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Naturschutz bei Großprojekten
Dass es mit Deutschland in vielen Bereichen nicht so recht vorangeht, liegt in den Augen mancher Wirtschaftsvertreter und Politiker am Regulierungswahn, am Föderalismus, an langsamen und inkompetenten Behörden und nicht zuletzt an den vielen technikfeindlichen Naturschützern, die mit ihrer Klagewut alles verhindern, was nicht ihrer Vorstellung einer ebenso heilen wie hoffnungslos veralteten Welt entspricht. Artenschutz ist für diese Apologeten eines bestürzend schlichten Fortschrittsbegriffs ein Luxus, den man sich im permanenten globalen Wettbewerb nicht leisten könne, und Rotmilan, Kammmolch oder Schierlings-Wasserfenchel dienen ihnen bestenfalls als Spottobjekte oder dazu, den Erhalt der Biodiversität gegen angeblich alternativlose Infrastrukturmaßnahmen auszuspielen.
Kaum ein Großprojekt, bei dem gefährdeten Arten nicht der Schwarze Peter für Verzögerungen, Kostensteigerungen oder ‒ besonders perfide ‒ sogar den Verlust an Arbeitsplätzen zugeschoben wird. So habe die Kleine Hufeisennase die Waldschlößchenbrücke in Dresden beinahe im Alleingang verhindert, Juchtenkäfer und Mauereidechse hätten in hinterlistiger Eintracht die Kosten für das Bahnhofsbauprojekt „Stuttgart 21“ in exorbitante Höhen getrieben, und der Kammmolch habe durch sture Beharrlichkeit dafür gesorgt, dass für die Veränderung eines Bauabschnittes der A44 in Nordhessen einige Millionen Euro mehr als geplant ausgegeben wurden.
Fehler bei der Planung
Glücklicherweise liegt die Verantwortung für die endlose Baugeschichte des neuen Berliner Flughafens (noch) nicht bei Kranich und Seeadler, die durch die ursprünglich geplanten Flugrouten in ihren Lebensräumen gestört worden wären. Die Deutsche Flugsicherung hatte diesen Aspekt bei ihren Planungen ignoriert und wurde deshalb 2013 von der EU-Kommission zu einer erneuten Umweltverträglichkeitsprüfung verdonnert.
Diese und andere Beispiele sind keine Indizienkette für die Paranoia amoklaufender Naturschützer, sondern belegen Fehler und mangelhafte Sorgfalt der Verantwortlichen bei der Planung. Malte Siegert, Leiter Umweltpolitik beim NABU Hamburg und für den NABU unter anderem bei den Auseinandersetzungen um die Feste Fehmarnbeltquerung und die Elbvertiefung engagiert, nennt noch einen weiteren Grund: „Kaum ein Vorhabenträger nimmt das Thema Natur- und Artenschutz am Anfang ernst. Erst wir Naturschützer machen es zu einem ernsten Thema.“
Beteiligungsrechte wahrnehmen
Und das geschieht, anders als von manchen Interessengruppen dargestellt, in den seltensten Fällen über eine Verbandsklage, sondern vor allem durch fachliche Stellungnahmen. Mit der Verbandsklage schützen der NABU und andere Umweltverbände die Rechte der Natur, die vor Gerichten und Behörden ihre Interessen nicht selber vertreten kann. Der häufigste Grund für eine Klage ist ein naturschutzfachlich mangelhafter Planfeststellungsbeschluss als Grundlage für die Umsetzung eines umweltrelevanten Infrastruktur- oder Bauvorhabens. Ist der NABU mit seiner Klage erfolgreich, werden die Straße oder das Gewerbegebiet in der Praxis dennoch nur selten verhindert. Die Eingriffe in Natur und Landschaft werden aber minimiert, etwa indem ein anderer Straßenverlauf gewählt oder aber die Projektverantwortlichen zu zusätzlichen Ausgleichsmaßnahmen verpflichtet werden.
Die Klagerechte der Naturschutzverbände beruhen auf den Naturschutzgesetzen der Bundesländer sowie auf den Paragrafen 58 bis 61 des Bundesnaturschutzgesetzes. Europarechtlich relevant für schützenswerte Lebensräume und Arten sind die Flora-Fauna-Habitat- und die Vogelschutz-Richtlinie sowie die 1998 beschlossene Aarhus-Konvention. Diese sieht den Zugang der Zivilgesellschaft zu Umweltinformationen und Gerichten in Umweltangelegenheiten sowie eine Beteiligung der Öffentlichkeit bei Vorhaben mit erheblichen Umweltauswirkungen vor.
Neue Ansätze
In Sachen Elbvertiefung hat das Bundesverwaltungsgericht nach Klagen von NABU, BUND und WWF in seinem Urteil vom 9. Februar 2017 den Planfeststellungsbeschluss für rechtswidrig erklärt und die Stadt Hamburg dazu verpflichtet, angemessene Ausgleichsmaßnahmen zu finden und einzuplanen. Malte Siegert zeigt sich skeptisch, habe man in Hamburg doch mit dem Mühlenberger Loch oder der letzten Elbvertiefung von 1999 genügend Beispiele, wo festgelegte Ausgleichsmaßnahmen bis heute nicht vollständig umgesetzt worden seien. Siegert plädiert dafür, das Vorgehen bei Planungen von Großprojekten grundlegend zu reformieren: „Wir müssen uns zunächst ehrlich fragen, ob wir diese Straße oder Bahntrasse in 10 oder 15 Jahren tatsächlich brauchen. Und die Mittel für Kompensationsmaßnahmen müssen von Beginn an mit eingeplant werden.“
Ein Forschungsprojekt des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) im Auftrag des Umweltbundesamtes kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Difu-Studie fordert in der Handlungsempfehlung „Das 3x3 einer guten Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großprojekten“ unter anderem eine frühzeitige, verbindliche und professionell gemanagte Beteiligung der Zivilgesellschaft. Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, plädierte bei der Vorstellung der Difu-Studie für einen „Dialog auf Augenhöhe“. Bürgerinnen und Bürger wollten ernst genommen werden, und es dürften keine falschen Erwartungen geweckt werden: „Eine als Alibi-Veranstaltung wahrgenommene Bürgerbeteiligung ist kontraproduktiv.“
Bernd Pieper
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