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Wanderfalkenschutz in Nordrhein-Westfalen
„Wir sind sicher eines der besten und erfolgreichsten Artenschutzprojekte in Nordrhein-Westfalen.“ Dr. Peter Wegner, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz im NABU Nordrhein-Westfalen, spart sich jede falsche Bescheidenheit – mit Recht. Denn ab Anfang der 1970er Jahre war der Wanderfalke in NRW verschwunden und stand in Deutschland kurz vor dem Aussterben. Auch deshalb war der Wanderfalke 1971 der erste vom NABU gekürte „Vogel des Jahres“. Heute brüten deutschlandweit wieder rund 1000 Paare, alleine gut 150 davon in Nordrhein-Westfalen.
Verfolgung und Störung durch den Menschen, vor allem aber Pestizide wie DDT waren dafür verantwortlich, dass der nationale Wanderfalkenbestand auf einen Rest von weniger als 50 Paaren in Süddeutschland geschrumpft war. Die Umweltgifte gelangten durch verseuchte Beutetiere in die Falken und reicherten sich im Körper an. Viele Eier waren taub oder zerbrachen bereits im Nest, da die Eierschalen immer dünner wurden. Embryonen und Jungtiere waren durch die Belastung mit DDT extrem anfällig, was zu einer enormen Sterblichkeitsrate führte.
Die Wende kam 1972 mit dem DDT-Verbot in Deutschland. Die zunächst weltweite Ächtung des Insektenvernichtungsmittels ab 2004 ist heute durch die Wiederausbreitung der Malaria teilweise wieder aufgehoben. „Ohne gezielte Schutzmaßnahmen hätte sich die Art dennoch kaum erholt“, erinnert sich Peter Wegner. Die Horste mussten rund um die Uhr bewacht werden, vor allem Taubenzüchter, illegale Händler und Falkner hatten es auf den Wanderfalken abgesehen.
Die dunkle Phase
Wegner ist seit seiner Kindheit in Ostdeutschland von dem akrobatischen Flugkünstler fasziniert. Die „dunkle Phase“ – so nennt er die Zeit des DDT-bedingten Beinahe-Aussterbens heute – brachte ihn dazu, sich für den Wanderfalken zu engagieren, zunächst in der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz in Baden-Württemberg.
Der große Falke hat eine Flügelspannweite von 85 bis 115 Zentimetern und ist im Flug gut an seinen schnellen und kraftvollen Flügelschlägen, dem relativ kurzen Schwanz sowie seinen langen und spitzen Schwingen zu erkennen. Die Oberseite ist graublau, die Unterseite heller mit dunklen Querbändern. Der Wanderfalke kommt weltweit vor und ist sehr anpassungsfähig. Er brütet an Felsen und in Steinbrüchen, in Ostdeutschland bis zum Ural auch auf Bäumen in alten Greifvogelhorsten. Gerne nutzt er Nisthilfen an hohen Gebäuden.
Zwischen März und Mai legt das Weibchen in der Regel drei bis vier Eier. Nach dem Schlüpfen verbleiben die Jungtiere gut sechs Wochen im Horst, bis sie in der anschließenden, bis zu acht Wochen andauernden „Bettelflugperiode“ das selbstständige Beuteschlagen erlernen.
Der Wanderfalke ist ein hoch spezialisierter Vogeljäger und erlegt seine Beute in der Luft. Dabei kann er mit einer Geschwindigkeit von bis zu 300 Stundenkilometern auf die Beute zustoßen und ihr die Krallen in den Rücken schlagen. Manchmal fliegt er auch flach über dem Boden, um plötzlich seine überraschte Beute von unten zu greifen. Anschließend wird das erlegte Tier auf einer sogenannten Rupfkanzel – etwa einem Felsvorsprung – zerlegt.
Über Rheinland-Pfalz drifteten Mitte der 1980er Jahre die ersten Wanderfalken in Richtung Nordrhein-Westfalen. In Bonn hatte sich damals eine zunächst lose Gruppierung um Helmut Brücher – heute Sprecher des Landesfachausschusses Naturschutz und Jagd im NABU NRW – gegründet, um dem Wanderfalken gute Startbedingungen zu schaffen, erinnert sich Peter Wegner: „Ich habe dann zusammen mit Brücher die Leitung der neu gegründeten AG Wanderfalkenschutz übernommen.“ Die kleine Gruppe wuchs mit den Jahren rapide an, heute kommen bis zu 150 Menschen zu den Jahresversammlungen.
Was macht die Faszination dieses Tieres aus? „Vor allem seine Schönheit und Leistungsfähigkeit“, sagt Wegner. Der 72-jährige pensionierte Chemiker, einst Leiter der Farbenproduktion bei Bayer in Leverkusen, erwähnt aber auch den besonderen Nimbus als „Speerspitze des Naturschutzes“, den der Wanderfalke bei vielen Vogelfreunden genießt: „Seit den 70er Jahren trägt der Wanderfalke als ,leidende Art‘ fast einen Heiligenschein.“
10.000 Kilometer pro Jahr
Auch deshalb nehmen viele ehrenamtliche Naturschützer die Mühen auf sich, die der aktive Schutz des Wanderfalken mit sich bringt. Sie bewachen Horste, legen künstliche Brutmöglichkeiten an, beringen die Vögel und kümmern sich um verunglückte oder kranke Tiere. „Einige von uns sind pro Jahr rund 10.000 Kilometer mit dem Auto in Nordrhein-Westfalen unterwegs, da kommen locker mehr als 500 Stunden zusammen.“ Die Wanderfalkenschützer freuen sich daher über jeden neuen Mitstreiter, vor allem über „Revierplatzverantwortliche“, die das Brutgeschäft zwischen März und Mai kontinuierlich verfolgen. Besonders begehrt sind erfahrene Industriekletterer, die zur Beringungszeit Schornsteine erklimmen oder sich von Autobahnbrücken abseilen.
Der Einsatz wird zuweilen mit außerordentlichen Erlebnissen belohnt. So erinnert sich Wegner an ein Falkenweibchen in Bochum, das seelenruhig daneben saß, als die Jungtiere beringt wurden. Ein Paar nistete hinter der Treppe eines aktiven Braunkohlebaggers in 60 Metern Höhe. Immer wieder lassen sich besonders zwischen Weibchen heftige Kämpfe um einen Brutplatz beobachten, die mitunter tödlich enden.
Ausbreitung in die Niederlande
Über den reinen Schutz hinaus tragen die Wanderfalkenschützer auch viele neue Erkenntnisse über die Art zusammen. Welche Gifte gefährden die Art heute, wie treu sind Falken ihrem Partner, belegen sie den gleichen Brutplatz immer wieder – diesen und anderen Fragen gehen Wegner und seine Mitstreiter nach. Die AG Wanderfalkenschutz beringt die Vögel mit speziellen codierten Ringen, die sich mit dem Spektiv erkennen lassen. „Dadurch liegt unsere Wiederfundrate beringter Falken bei rund 25 Prozent, gegenüber sonst höchstens zehn Prozent“, betont Wegner. Auf diese Art habe man auch feststellen können, dass Belgien und die Niederlande nahezu komplett von Nordrhein-Westfalen aus besiedelt wurden.
Mit rund 150 Brutpaaren ist heute ein „historisch einmaliger Höchststand“ für das Gebiet Nordrhein-Westfalens erreicht, so Wegner. Verbreitungsschwerpunkte seien die Regierungsbezirke Düsseldorf und Arnsberg, in anderen Teilen des Landes gebe es aber noch Luft nach oben: „Vor allem in den dünner besiedelten Gebieten Ostwestfalens und in Teilen den Münsterlandes gibt es weiteres Ausbreitungspotenzial mit Brutplätzen auf Kirchen und Brücken.“ Bis die Bestandsobergrenze in NRW erreicht sei, könnten noch einige Jahre vergehen, meint Wegner: „200 Brutpaare haben bei uns schon Platz.“
Bernd Pieper