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Im Erzgebirge gehen Naturschutz, Heimatgeschichte und Alt-Bergbau zusammen
Bevor Wolfgang Prehl weiter in den Stollen vordringt, steckt er seine Kennmarke auf eine verwitterte Holztafel mit der Aufschrift „Untertage“. De Marke signalisiert, dass ein Mensch im unterirdischen Gangsystem unterwegs ist – für Bergleute kann das lebensrettend sein.
Prehl rückt seinen Helm zurecht und folgt den Gleisen der Grubenbahn ins Innere des Berges. Er geht leicht gebückt; trotzdem stößt er zuweilen an die von schweren Holzbalken abgefangene Decke. Es ist feucht. Von den Felswänden, die im fahlen Grubenlicht rotbraun schimmern, tropft Wasser, das sich seitlich in einer Rinne sammelt.
Im Engländer-Stollen sollte gegen Kriegsende Wolframit für die Panzerstahl-Herstellung abgebaut werden. Doch dazu kam es nicht mehr: Im August 1945 wurde der Grubenbetrieb eingestellt. Der Stollen-Eingang, im Bergbau-Jargon Mundloch genannt, wurde verschüttet und zugemauert. Bis ins Jahr 2001 blieb die Bergwerksanlage ihrem Schicksal überlassen. Dann kam Wolfgang Prehl: 2003 legten er und Aktive seiner NABU-Gruppe in mühseliger Handarbeit das Mundloch des Engländer-Stollens wieder frei. Tonnenweise schafften sie Schutt- und Gesteinsmassen in den Loren der Grubenbahn aus dem Stollen heraus. „Das war Knochenarbeit“, erinnert sich Prehl.
Refugium für Molch und Fledermaus
Zwar sind die Arbeiten im Engländer-Stollen noch längst nicht abgeschlossen, doch der Eingangsbereich bis zum Grubenkreuz und die davon abzweigenden Gänge sind weitgehend freigeräumt. Das Mundloch haben Prehl und seine Mitstreiter mit einem Gittertor gesichert, das Faltern, Bergmolchen, Erdkröten oder Fledermäusen ungehinderten Zugang zum unterirdischen Gangsystem ermöglicht. Wolfgang Prehl deutet auf die vielen Höhlungen in den Felswänden, die als Winterquartier für Fledermäuse gebohrt wurden. „Im Engländer-Stollen überwintern regelmäßig Braune Langohren und Große Mausohren“, sagt er. Um den Winterschlaf der Tiere nicht zu stören, ruhen in den Wintermonaten die Arbeiten.
Prehl, einst Betriebselektriker beim „VEB Möbelstoffe“ im sächsischen Kirchberg, einer Kleinstadt am Rande des Erzgebirges nahe Zwickau, hat die Kirchberger Gruppe noch zu DDR-Zeiten gegründet. „Am Anfang waren wir zu dritt“, erinnert sich der 63-Jährige. Heute zählt die Gruppe, die sich mit vollem Namen Kirchberger Natur- und Heimatfreunde nennt, 52 Mitglieder und vereinigt unter ihrem Dach die drei Bereiche Naturschutz, Heimatgeschichte und Geschichte des Bergbaus. Prehl legt großen Wert auf den Erhalt bergmännischer Traditionen, denn der Bergbau im Erzgebirge blickt zurück auf eine über 700-jährige Geschichte.
Waldumbau am Hohen Forst
Dass in einer Region, in der man sich noch heute mit „Glückauf“ begrüßt, Bergbau, Naturschutz und Heimatgeschichte ineinander verwoben sind, zeigt sich auch im Natur- und Bergbau-Lehrpfad „Zum Hohen Forst“, für den die NABU-Aktiven unzählige Stunden ihrer Freizeit geopfert haben. Der Lehrpfad macht anhand von stillgelegten Bergbau-Stollen, den Überresten einer mittelalterlichen Burganlage und den Besonderheiten der Landschaft am Hohen Forst die Geschichte der Region lebendig und bringt den Wanderern zugleich die Schönheiten von Flora und Fauna zu Bewusstsein. Elf Bildtafeln am Wegesrand erläutern die einzelnen Stationen des Lehrpfades.
Wolfgang Prehl, dem die Holzfällerjacke wie eine zweite Haut am Körper sitzt, geht den Waldweg hangaufwärts. Der von Fichtennadeln bedeckte Boden federt unter seinem Schritt. „Früher wuchsen hier hauptsächlich Buchen, Eichen und Tannen“, sagt Prehl und streicht sich mit der Hand über den grauen Vollbart. „Heute dominiert die Fichte.“ Doch das ändert sich gerade: Am Hohen Forst ist der Waldumbau in vollem Gange. Immer wieder führt der Weg vorbei an Schonungen mit Buchen und Weißtannen, die eines Tages an die Stelle der Fichten treten sollen. Denn die hitzeempfindliche Fichte verträgt die im Zuge des Klimawandels steigenden Temperaturen mehr schlecht als recht.
Vernarbte Wunden des Bergbaus
Der Landschaft am Hohen Forst hat der Bergbau seinen unverkennbaren Stempel aufgedrückt. Das Gelände ist durchzogen von trichterförmigen Vertiefungen, Pingen genannt, die aus eingebrochenen Stolllen und eingestürzten Tagebauschächten entstanden. Die größten von ihnen haben einen Durchmesser von 15 Metern und sind bis zu sechs Meter tief. Heute sind die einst vom Bergbau geschlagenen Wunden vernarbt: Die Löcher und Mulden sind zugewachsen mit Sauerklee und Farnkraut; an die abfallenden Ränder klammern sich die Fichten mit ihren Wurzeln. Vogelgezwitscher erfüllt die klare Luft. Überall in den Bäumen hängen Nistkästen, mit denen Wolfgang Prehl und seine Leute den Hohen Forst systematisch bestückt haben.
Ein paar Schritte hangaufwärts ist ein fast kreisrunder Hügel erkennbar, der von den zugewachsenen Überresten eines Grabens und eines Ringwalls umgeben ist. Im Mittelalter stand dort ein festes Haus, vermutlich ein aus Steinen gefügter Wehrturm, der zum Schutz des weiter unten gelegenen Silberbergwerks diente. Wann und warum die Wehranlage geschleift wurde, ist nicht überliefert. Wolfgang Prehl hat einen Traum: Eines Tages will er die Überreste soweit freilegen, dass zu erkennen ist, wie es damals hier ausgesehen hat. Er deutet auf eine mit bemoosten Steinen gefasste Grube: „Das war die Wasserstelle der Burg“, sagt er. „Könnten diese Steine reden, wüssten wir jetzt mehr.“
Hartmut Netz
Das Besucher-Bergwerk „Am Graben“ in Kirchberg kann nach Absprache besichtigt werden: Tel. 037602-6032, nabu-og-kirchberg@t-online.de. Weitere Infos: www.kirchberger-bergbrueder.de.