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Endlich grünes Licht für die Bergung




Seemine - Foto: Ingo Ludwichowski
Rund 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition (Spreng- und Brandbomben) und bis zu 300.000 Tonnen chemischer Munition (Senfgas und Tabun) liegen größtenteils verborgen am Grund von Nord- und Ostsee. Die Munition stammt nicht nur von Kämpfen aus den beiden Weltkriegen. Um die Waffen der Deutschen nach den Weltkriegen zu vernichten, sahen die Alliierten keine andere Möglichkeit als die Waffen im Meer zu versenken. Hinzu kommen zahllose Blindgänger und aus der Luft abgeworfene Seeminen, die nach 70 Jahren immer mehr zu einer tickenden Zeitbombe werden.

Munitionssprengung - Foto: Uwe Sturm
Die Munitionskörper korrodieren im Salzwasser und entlassen ihre giftigen Inhaltsstoffe in die Umwelt: krebserregendes und erbgutschädigendes TNT, leicht entflammbares Phosphor und Schwermetalle wie Quecksilber und Kadmium. Gleichzeitig stören Granaten oder Torpedos den Bau von Offshore-Projekten wie Windparks oder Pipelines. Immer wieder werden Bauarbeiten verzögert, verteuert und es gab lange kein gemeinsames Räumungskonzept.
Unterwasser-Sprengungen, die häufig bei der Räumung von Munition eingesetzt werden, gehören zu den lautesten Punktquellen für Schall und stellen im Meer insbesondere für Wale und Delfine eine tödliche Gefahr dar. In einem Bereich von bis zu vier Kilometern kann es zu Gewebeverletzungen und Hörverlusten kommen. Helfen kann der sogenannte Blasenschleier, der um den Detonationsort gelegt wird und die Schallausbreitung und damit den Gefahrenbereich um bis zu 90 Prozent reduzieren kann.
Licht am Horizont: Grünes Licht für naturverträgliche Bergung
Nach 15 Jahren zahlt sich der Einsatz des NABU für eine naturverträgliche Bergung der Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee aus. Nachdem sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag zu einem Sofortprogramm Munition im Meer verpflichtet hatte, sicherte der Haushaltsausschuss im November 2022 nach intensiver Debatte 100 Millionen Euro in dieser Legislatur zu. Damit wird eine der NABU-Kernforderungen zur Bundestagswahl umgesetzt.
Damit das Sofortprogramm noch in dieser Legislatur umgesetzt wird, muss das Bundesumweltministerium jetzt zügig alle notwendigen Komponenten für Bergung und Entsorgung ausschreiben. Die Munitionsbergung bleibt eine Generationenaufgabe. Bund und Länder müssen jetzt eine gemeinsame, langfristige Finanzierung auf die Beine stellen.
Was bisher geschah
Seit 2007 drängte der NABU auf eine verantwortungsvolle, naturverträgliche Lösung, berichtete über gefährliche Strandfunde, organisierte Konferenzen und Fachgespräche. Der Wissensstand verbesserte sich stark, Forschungsprojekte beschäftigten sich mit den ökologischen Folgen der Munition im Meer, Bergungstechniken wurden weiterentwickelt und Räumungssysteme skizziert.

Karte der Lage munitionsbelasteter Flächen in deutschen Meeresgewässern Quelle: www.schleswig-holstein.de (Vergrößern durch Klick auf das Bild.)
Die EU-geförderte Projekte UDEMM und DAIMON wiesen nach, dass sich TNT-Derivate in Muscheln anreichern und Fische, die sich in munitionsbelasteten Gebieten aufhalten, eine erhöhte Zahl von Lebertumoren aufweisen, die sich auf Sprengstoff zurückführen lassen. Eine Gefahr also auch für den Menschen, der Fische und Meeresfrüchte verzehrt. Ein anderes Projekt namens RoBEMM beschäftigte sich mit der Roboter-gestützten Bergung von Munition und der Technik der umweltverträglichen Vernichtung.
2011: Expert*innen schlagen Alarm
Im Jahr 2011 wurde der erste Bericht des sogenannten Expertenkreises „Munition im Meer“ veröffentlicht. Auch auf Druck des NABU hatten einige wenige Expert*innen das vorhandene Wissen um die Belastung der Nord- und Ostsee zusammengetragen, das Ausmaß und die Stellen mit Munitionsaltlasten wurden skizziert und erste Empfehlungen auf den Weg gebracht. Trotz jährlicher Aktualisierungen mangelte es lange an einer gemeinsamen politischen Strategie. Die Küstenländer waren überfordert, die Bundesregierung entzog sich ihrer Verantwortung. Der Grund: Eine naturverträgliche Räumung der Altlasten wäre eine Generationenaufgabe, die sehr viel Geld verschlingen würde.
November 2019: NATO-Manöver und Umweltminister*innenkonferenz
Im November 2019 einigten sich die Minister*innen von Bund und Ländern auf ihrer jährlichen Umweltministerkonferenz auf Initiative der Küstenländer darauf, ein Konzept zur Räumung von Munitionsaltlasten und dessen Finanzierungsoptionen zu erarbeiten. Wie dringlich ein gemeinsames Verständnis und gemeinsame Verantwortung ist, zeigte ein Einsatz der Bundesmarine während eines NATO-Manövers im Fehmarnbelt im August 2019.
Insgesamt 42 Seeminen wurden inmitten des Meeresschutzgebiets „Fehmarnbelt“ gesprengt, ohne die verantwortlichen Naturschutzbehörden einzubinden und ohne technischen Schallschutz für Schweinswale, die sich im Sommer zur Fortpflanzung in den Ostseegewässern um Fehmarn aufhalten. Für den NABU ein klarer Verstoß gegen das Bundesnaturschutzgesetz, der auch zu einer Kleinen Anfrage im Bundestag durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen führte. Die Sprengungen rissen fünf Meter breite und 1,5 Meter tiefe Krater in artenreiche Riffe und zerstörten alles Leben im Umkreis von bis zu 30 Metern.
Januar 2020: Aktualisierung Minensprengungen
Nachdem die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mithilfe einer Kleinen Anfrage das Ausmaß der Sprengungen in die Öffentlichkeit brachte, gab es im Januar 2020 eine naturschutzrechtliche Einordung des Vorfalls durch den wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags.
Dieser bestätigte die Auffassung des NABU, dass die Minensprengungen im Fehmarnbelt einen Verstoß gegen das Bundesnaturschutzgesetz darstellen. Es wurde deutlich: Das Bundesamt für Naturschutz hätte als verantwortliche Fachbehörde eingebunden und eine Verträglichkeitsprüfung mit Anordnung von Schutzmaßnahmen für die streng geschützten Schweinswale vornehmen müssen. Eine eigene Rechtseinschätzung des NABU sieht darüber hinaus einen eklatanten Verstoß gegen geltendes Habitatschutzrecht.
Oktober 2020: Verheerende Auswirkungen der Minensprengungen
Nach mehr als einem Jahr veröffentlichten das Bundesumwelt- und das Bundesverteidigungsministerium ihren Untersuchungsbericht zu den Minensprengungen im Naturschutzgebiet Fehmarnbelt. Die Fakten waren niederschmetternd:
- Mindestens acht Schweinswale wurden durch Schalltraumata getötet, die Schockwelle zerriss Gewebe, führte zu Organ- und Gehörschäden.
- Die Explosionen von jeweils über 300 Kilogramm Sprengstoff führten noch in mehreren Kilometern Entfernung zu tödlichen Verletzungen.
- Noch in über 20 Kilometern Entfernung wurde der Grenzwert von 160 Dezibel zum Schutz von Schweinswalen überschritten.
- 39 der Explosionen zerstörten geschützte Riffe in einem Radius von bis zu 30 Metern.
Nach Auffassung des NABU zeigte der Bericht das Totalversagen der Bundeswehr beim Schutz mariner Säugetiere.
September 2021: Politischer Konsens über Munitionsbergung
Zwei Jahre nach Einigung der Umweltminister*innen gab es Fortschritte auf politischer Ebene. Im Februar reichten Bündnis 90/Die Grünen und FDP einen Bundesantrag ein, im Mai folgte ein Antrag der Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD. Beide zeigen große Überschneidung und so viel politischen Konsens wie selten zuvor.
Dieser zeigte sich ebenso in der Umweltausschusssitzung am 17. Mai, zu der auch Dr. Kim Detloff vom NABU als Sachverständiger geladen war: Munition im Meer ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern. Die technischen Möglichkeiten waren und sind da, um einen Praxisversuch zu starten und in die strategische, naturverträgliche Bergung einzusteigen.
Auf der virtuellen Podiumsdiskussion des NABU am 3. September waren sich Vertreter*innen von CDU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ebenfalls parteiübergreifend einig, dass die zukünftige Bundesregierung unabhängig ihrer Konstellation den nächsten Schritt zur Lösung des Munitionsproblems in Nord- und Ostsee machen muss.
Was jetzt passieren muss:
- Das Bundesumweltministerium muss jetzt die Ausschreibung starten und bis Mitte 2023 ein Industrie-Konsortium mit dem Pilotprojekt beauftragen, das die einzelnen Bergungs- und Entsorgungstechniken in einem System zusammenführt.
- Bund und Länder müssen gleichzeitig die Strukturen für die Entwicklung einer nationalen Strategie zur strategischen Bergung von Kriegsaltlasten erarbeiten. Dazu gehört der Aufbau eines Kompetenz- und Koordinationszentrums.
- Als Sofortmaßnahme muss bei unvermeidbaren Unterwassersprengungen der Einsatz eines großen Blasenschleiers als effektive Schallschutzmaßnahme verbindlich für alle Institutionen, einschließlich Bundeswehr und NATO, festgeschrieben werden. Der große Blasenschleier wird per Druckluft um den Explosionsort gelegt und kann den Schall um bis zu 90 Prozent reduzieren.
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Im August 2019 sprengte die Bundesmarine bei einem NATO-Manöver 42 Grundminen in der deutschen Ostsee, davon 39 im Naturschutzgebiet Fehmarnbelt. Eine Kleine Anfrage im Bundestag offenbart nun die drastischen Auswirkungen. Mehr →
Seit vielen Jahren drängt der NABU auf die Bergung von Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee. Der Sondermüll stellt nicht nur eine Gefährdung für den Schiffsverkehr und die Fischerei dar. Zudem setzen sich Giftstoffe frei. Mehr →
Urlauber finden nicht nur Muscheln und Fossilien am Strand. Immer häufiger kommt es an den Küsten zu Unfällen mit Munition, etwa wenn vermeintlicher Bernstein aufgesammelt wird. Ob Phosphorstücke, Sprengstoffreste oder Senfgasbrocken - in einem neu erschienenen Buch klären Experten auf. Mehr →