Detonationsfontäne - Foto: Stefan Nehring
Munition im Meer
Streit um ein tödliches Erbe



Rund 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition (Spreng- und Brandbomben) und bis zu 300.000 Tonnen chemischer Munition (Senfgas und Tabun) liegen größtenteils verborgen am Grund von Nord- und Ostsee. Die Munition stammt nicht nur von Kämpfen aus den beiden Weltkriegen. Um die Waffen der Deutschen nach Ende der Weltkriege zu vernichten, sahen die Alliierten keine andere Möglichkeit als die Waffen im Meer zu versenken. Hinzu kommen zahllose Blindgänger und aus der Luft abgeworfene Seeminen, die nach 70 Jahren immer mehr zu einer tickenden Zeitbombe werden.
Die Munitionskörper korrodieren im Salzwasser und entlassen ihre giftigen Inhaltsstoffe in die Umwelt: krebserregendes und erbgutschädigendes TNT, leicht entflammbares Phosphor und Schwermetalle wie Quecksilber und Kadmium. Gleichzeitig stören Granaten oder Torpedos den Bau von Offshore-Projekten wie Windparks oder Pipelines. Immer wieder werden Bauarbeiten verzögert, verteuert und es gibt kein gemeinsames Räumungskonzept.
Licht am Horizont – und Schatten über der Marine
Im November 2019 einigten sich die Minister*innen von Bund und Ländern auf ihrer jährlichen Umweltministerkonferenz auf Initiative der Küstenländer darauf, ein Konzept zur Räumung von Munitionsaltlasten und dessen Finanzierungsoptionen zu erarbeiten. Denn wie dringlich ein gemeinsames Verständnis und gemeinsame Verantwortung ist, zeigte sich auch bei einem Einsatz der Bundesmarine während eines NATO-Manövers im Fehmarnbelt im August 2019. Insgesamt 42 Seeminen wurden inmitten des Meeresschutzgebiets „Fehmarnbelt“ gesprengt, ohne die verantwortlichen Naturschutzbehörden einzubinden und ohne technischen Schallschutz für Schweinswale, die sich im Sommer zur Fortpflanzung in den Ostseegewässern um Fehmarn aufhalten. Für den NABU war das ein klarer ein Verstoß gegen das Bundesnaturschutzgesetz, was auch zu einer Kleinen Anfrage im Bundestag durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen führte. Die Sprengungen rissen fünf Meter breite und 1,5 Meter tiefe Krater in artenreiche Riffe und zerstörten alles Leben im Umkreis von bis zu 30 Metern.
September 2021: Aktualisierung Munitionsbergung
Zwei Jahre nach Einigung der Umweltminister*innen gibt es Fortschritte auf politischer Ebene. Im Februar reichten Bündnis 90/Die Grünen und FDP einen Bundesantrag ein, im Mai folgte ein Antrag der Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD. Beide zeigen große Überschneidung und so viel politischen Konsens wie selten.
Dieser zeigte sich ebenso in der Umweltausschusssitzung am 17. Mai, zu der auch Dr. Kim Detloff vom NABU als Sachverständiger geladen war: Munition im Meer ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern. Die technischen Möglichkeiten sind da, um einen Praxisversuch zu starten und in die strategische, naturverträgliche Bergung einzusteigen.
Auf der virtuellen Podiumsdiskussion des NABU am 3. September waren sich Vertreter*innen von CDU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ebenfalls parteiübergreifend einig, dass die zukünftige Bundesregierung unabhängig ihrer Konstellation den nächsten Schritt zur Lösung des Munitionsproblems in Nord- und Ostsee machen muss.
Oktober 2020: Aktualisierung Minensprengungen
Nach mehr als einem Jahr veröffentlichten das Bundesumwelt- und das Bundesverteidigungsministerium ihren Untersuchungsbericht zu den Minensprengungen im Naturschutzgebiet Fehmarnbelt. Die Fakten sind niederschmetternd:
• Mindestens acht Schweinswale wurden durch Schalltraumata getötet, die Schockwelle zerriss Gewebe, führte zu Organ- und Gehörschäden.
• Die Explosionen von jeweils über 300 Kilogramm Sprengstoff führten noch in mehreren Kilometern Entfernung zu tödlichen Verletzungen.
• Noch in über 20 Kilometern Entfernung wurde der Grenzwert von 160 Dezibel zum Schutz von Schweinswalen überschritten.
• 39 der Explosionen zerstörten geschützte Riffe in einem Radius von bis zu 30 Metern.
Nach Auffassung des NABU zeigt der Bericht das Totalversagen der Bundeswehr beim Schutz mariner Säugetiere und einen Verstoß gegen geltendes Naturschutzrecht. Die Bundesmarine muss Konsequenzen ziehen und ihre Einstellung zum Natur- und Artenschutz grundsätzlich überdenken. Das betrifft nach Meinung des NABU auch die verbindliche Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen vor unvermeidlichen Sprengungen. Die Einrichtung von Arbeitsgruppen und die Erarbeitung von Handlungsleitfäden für die Marine sind überfällige Schritte, reichen jedoch nicht aus. Deutschland braucht jetzt eine nationale Strategie zum Umgang mit dem gefährlichen Weltkriegserbe am Grund von Nord- und Ostsee. Gleichzeitig muss die Bundesregierung mehr für den Schutz mariner Arten tun. Erst am 8. Oktober wurde die Rote Liste bedrohter Tierarten veröffentlicht. Der Schweinswal gilt in der Ostsee als vom Aussterben bedroht.
Die vollständigen Berichte finden Sie hier.
Januar 2020: Aktualisierung Minensprengungen
Nachdem die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mithilfe einer Kleine Anfrage das Ausmaß der Sprengungen in die Öffentlichkeit brachte, gab es im Januar 2020 eine naturschutzrechtliche Einordung des Vorfalls durch den wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags.
Der wissenschaftliche Dienst bestätigte die Auffassung des NABU, dass die Minensprengungen im Fehmarnbelt einen Verstoß gegen das Bundesnaturschutzgesetz darstellen. Dabei wird deutlich: Das Bundesamt für Naturschutz hätte als verantwortliche Fachbehörde eingebunden und eine Verträglichkeitsprüfung mit Anordnung von Schutzmaßnahmen für die streng geschützten Schweinswale vornehmen müssen.
Eine eigene Rechtseinschätzung des NABU sieht darüber hinaus einen eklatanten Verstoß gegen geltendes Habitatschutzrecht. Die Bundesregierung muss den Vorfall jetzt lückenlos aufklären und den Rechtsbruch ahnden, um derartige Alleingänge des Verteidigungsministeriums für die Zukunft zu verhindern.

Karte der Lage munitionsbelasteter Flächen in deutschen Meeresgewässern Quelle: www.schleswig-holstein.de (Vergrößern durch Klick auf das Bild.)

Exkurs: Unterwassersprengungen
Unterwasser-Sprengungen, die häufig bei der Räumung von Munition eingesetzt werden, gehören zu den lautesten Punktquellen für Schall und stellen im Meer insbesondere für Wale und Delfine eine tödliche Gefahr dar. In einem Bereich von bis zu vier Kilometern kann es zu Gewebeverletzungen und Hörverlusten kommen. Helfen kann der sogenannte Blasenschleier, der um den Detonationsort gelegt wird und die Schallausbreitung und damit den Gefahrenbereich um bis zu 90 Prozent reduzieren kann.
Im Jahr 2011 wurde der erste Bericht des sogenannten Expertenkreises „Munition im Meer“ veröffentlicht. Auch auf Druck des NABU hatten einige wenige Expert*innen das vorhandene Wissen um die Belastung der Nord- und Ostsee zusammengetragen, das Ausmaß und die Stellen mit Munitionsaltlasten wurden skizziert und erste Empfehlungen auf den Weg gebracht. Doch trotz jährlicher Aktualisierungen mangelt es bis heute an einer gemeinsamen politischen Strategie. Während die Küstenländer überfordert sind, entzieht sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung. Der Grund: Eine naturverträgliche Räumung der Altlasten wäre eine Generationenaufgabe, die sehr viel Geld verschlingen würde.
Expert*innen schlagen Alarm
Seit dem Jahr 2007 drängt der NABU auf eine verantwortungsvolle Lösung, berichtet über gefährliche Strandfunde, organisiert Konferenzen und Fachgespräche. Inzwischen hat sich der Wissensstand stark verbessert, haben sich Forschungsprojekte mit den ökologischen Folgen der Munition im Meer beschäftigt, wurden Bergungstechniken weiterentwickelt und Räumungssysteme skizziert.
So wiesen die EU-geförderte Projekte UDEMM und DAIMON nach, dass sich TNT-Derivate in Muscheln anreichern und Fische, die sich in munitionsbelasteten Gebieten aufhalten, eine erhöhte Zahl von Lebertumoren aufweisen, die sich auf Sprengstoff zurückführen lassen. Eine Gefahr also auch für den Menschen, der Fische und Meeresfrüchte verzehrt. Ein anderes Projekt namens RoBEMM hingegen beschäftigt sich mit der Roboter-gestützten Bergung von Munition und der Technik der umweltverträglichen Vernichtung.
Forderungen des NABU:
- Bund und Länder müssen die Strukturen für die Entwicklung einer gemeinsamen nationalen Strategie zur Bergung von Kriegsaltlasten in Nord- und Ostsee schaffen und deren Finanzierung sicherstellen.
- Als nächster Schritt muss ein gemeinsames Pilotprojekt zur praktischen Erprobung umweltverträglicher Bergeverfahren auf Grundlage der Erfahrungen des Forschungsprojektes RoBEMM aufgesetzt werden.
- Darüber hinaus müssen zusätzliche Entsorgungskapazitäten für Alt-Munition geschaffen werden. Bund und Länder müssen die Finanzierung einer mobilen (oder stationären) Verbrennungs- und Detonationskammer bereitstellen und deren Bau beauftragen.
- Als Sofortmaßnahme muss bei unvermeidbaren Unterwassersprengungen der Einsatz eines Großen Blasenschleiers verbindlich für alle Institutionen (einschließlich der Bundeswehr und der NATO) festgeschrieben werden.
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