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Das NABU-Zentrum Mössingen kümmert sich um verletzte Tiere
„Was macht ihr jetzt mit dem Vogel?“, fragt Petra Krebs-Wagner, als sie gemeinsam mit ihren Kindern eine verletzte Krähe ins NABU-Vogelschutzzentrum nach Mössingen im Kreis Tübingen bringt. Das Tier wirkt benommen, ein Auge ist stark angeschwollen.
Julia Eberspach, Mitarbeiterin des NABU-Vogelschutzzentrums, untersucht die Krähe umgehend. Das Zentrum wurde 1994 von ehrenamtlich tätigen Naturschützern aus der Region gegründet und in jahrelanger Arbeit aufgebaut. Die Mitarbeiter nehmen verletzte und hilflose Vögel auf, pflegen sie und lassen sie nach ihrer Genesung wieder frei. Allein im vergangenen Jahr haben sich die Vogelexperten um 914 tierische Patienten gekümmert.
Während Eberspach den Vogel vorsichtig abtastet, ihn anschaut und schließlich am Schnabel den Atem abhört, gehen die Kinder auf Entdeckungsreise. Es dauert nicht lange, da haben sie ein mehrfaches Fiepen gehört und die kleinen Meisen entdeckt, die nur wenige Stunden zuvor im Vogelschutzzentrum abgegeben wurede.
Einmal streicheln dürfen
Die Geschwister sind aufgeregt und können es nicht erwarten, einen der Jungvögel zu streicheln. Behutsam setzt Eberspachs Kollegin Rebecca Strege eine Meise auf ihre Hand. Langsam streicheln die Kinder dem Tier über seine wachsenden Federn und den zum Teil noch nackten Körper. Inzwischen hat Eberspach ihre Untersuchung abgeschlossen: Es sieht nicht gut aus für die Krähe. „Das Tier ist wahrscheinlich mit einem Auto kollidiert und leidet an einem Schädel-Hirn-Trauma“, vermutet die Vogelexpertin. Auch das Auge macht keinen guten Eindruck. Die Krähe kommt zunächst in einen Käfig, wo sie erst einmal beobachtet wird.
Die Mitarbeiter kümmern sich nicht nur um verletzte Tiere, sondern arbeiten auch an ornithologischen Grundlagenuntersuchungen. Die Aufträge dazu erhält das Vogelschutzzentrum von Behörden, Firmen oder anderen Institutionen. So beauftragte der Betriebliche Umweltschutz der Daimler AG das Zentrum, den Bestand von Vögeln und Fledermäusen auf ihrem Werksgelände in Sindelfingen sowie den angrenzenden Liegenschaften zu erfassen. Daran anschließend sollen Maßnahmen zur Optimierung der Lebensbedingungen entwickelt werden. Außerdem ist das Mössinger Zentrum in der Umweltbildung aktiv. „Seit der NABU-Landesverband Anfang des Jahres die Trägerschaft übernommen hat, ist das Vogelschutzzentrum in der öffentlichen Wahrnehmung noch einmal deutlich aufgewertet worden“, sagt Zentrumsleiter Dr. Daniel Schmidt.
Nicht alle Patienten überleben
Wenn der Biologe die vergangenen Jahre Revue passieren lässt, denkt er gern an einen besonderen Patienten zurück, der bei Calw gefunden wurde. „Dabei handelte es sich um einen geschwächten Gänsegeier, den wir mit größeren Fleischrationen wieder aufgepäppelt haben. Nach einigen Wochen konnten wir ihn vor laufenden Kameras wieder freilassen“, berichtet Schmidt. So erfreulich wie bei dem Gänsegeier laufen jedoch nicht alle Krankengeschichten ab. „Zwei Drittel der Tiere, die zu uns gebracht werden, sind so schwer verletzt, dass wir sie von ihrem Leid erlösen müssen“, bedauert der Zentrumsleiter. Den anderen Tieren könne aber geholfen werden.
Guter Dinge ist Schmidt bei einem Schwarzmilan, der ein paar Tage zuvor total entkräftet am Neckarufer gefunden wurde. Fünf Handschwingen des linken Flügels fehlen. Doch der Schnabel des Tieres ist in Ordnung, auf den Schleimhäuten sind keine Beläge zu sehen und auch die Muskeln scheinen soweit intakt zu sein. „Wenn die neuen Federn rechtzeitig wachsen, lassen wir den Vogel noch vor den Wintermonaten frei, damit er in den Süden ziehen kann“, erläutert Schmidt: „Ansonsten bleibt er bis zum kommenden Frühjahr hier.“
Meise aus dem Möbelladen
Der Zentrumsleiter hat die Untersuchung des Tiers noch nicht lange abgeschlossen, als ein Ehepaar eine junge Meise vorbeibringt, die sie beim Einkaufen in der Möbelabteilung eines Geschäftes gefunden haben. „Ein Nest haben wir vor dem Laden nicht entdecken können, deswegen haben wir den Vogel hergebracht“, berichtet Stefanie Valisena. Pflegerin Strege macht sich sofort daran, einen Aufzuchtbrei für den Jungvogel herzurichten und füttert diesen mit einer abgeschnittenen Spritze. Soweit es kann, streckt das Tier seinen Schnabel auf und schluckt den Brei hinunter. Alle zwei Stunden füttern die Mitarbeiter auch die anderen Jungvögel. Und von denen gibt es im Frühling im Vogelschutzzentrum eine ganze Menge: ein junger Wanderfalke, Waldohreulen, Waldkäuze, Tauben und Rabenkrähen.
„Meistens rufen die Leute an, bevor sie Vögel bringen und wollen wissen, was sie tun sollen“, berichtet Strege. Die Mitarbeiter fragen dann, ob sich ein Nest in der Nähe befindet oder ein Elternteil zu sehen ist. Eines von beidem ist häufig der Fall. Werden die Menschen jedoch nicht fündig, bringen sie die Vögel nach Mössingen. Von den Pflegern erhalten sie eine Karte mit der Telefonnummer des NABU-Vogelschutzzentrums, wo sie nachfragen können, wie es dem Tier geht. Auch Stefanie Valisena und Familie Krebs-Wagner möchten sich erkundigen: Denn sie hoffen, dass die Vögel, die sie gefunden haben, groß oder wieder gesund werden und bald in die Freiheit entlassen werden können.
Bianka Brobeil