisationen übertragen werden. Von im Jahr 1989 gezählten 970.000 Hektar militärisch genutzter Fläche in der Bundesrepublik befindet sich allein damit künftig etwa ein Zehntel in Naturschutzhand.
Nicht immer kostenlos
Andere Militärgebiete stehen nicht für dieses „Nationale Naturerbe“ zur Verfügung. Mehrere Naturschutzorganisationen bemühen sich daher, diese zu kaufen und so zu einem Teil unseres Naturerbes zu machen. So hat die NABU-Stiftung seit 2007 mithilfe von Spenden Teile des ehemaligen Schießplatzes in Rothenstein erworben, um zu verhindern, dass die Nutzung geändert oder intensiviert wird.
Schafe beweiden das jetzt das NABU-Gelände und zwölf Hektar mit einer besonders reichen Orchideen-Vielfalt pflegen die NABU-Aktiven per Hand. Dadurch ist nicht nur die Dichte an Orchideen größer geworden, sondern auch neue Arten sind eingewandert. Von den Erfolgen bestätigt, möchte die Stiftung zusätzlich zu den bereits erworbenen knapp 100 Hektar rund 200 weitere Hektar ankaufen – vorausgesetzt die Spenden dafür stehen zur Verfügung.
Und was passiert auf lange Sicht mit den Biotopen auf Truppenübungsplätzen, wenn keine Panzer mehr rollen und der Mensch auch pflegerisch nicht mehr eingreift? Die Landschaft wird sich verändern, wie dies auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Lieberose bereits zu beobachten ist. Damit verschiebt sich auch das Spektrum der Arten: Manche wie Spechte, Waldkäfer und Wölfe wandern ein, andere verschwinden. Es bleibt die Chance, so viel Lebensraum wie möglich zu erhalten und ihn seinen eigenen Regeln zu überlassen.
Annika Natus (2009)
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