Sandstrohblumen gedeihen auf den offenen Sanden ebenso wie hier auf dem Schotter der ehemaligen Gleisanlagen.
Im Hüpfer-Paradies
Die Hauptstadt-Wüste lebt
Kein Zirpen und kein Kratzen, kein Ton, nichts zu hören. Einsteigern in die Insektenwelt sind Heuschrecken eigentlich wärmstens zu empfehlen. Kommen in Deutschland doch nicht einmal hundert Arten vor und die meisten lassen sich auch noch mühelos am Gesang erkennen. Doch gerade einige seltene, noch dazu gut getarnte Hüpfer bleiben leider stumm.
Wer am Biesenhorster Sand, Berlins wohl wichtigster innerstädtischer Brache, auf die Pirsch geht, muss die Tierchen am besten zunächst einmal aufscheuchen. Nur im kurzen Flug nämlich zeigen Ödlandschrecke und Sandschrecke ihre blauen Unterflügel. Blitzt es dagegen rot auf, war eine Italienische Schönschrecke unterwegs. Nun rasch merken, wo der Hüpfer landete, und zur Nahbetrachtung vorsichtig anschleichen.
Echte Raritäten
Während die Ödlandschrecke in einigen Regionen noch regelmäßig vorkommt, sind Sand- und Schönschrecke echte Raritäten. Der NABU führt daher seit einigen Jahren immer wieder Pflegeeinsätze durch, um wenigstens Teile des Gebiets im gewünschten Zustand zu erhalten. Nicht nur die Heuschrecken profitieren davon, sondern auch andere wärmeliebende Insekten, Dünen- und Steppenpflanzen sowie typische Vögel des Offenlandes.
Als schmales Band zieht sich der Biesenhorster Sand entlang des östlichen Bahn-Außenrings an der Bezirksgrenze zwischen Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg. Die Sande haben sich nach der Eiszeit abgelagert und sind bis zu zehn Meter mächtig. Nachdem im 19. Jahrhundert die Kiefern- und Birkenwälder Äckern Platz machen mussten, führte schon bald eine erste Eisenbahnstrecke durch das Gebiet. Die Nutzung wurde immer intensiver. 1909 entstand eine Luftschiffhalle, später kurz sogar ein Flugplatz und ab 1930 ein großer Rangierbahnhof. Im Mai 1945 wurde im Offizierskasino der angrenzenden Heeres-Pionierschule mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches Weltgeschichte geschrieben. Schließlich zogen die Weststreitkräfte der Roten Armee ein und nutzen auch die Frei- und Bahnflächen. Mit dem Abzug der Roten Armee 1994 fiel der Biesenhorster Sand dann brach.
Bäume auf dem Vormarsch
Auf weiten Flächen nimmt seitdem die natürliche Entwicklung ihren freien Lauf. Vegetationsarme Stellen sind hier, abgesehen von den geschotterten alten Gleisbetten, kaum mehr zu finden. Dicht wachsen Gräser und Stauden; Zitterpappeln, Traubenkirschen, Eschenahorn und Kiefern bilden erste Baumgruppen. Dazu kommen zahlreiche Gartenflüchtlinge, im Frühsommer etwa lässt das Schleierkraut eine weiß blühende Prärie entstehen, ab August wird dann wieder das Gelb der Goldruten dominieren.
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Heidenelke
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Schwefelkäfer auf den Blüten des Berghaarstrangs
Nach Öffnung des Gebiets hatten sich auf dem Biesenhorster Sand rasch wertvolle Pioniergesellschaften und Sandtrockenrasen in für Berlin ungewöhnlicher Größe gebildet. Hauben- und Heidelerche sowie Steinschmätzer brüteten. NABU-Experten stellten 382 verschiedene Farn- und Blütenpflanzenarten fest, auch hoch bedrohte wie Kleines Mädesüß, Tartaren- und Kegelleimkraut, Steinquendel und Gemüse-Lauch. Noch beeindruckender ist die Insektenwelt mit über 1300 Arten, darunter zahlreiche Erstnachweise für Berlin und Arten, die seit 50 oder 100 Jahren nicht mehr gefunden worden waren.
Juwel ohne Schutz?
Ein Juwel wie der Biesenhorster Sand verdient Schutz. Ein Landschaftsschutzgebiet soll ebenso entstehen wie auf Teilen ein Naturschutzgebiet. Seit zehn Jahren gibt es diese Pläne, doch passiert ist bisher nichts. „Niemand kann oder will sagen, woran es denn hakt“, beklagt Jens Scharon von der NABU-Bezirksgruppe Lichtenberg. Weite Bereiche sind heute Bahneigentum. Die Vermutung liegt nahe, dass die Bahn sich zunächst eine weitere Nutzung offenhalten will.
Der NABU konzentriert sich deshalb zunächst auf rund 20 Hektar in öffentlichem Eigentum. In diesem Jahr stand aus Ausgleichszahlungen erstmals auch Geld für Fachfirmen zur Verfügung. Abgebrannte Baracken und Unrat wurden entsorgt, mit schwerem Gerät konnten Gehölze entfernt werden, um die Trockenrasen zu erhalten und weiterzuentwickeln. „Was die Maschinen binnen weniger Tage vollbracht haben, hätten wir alleine von Hand nicht geschafft“, betont Scharon.
Bitte keine Abfälle!
Damit die geöffneten Flächen nicht wie in der Vergangenheit wieder zum Abladen von Gartenabfällen verleiten, wurde der Hauptzugang mit einem Geflecht aus Robinienästen verengt. Eine Tafel informiert über den Wert des Gebiets. Bereits in den ersten Monaten zeigen die Rodungen Erfolg. Die hellgelben Sandstrohblumen dehnen sich wieder aus, daneben blühen jetzt im Sommer violett die Rispen-Flockenblumen und weiß der Berg-Haarstrang, fleißig besucht von zahlreichen Schwefelkäfern.
Allerdings wird der kostspielige Maschineneinsatz die Ausnahme bleiben. Helfer für Arbeitseinsätze sind daher stets gesucht. Zuletzt packten auch 45 Mitarbeiter des Mobilfunk-Anbieters E-Plus mit an. Dabei sollte der NABU selbst genug Potential haben. „Immerhin gibt es in Berlin 14.000 NABU-Mitglieder. Wenn jedes zweite Mitglied, sagen wir jedes dritte, einmal im Jahr einen halben Tag mit anpacken würde, wäre doch in unseren sämtlichen Schutzgebieten ruckzuck alles erledigt“, meint Jens Scharon mit einem Zwinkern. Also liebe Mitglieder: Sie werden gebraucht, melden Sie sich – der NABU steht im Telefonbuch.
Helge May
Der NABU Berlin engagiert sich schon viele Jahre, um den Erhalt des Biesenhorster Sands. Das 108 Hektar große Gelände erstreckt sich in den Bezirken Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg-Hohenschönhausen entlang des Berliner Außenringes der Deutschen Bahn. Mehr →
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