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So geht Europa mit dem Wolf um




Wolf - Foto: Christoph Bosch
Der Winter 2019 war auch in Estland nicht allzu streng. Jedenfalls nicht so sehr, dass der Pärnu, Estlands zweitgrößter Fluss, komplett zugefroren wäre. Das wäre Ende Februar einem Vierbeiner fast zum Verhängnis geworden, hätten ihn nicht drei Bauarbeiter aus den eisigen Fluten gefischt. Sie trugen ihn das Flussufer hinauf und fuhren ihn dann in die Tierklinik.
Beim Tierarzt entpuppte sich der vermeintliche Hund als ein junger Wolf. Dieser hatte Glück. Er wurde medizinisch versorgt und einige Zeit später mit einem Sendehalsband versehen wieder freigelassen. Selbstverständlich ist das in Estland nicht, denn hier werden jedes Jahr gut hundert Wölfe erlegt. Nicht gewildert, sondern ganz legal während der von November bis Februar dauernden Jagdsaison.
Angst ums Leben
So sieht die Realität heute in Europa aus. Trotz EU-weitem offiziellem Schutzstatus müssen Wölfe in vielen Ländern um ihr Leben fürchten. Weil es Ausnahmeregelungen gibt und weil vor allem Tierhalter und Jäger im Wolf einen Störenfried und Konkurrenten sehen.
Wie streng ist der Schutz?
Durch internationale und nationale Regelungen genießt der Wolf einen hohen Schutzstatus. Zentrales Naturschutzgesetz der EU ist die Fauna-Flora-Habitatrichtlinie, kurz FFH. Im Zentrum stehen dabei in verschiedenen Anhängen aufgelistete Arten und Lebensräume. Für den Wolf bedeutet das nicht nur ein grundsätzliches Tötungsverbot, sondern darüber hinaus gehende Störungsverbote.
Besondere Schutzgebiete. Als Art „von gemeinschaftlichem Interesse“ müssen für den Wolf sogar besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden. Solche Gebiete heißen dann FFH- oder Natura-2000-Gebiete. Die Reservate müssen so gemanagt werden, dass die ökologischen Bedürfnisse der Zielart – hier also der Wolf – erfüllt werden, ihr Bestand bewahrt bleibt oder sogar wächst. Maßstab ist dabei der „gute Erhaltungszustand“.
Außerhalb der EU ist der Wolf unter anderem durch das den Handel mit Wildtieren regelnde Washingtoner Artenschutzabkommen geschützt. Zudem verbietet die Berner Konvention, der auch europäische Nicht-EU-Staaten wie die Schweiz angehören, Wölfe zu stören, zu fangen oder zu töten.
Strafen drohen. In Deutschland werden die Vorgaben über das Bundesnaturschutzgesetz umgesetzt. Wölfe sind im gesamten Bundesgebiet streng geschützt. Bei Verstößen wird per Anzeige die Staatsanwaltschaft tätig. Je nach Vergehen sind Strafen von bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug oder hohe Geldbußen möglich – sie werden aber selten verhängt.
Damit besitzen Wölfe in Deutschland den höchstmöglichen Schutzstatus. Für die Umsetzung der Gesetze sind die Länder zuständig, der Bund kann sie dabei unterstützen. Mit Ausnahme von Sachsen unterliegen Wölfe nicht dem Jagdrecht, dort ist er mit einer ganzjährigen Schonzeit belegt.
Ausnahmen im Kleingedruckten. Schon bei der Verabschiedung der FFH-Richtlinie 1992 haben manche Staaten Sonderregelungen durchgesetzt. Auch einige der später hinzugekommenen EU-Mitglieder waren damit erfolgreich. Ausnahmen vom generellen Wolfsabschussverbot gelten für die drei baltischen Staaten, Polen, die Slowakei und Bulgarien sowie für bestimmte Regionen in Finnland, Spanien und Griechenland. Hier darf die „Entnahme aus der Natur Gegenstand von Verwaltungsmaßnahmen“ sein.
Manche Wolfsgegner würden eine solche Ausnahme gerne auch für Deutschland erreichen. Ihr Argument: Unsere Wölfe gehörten einer größeren nordosteuropäischen Population an, die gar nicht gefährdet sei. Der Schutzstatus könne daher gelockert und endlich mehr geschossen werden. Das wäre unter anderem zur „Verhinderung ernster Schäden in der Tierhaltung“ möglich.
In Europa leben knapp 20.000 Wölfe, die meisten im Osten und Süden. Inzwischen breiten sie sich aber deutlich aus, bis auf die britischen Inseln und Island gibt es in praktisch allen Ländern Wolfssichtungen. Und es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis selbst in den Beneluxstaaten Wölfe nicht nur durchwandern, sondern auch Familien gründen.
Der Wolf als Projektionsfläche
Leider stimmt es nicht, dass Menschen nur dort ablehnend reagieren, wo der Wolf erst in jüngster Zeit wieder zurückgekehrt ist. Auch ein längeres Nebeneinader von Wolf und Mensch schützt vor Vorurteilen und Freund-Feind-Denken nicht. Immer wieder dient der Wolf auch als Projektionsfläche für ganz andere Sorgen und Konflikte, etwa den Gegensatz von Stadt und Land oder Tradition gegen Moderne. Eine Projektion, die für den Wolf im Zweifelsfall tödlich endet.
Für Guillaume Chapron von der Uni für Agrarwissenschaften im schwedischen Uppsala ist der Umgang mit dem Wolf Abbild des gesellschaftlichen Grundverständnisses: „In den nordischen Ländern erwarten wir, dass alles perfekt funktioniert und sich der Staat um alles kümmert. Da bringt der Wolf sozusagen das System durcheinander. Weiter im Süden akzeptiert man, dass das Leben nicht immer glatt läuft.“
Rabiate Skandinavier
Chapron hat insofern recht, als man in Skandinavien trotz relativ kleiner Bestände ausgesprochen rabiat mit dem Wolf umgeht. In Norwegen, Schweden und Finnland gibt es jährliche Jagdquoten, zwar mit verschiedenen Modellen, aber alle mit dem Effekt, dass der Bestand klein gehalten wird.
So hat man in Schweden eigentlich eine Untergrenze von 300 Wölfen definiert, unter die der Bestand nicht sinken soll. In der Praxis der Jagdquoten wurde daraus aber eine Obergrenze. Zusätzlich gibt es eine „Schutzjagd“ – auch auf Bären und Vielfraße –, wenn Herdenschutzmaßnahmen nicht fruchten. Diese Schutzjagd hat es auch vielen deutschen Jägern und Politikern angetan. Zuletzt forderte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer eine „präventive Kontrolle“ nach dem vermeintlichen Vorbild der Schutzjagd. Die tatsächliche Schutzjagd hat aber mit Prävention oder Bestandreduzierung gar nichts zu tun.
Im Zweifel Selbsthilfe
Wirklich entspannt ist der Umgang mit dem Wolf auch im Süden nicht. So leben etwa in Spanien offiziell 2500 Wölfe. Trotz dieser Größe gibt es so gut wie keine Ausbreitungstendenz. Das liegt mit daran, dass Hirten und Vielhalter im Zweifel nicht auf den Staat warten, sondern zur Selbsthilfe greifen.
Wer nach Vorbildern sucht, sollte daher eher nach Italien schauen. Knapp 2000 Wölfe leben hier, der Großteil im Apennin, weitere in den Alpen. Auch hier gibt es ein ständiges Ringen vor allem von Viehaltern und Naturschützern. Schon früh wurde ein intensives Monitoring etabliert und die Politik hat aber bisher den Versuchen widerstanden, die Konflikte mit der Waffe zu lösen.
Der kleine Bruder
Nächster heimischer Verwandter des Wolfs ist der Rotfuchs. Immer öfter lässt sich aber noch ein dritter Hundeartiger bei uns sehen, der Goldschakal. In der Größe zwischen Fuchs und Wolf, kommen Goldschakale von Kleinasien bis nach Indien vor. In Europa reicht das Verbreitungsgebiet bisher bis auf den Balkan, immer öfter werden einzelne Tiere aber auch weiter nördlich und westlich gesichtet.
Der aktuelle europäische Bestand wird auf über 100.000 Goldschakale geschätzt, also ein Vielfaches der Wolfspopulation. In Norditalien und im Osten Österreichs halten sich Goldschakale bereits regelmäßig auf, in Deutschland gibt es immer wieder einzelne Sichtungen. Wie Gentest zeigen, hat in Schleswig-Holstein 2017 ein Goldschakal sogar Schafe angegriffen, allerdings keines getötet. Ob die Schakale sich dauerhaft ansiedeln, ist ungewiss.
Erst jüngst verabschiedete die Zentralregierung einen neuen 22-Punkte-Managementplan, in dessen Mittelpunkt Herdenschutzmaßnahmen stehen. „Es ist nicht nötig, Wölfe zu töten“, betonte Umweltminister Sergio Costa bei der Vorstellung des Plans, „ein Zusammenleben mit dem Wolf ist möglich.“
Wölfe überqueren die Alpen
Die italienische Alpenpopulation hat sich in den letzten Jahren nach Frankreich und die Schweiz ausgedehnt, einzelne Alpenwölfe kamen bis nach Deutschland. In den Gebirgsregionen steht der Herdenschutz vor besonderen Herausforderungen, in Frankreich werden derzeit jährlich rund 10.000 Schafe von Wölfen gerissen. Frankreichs Bauern sind bekannt für ihre drastischen Protestmethoden, das geht bis zum Kidnapping von Behördenvertretern, damit diese den Abschuss von Wölfen freigeben. Tatsächlich ist es seit 2018 erlaubt, jährlich zehn Prozent der Wölfe zu töten. Dass dies großen Einfluss auf die Schafrisse haben wird, darf aber bezweifelt werden.
Volksabstimmung in der Schweiz?
In der Schweiz dürfen bisher einzelne Wölfe geschossen werden, wenn sie eine bestimmte Zahl von Nutztieren gerissen haben. Obwohl dort nur eine Handvoll Wölfe leben, soll es diesen jetzt noch leichter an den Kragen gehen. Eine Novelle des Jagdgesetzes wird derzeit im Parlament diskutiert. Der Ständerat als eine von zwei Kammern hat bereits deutliche Verschärfungen beschlossen. Wolfsrudel sollen durch Abschüsse reguliert werden können, selbst dann wenn sie keine Schäden verursacht haben. Die Kantone sollen darüber künftig ohne Zustimmung des Bundes entscheiden, obwohl Artenschutz in der Schweiz in die Hoheit des Bundes fällt.
„Dadurch wird der Umgang mit Arten wie Wolf oder Luchs noch stärker zum Spielball von Interessen einzelner Nutzergruppen“, fürchtet Werner Müller vom NABU-Partner BirdLife Schweiz. Die Umweltverbände planen nun eine Volksabstimmung zum Jagdgesetz.
Helge May
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