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Windenergie-auf-See-Gesetz schränkt Naturschutz in Nord- und Ostsee massiv ein



Bau des Offshore-Windparks Baltic 1 - Foto: NABU/Andreas Fußer
Zum 1. Januar 2023 sind die Änderungen des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) in Kraft getreten. Damit will die Regierung den im Koalitionsvertrag vereinbarten Offshore Windausbau auf 70 Gigawatt bis 2045 gesetzlich absichern. Aus Sicht des NABU ist dieses Ausbauziel nicht mit den Zielen des Arten- und Habitatschutzes vereinbar. Eine juristische Analyse nimmt das Gesetz unter die Lupe und wirft zahlreiche Fragen bezüglich des europäischen Naturschutzrechts auf, die einen schnellen und naturverträglichen Ausbau eher ausbremsen als beschleunigen werden.
Der Ausstieg aus den fossilen Energieimporten ist alternativlos, das zeigt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine in bedrückender Dramatik. Aber das Gesetz privilegiert einseitig Offshore-Wind und spielt so Klimaschutz gegen den ebenso dringlichen Meeresnaturschutz aus. Im Sinne einer Planbeschleunigung werden Umweltprüfungen ausgehöhlt, Beteiligungsrechte für Verbände geschwächt und Meeresschutzgebiete für Windparks geöffnet. Dabei sind mit steigendem Nutzungsdruck bedrohte Arten umso mehr auf ungestörte, nutzungsfreie Rückzugsräume angewiesen.
Was bedeuten 70 GW Wind für ...
... die Meere?
Die Meere sind als CO₂-Speicher und Hitzepuffer unsere wichtigsten Verbündeten gegen die Klimakrise, wie der Ozean-Bericht des Weltklimarats (IPCC) aus dem Jahr 2019 eindrucksvoll zeigt. Die Balance zwischen technischem Klimaschutz und der Resilienz gesunder und vielfältiger Meere in der Klimakrise kann nur gelingen, wenn jeglicher Zubau der Offshore-Windenergie durch wirksame Artenhilfsprogramme begleitet wird. Gleichzeitig braucht es eine massive Reduktion anderer kumulativer Belastungen, vorrangig der Fischerei, Schifffahrt und des Rohstoffabbaus.
Heute sind in deutschen Meeren Windparks mit einer Leistung von knapp 8 GW installiert. Diese Kapazität in den nächsten gut 20 Jahren zu verneunfachen bedeutet, die Meere großflächig zu industrialisieren. Schon 40 Gigawatt Offshorewind beanspruchen eine Fläche von fast 6.300 Quadratkilometern in der deutschen Nordsee. Das entspricht 22 Prozent der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ). Es scheint fraglich, ob der zur Verfügung stehende Raum angesichts der Nutzungskonkurrenzen und naturschutzfachlichen Bedenken für 70 GW ausreicht, wie die Analysen des NABU zum „alten“ WindSeeG von 2020 mit seinem 40 GW-Ziel zeigten. Dabei sind die ökologischen Wirkräume auf windenergiesensible Arten noch nicht berücksichtigt.
... und ihre Bewohner?
Seevögel reagieren sehr empfindlich gegenüber den mehr als 200 Meter hohen Windrädern auf dem Meer. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass Eissturmvögel diese mit einem Radius von bis zu 20 Kilometern meiden. Weitere Studien belegen, dass beispielsweise Trottellummen sowie Stern- und Prachttaucher Windräder weiträumig meiden. Rechnerisch geht ihnen der Lebensraum im Umkreis von 5,5 Kilometern um die Windenergieanlagen verloren.
Bei einem Ziel von 40 GW Wind verlieren etwa 40 Prozent der Trottellummen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee ihren Lebensraum. 20 Prozent der Dreizehenmöwen und zehn Prozent der Basstölpel drohen in die Windparks zu fliegen und dort mit den Turbinen zu kollidieren. Und auch der Schweinswal, dessen Population in der Nordsee im letzten Jahrzehnt um etwa 50 Prozent abgenommen hat, wäre durch Lebensraumverluste und die lärmintensiven Bauarbeiten für tausende neue Windräder gefährdet.
Vorranggebiete und Vorrangflächen für 40-50 Gigawatt Leistung von Offshore-Windenergieanlagen (graue und schraffierte Flächen) nach Maritimer Raumordnung 2021. Für 70GW werden 30-40 Prozent mehr Flächen benötigt. Wohin damit? Die rot dargestellten Flächen zeigen den rechnerischen Lebensraumverlust mit Radius von 5,5 km. Einige Arten zeigen aber noch deutlich größere Meideradien: Der Lebensraum Nordsee geht großflächig verloren – Karte: NABU/FTZ
Konflikt mit EU-Recht: Dringend Korrekturen im WindSeeG notwendig!
Eine gravierende Neuerung des WindSeeG ist: Während alle in der marinen Raumordnung festgelegten Meeresnutzungen wie Schifffahrtslinien, Sand- und Kiesabbau oder militärische Übungsgebiete in der Abwägung für die Offshore Windkraft tabu sein sollen, werden die Meeresschutzgebiete explizit geöffnet. Über die Festschreibung eines „überragenden“ öffentlichen Interesses für die Windenergie darf praktisch in die Ausnahmefläche Meeresschutzgebiet hineingeplant werden, obwohl das europäische Habitatschutzrecht hier hohe Hürden vorsieht. Eine der Hürden ist die Alternativenprüfung, die das Gesetz aber über die raumordnerischen Tabuflächen maximal einschränkt.

Die Trottellumme: Eine der betroffenen Seevogelarten, die ihren Lebensraum verlieren. - Foto: Frank Derer
Unberücksichtigt im WindSeeG bleiben auch notwendige Flächen, um die Umweltauswirkungen durch den Windparkbau durch sogenannte Kohärenzsicherungsmaßnahmen auszugleichen. Fehlen diese Maßnahmen aber mangels Flächen, drohen langwierige Rechtsstreitigkeiten, die der Absicht nach schnellem Ausbau zuwiderlaufen.
Schließlich lässt das WindSeeG das besondere Artenschutzrecht ins Leere laufen, da nur noch „nachgewiesene“ signifikante Tötungsrisiken relevant sein sollen. Der hier geforderte Nachweis wird sich von Genehmigungsbehörden selten erbringen lassen – diese werden so implizit gezwungen, auch bei hohen Tötungswahrscheinlichkeiten einen Windpark zuzulassen. Das alles zeigt: Das Gesetz verstößt gegen europäisches Naturschutzrecht und verweist den Meeresschutz in die letzte Reihe der Interessen.
NABU-Forderungen
Das WindSeeG muss deutlich nachgebessert werden, um Konflikte mit dem europäischen Naturschutzrecht und langwierige, den Ausbau verzögernde Gerichtsverfahren zu vermeiden. Konkrete Empfehlungen für notwendige Nachbesserungen sowie eine detailliertere Herleitung weiterer absehbarer Rechtsverstöße zeigt unsere juristische Analyse.
- Deutschland muss seine Klimaneutralität im Einklang mit dem europäischen Naturschutzrecht erreichen, wie es auch der Koalitionsvertrag vorsieht.
- Die (inter)nationalen Verpflichtungen des marinen Biodiversitätsschutzes stehen im gleichberechtigten Interesse mit den notwendigen Anstrengungen des Klimaschutzes. Das im WindSeeG-Entwurf einseitig formulierte „überragende öffentliche Interesse“ der Windenergie widerspricht dem; auch der Erhalt der biologischen Vielfalt sowie der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts muss als „überragendes öffentliches Interesse“ über eine zeitgleiche Anpassung des Bundesnaturschutzgesetzes verankert werden.
- Bleibt es bei einer einseitigen Regelung im WindSeeG, muss der Zusatz „überragend“ entfallen.
- Keine Windparks in Schutzgebieten, wie es das WindSeeG und der Flächenentwicklungsplan Offshore 2020 vorsehen.
- Die Beteiligung der Verbände darf nicht geschwächt werden. Sie dienen der Sicherung von Fehlerfreiheit und Rechtssicherheit in den Verfahren.
- Jeglicher Zubau der Offshore-Windenergie muss durch wirksame Artenhilfsprogramme begleitet werden und mit einer massiven Reduktion anderer kumulativer Belastungen einhergehen, hier vorrangig die Fischerei, Schifffahrt und der Rohstoffabbau.
Stellungnahme zum Download
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