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Unterwegs mit Storchenbetreuer Hans-Heinrich Zöllick



Mit schweren Schwingen kreist ein Weißstorch an diesem Morgen durch den blauen Himmel Vorpommerns. Er legt sich in den Wind, beobachtet, was unterhalb seines Nests passiert. Quietschend hält hier ein blauer Kranwagen, setzt rückwärts, verschwindet beinahe in einer angrenzenden Hecke. Heraus steigen fünf Leute. Der Motor knattert, mit einem Ruck setzt sich der Kran in Bewegung, aufwärts zu den Jungtieren.
„Wie viele sind da oben?“ ruft Linde Rodbertus von unten. „Drei“, antwortet Hans-Heinrich Zöllick. Seit 1974 ist er zwischen Rostock und Barth unterwegs, stets im Dienste des NABU-Wappentiers. Mit Friesenmütze, Hosenträger und Karohemd wirkt er eher wie ein Seebär, doch ihn zog es schon immer in die Lüfte. Erst als Flugzeugmechaniker, dann schloss er ein Ingenieurstudium ab, und heute, mit 88 Jahren, geht es für ihn noch immer hoch hinaus, auf die etwa zehn Meter hohen Storchennester.
Tagespensum: acht Nester
An diesem Vormittag will der Weißstorchbetreuer für Bad Doberan und Rostock die Jungvögel beringen. Dazu hat er sich auf den Weg gemacht, mit einem Mitarbeiter der örtlichen Agrargenossenschaft. Dieser hat für diesen Tag extra frei bekommen und steuert den Kranwagen. Außerdem dabei: Hans Wolfgang Nehls, enger Freund des Storchenexperten und ehemaliger Kurator des Zoo Rostock. Er bringt für diesen Tag Wichtiges mit: Die Beringungserlaubnis sowie entsprechende Manschetten der Beringungszentrale Hiddensee. Zusätzlich sind zwei Freunde mit dabei, die Hans-Heinrich Zöllick in seinem Engagement unterstützen.
In einem Wäschekorb bringt Hans Wolfgang Nehls zunächst die drei Jungstörche aus ihrem Nest. Behutsam wiegt er sie, ihr Erscheinungsbild wird protokolliert: „2460 Gramm“. Hans-Heinrich Zöllick ist zufrieden mit der Entwicklung der Jungtiere. Wenigstens acht Nester will er an diesem Tag schaffen. Eine weite Tour liegt vor dem Team. Für Zöllick ist das nichts Ungewöhnliches, bis vor wenigen Jahren koordinierte er noch ganz Mecklenburg-Vorpommern als Landesbetreuer.
„Pro Jahr lege ich etwa 10.000 Kilometer zurück“, sagt er, „die meisten davon für die Störche.“ Will er alle Nester seines Gebiets abfahren, kommt jedes Mal eine Strecke von 600 Kilometern zusammen. Und diese Strecke fährt er mehrfach im Jahr. Dann schaut er, ob und wann die Störche aus ihren Winterquartieren zurückkommen, welche Nester leer bleiben, ob die Paare Kinder bekommen und schließlich beringt er den Nachwuchs. Auch wenn ein Notruf eingeht, setzt sich der 88-Jährige sofort ins Auto. „Ich denke mir immer: Andere machen Frühschoppen, mein Frühschoppen geht in den Tank“, sagt er und lacht.
Kaum mehr „Dachstörche“
Gern erinnert er sich auch an frühere Zeiten, als die Dächer noch rohrgedeckt und die Autos seltener waren. Damals fuhr er mit einem Trabi durch die Lande, im Gepäck eine selbstgebaute Dachdeckerleiter, die irgendwie in seinem Gefährt verstaut werden musste. Konnte er einmal nicht an die Nester herankommen, kletterte er notfalls am Blitzableiter hoch.
Inzwischen, so erklärt er, gibt es kaum mehr Störche, die auf Dächern nisten. Als das Rohr auf den Häusern verschwand, suchten sie sich neue Plätze, häufig auf Strommasten. Weil die Leitungen inzwischen aber zum Großteil unterirdisch verlaufen, hat der örtliche Stromanbieter für Ausgleich gesorgt: Nisthilfen wurden betoniert, auf denen heute die meisten der Störche unterkommen.
Doch nicht nur Standortveränderungen müssen die eigentlich nistplatztreuen Zugvögel kompensieren. Auch die Landschaft hat sich stark verändert und macht es den Störchen zunehmend schwer, passende Nahrung zu finden. Störche lieben Feuchtgrünland und Flussauen, offene Landschaften mit periodischen Überschwemmungen, Kleingewässer und extensiv genutzte Wiesen und Weiden. Hier finden sie die rund 4,5 Kilogramm Futter, die sie pro Tag benötigen, um eine Storchenfamilie zu ernähren. Doch die moderne Landwirtschaft setzt ihnen zu – beispielsweise wenn Wiesen nahe des Nestes in Maisacker umgewandelt werden oder Feuchtgrünland entwässert wird. In Mecklenburg-Vorpommern ist nicht zuletzt deshalb der Storchenbestand zwischen 2000 und 2010 um 30 Prozent zurückgegangen.
Storchenschnack mit Erdbeerkuchen
„Viele Störche meiden auch die Felder, auf denen gespritzt wird“, weiß der Eigentümer des Hauses, auf dessen Grundstück das nächste Nest steht. Hans-Heinrich Zöllick pflegt gute Kontakte zu all seinen „Storcheltern“, sie heißen ihn willkommen, manchmal sogar mit Kaffee und Kuchen. Denn den Leuten liegen ihre Störche am Herzen – und damit auch „Storchenvater“ Hans-Heinrich Zöllick, wie er liebevoll genannt wird. Beim Erdbeerkuchen tauschen sie sich über Herrmann und Anna aus, die beiden Störche des Hauses. Dieses Jahr war Hermann zunächst eine Woche allein, als er aus dem Winterquartier zurückkehrte. Die Hauseigentümer waren in Sorge, doch Anna kam nach – und nun hat das Storchenpaar drei Jungtiere im Nest.
All diese Geschichten kennt Zöllick, und er hält sie fest. Für jeden Horst hat er eine Prospekthülle angelegt, in der er die Entwicklungen aufzeichnet. „Das Kontinuierliche ist das Wichtigste im Storchenschutz“, erklärt er. Und deshalb hat er auch ein eigenes Monitoring gestartet, das in diesem Jahr endet. Fünf Jahre lang beobachtete er 15 Nester nach verschiedenen Kriterien: Gelegestärke, Bruterfolg, Ankunftsdaten, Wetterlage – all das hat er erfasst. Die Daten will er nun auswerten und veröffentlichen. Dazu hat er seit Kurzem Unterstützung, für die er dankbar ist: ein Nachfolger mit Computerkenntnissen. „Wir ergänzen uns sehr gut“, sagt Hans-Heinrich Zöllick. Und während er das sagt, wirkt er nicht so, als wolle er damit auch nur ein kleines Stückchen kürzer treten.
Iris Barthel