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Bei Caldern darf die Lahn wieder natürlich fließen
Auf das Anrollen des Baggers hatten Kurt Moog und Karl Busch vom NABU Lahntal lange gewartet. Im Frühjahr des letzten Jahres war es endlich soweit: Der starke Greifarm hob Stein um Stein aus der Uferböschung des Flusses und verfrachtete sie ans Ufer. Manche Felsbrocken ließ er auch einfach in die Mitte der Lahn plumpsen. Ein Bagger, der den Fluss aufreißt – was hat denn das mit Naturschutz zu tun? Diese Frage musste auch Hartmut Mai, Vorsitzender der NABU-Stiftung Hessisches Naturerbe, ein ums andere Mal beantworten. Zusammen mit den regionalen Naturschutzbehörden hatte er den Plan ausgeheckt, der Lahn auf über einem Kilometer Länge wieder freien Lauf zu lassen und damit neuen Lebensraum für eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt zu schaffen.
Hochwasser entschärfen
Vor über hundert Jahren war die obere Lahn mit dicken Felsblöcken in ein enges Korsett geschnürt worden, um mehr nutzbares Ackerland rechts und links des Flusses zu schaffen. Die Verbauung der Ufer führte nicht nur zu einer enormen Verarmung der Landschaft, sondern auch zu gefährlichen Hochwassern im Frühling, da sich das Wasser nicht mehr auf den Flusswiesen stauen konnte. Auf einer etwa sieben Hektar großen Eigentumsfläche der NABU-Stiftung zwischen Kernbach und Caldern sollte die Lahn nun wieder naturnah fließen können.
Der Einsatz des Baggers diente nicht dazu, einen komplett neuen Flussverlauf zu modellieren. Er war vielmehr als Unterstützung für die Lahn gedacht, sich ihr eigenes Bett selbst zu gestalten. Die Kraft des Flusses hatte in den letzten Jahrzehnten schon einzelne Felsblöcke aus der Verbauung herausschwemmen können. Nun half der Bagger noch etwas nach.
Nach einer Woche Bauzeit war das Werk vollbracht. Überall im Fluss lagen Steinbrocken verstreut, die das Lahnwasser abbremsten und über den Fels springen ließen. Sie halfen dabei, eine reich strukturierte Flusssohle zu schaffen, in der sich die verschiedensten Wasserinsekten wohlfühlen können. In der Folgezeit verkeilten sich erste Äste und kleine Stämme und trugen dazu bei, die Fließgeschwindigkeit an einzelnen Stellen weiter zu verringern. Umgestürzte Bäume forcierten den Prozess. Bis zum Herbst hatte sich die Lahn schon ein ganzes Stück Natur zurückerobert.
Neuer Auwald entsteht
Dann begann die zweite Phase der Lahn-Renaturierung. Nach dem Ende der Fischlaichzeit rückte wieder der Bagger an. Diesmal hob er auf den Wiesen zwei große Fluss-Nebenarme aus. Die etwa drei Meter tiefen und fünf Meter breiten Flutrinnen verzweigten den Flussabschnitt zu einer abwechslungsreichen Auenlandschaft mit steilen Uferhängen, sandigen Kiesstellen und ruhigen Flachwasserzonen. Zwischen den länglichen Mulden und der Lahn soll nun nach und nach ein kleiner Auenwald entstehen. Mit der gezielten Anpflanzung von Schwarzpappeln und Stieleichen wurde die Auwaldentwicklung ein wenig unterstützt.
Am Ende der Flussbaggerei war NABU-Schutzgebietsbetreuer Kurt Moog mit dem Ergebnis mehr als zufrieden. Die Lahn hatte sich schon im ersten Sommer prächtig entfaltet und bot ein beeindruckendes Naturschauspiel. So inspizierten einzelne Eisvögel und Uferschwalben die neuen Steilhänge zum Bau von Brutröhren. Frisch entstandene Kiesbänke lockten Flussregenpfeifer und Flussuferläufer an. Auf den Steinen hüpfte die Wasseramsel umher. Auch Sumpfrohrsänger und Wiesenpieper konnten in der Lahnaue beobachtet werden, das Schwarzkehlchen ließ sich sogar erstmals zum Brüten nieder. Kleine Zangenlibelle und Gebänderte Prachtlibelle führten ihre verwegenen Flugkünste vor. Die Tiere stammten aus naturnahen Flussabschnitten unterhalb von Caldern, die schon in früheren Jahren zu artenreichen Biotopen umgestaltet worden waren.
Hoffnung für die Gelbbauchunke
Mit der Erfassung der Tier- und Pflanzenwelt vor und nach der Naturschutzaktion wurde die Entwicklung der biologischen Vielfalt wissenschaftlich begleitet. So kartierten ehrenamtlich tätige NABU-Fachleute die Vogel- und Insektenarten am Fluss und erforschten, wie sich die Artenzusammensetzung verändert. Die Untersuchung der Lahnfische wurde von einem Fachbüro übernommen. Das Monitoring der Tiere und Pflanzen soll auch künftig fortgesetzt werden, um festzustellen, wie sich die Artenvielfalt an der Lahn langfristig entwickelt. Der NABU plant zudem die Wiederansiedlung der in Hessen selten gewordenen Gelbbauchunke. Die kiesigen Flutrinnen mit ihren jährlich vom Wasser neu geschaffenen kleinen Tümpeln bieten ideale Lebensbedingungen für den gefährdeten Lurch.
Für Hartmut Mai ist die Lahn-Renaturierung ein Paradebeispiel des erfolgreichen Naturschutzes. Ohne die gute Zusammenarbeit von NABU, Wasserbehörde, Naturschutzbehörde, Landkreis und Gemeinde wäre das Lahnprojekt nicht möglich gewesen. Es dient gleichzeitig dem Schutz der Natur und der Abwehr von Hochwasserschäden in den Ortschaften längs des Flusses. Mai träumt schon längst weiter: von einer naturnahen Lahn von der Quelle im Rothaargebirge bis zur Mündung in den Rhein.
Berthold Langenhorst