NABU-Gesprächsrunde (v.l.n.r.): Jens Sternheim, Dr. Stefan Nehring, Dr. Valerie Wilms, Ingo Ludwichowsi, Ingbert Liebing, Sabine Ursula Stüber
Minen nicht einfach in die Luft sprengen
NABU beriet mit Expert*innen zum Thema Altmunition im Meer



Auf großes Interesse traf das NABU-Fachgespräch „Munition im Meer – Tödliche Relikte in Nord- und Ostsee“, das am 31. Januar 2013 in der Bundesgeschäftsstelle des NABU in Berlin stattfand. Mehr als 60 Teilnehmer aus Politik, Industrie, Fachbehörden, Wirtschaft und Naturschutz diskutierten über aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, potentielle Gefahren für Mensch und Umwelt, nationale und internationale Initiativen und das Für und Wider von Unterwassersprengungen zur Munitionsräumung.
Die Experten waren sich einig – Altmunition im Meer ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die die gemeinsame Anstrengung von Politik, Behörden und zivilgesellschaftlicher Interessengruppen verlangt. Der NABU fordert dabei ein deutlich verstärktes Engagement der Bundespolitik.
Der erste Veranstaltungsteil fasste mit vier Fachvorträgen den aktuellen Kenntnisstand zur Belastung von Nord- und Ostsee durch Weltkriegsmunition zusammen. Es wurden mögliche Auswirkungen für Mensch und Umwelt skizziert und der jüngste Fortschrittsbericht Arbeitsgruppedes Expertenkreises „Munition im Meer“ des Bund-Länder Ausschusses Nord und Ostsee vorgestellt. Wenngleich weiterer Forschungsbedarf dabei offensichtlich wurde, zeichneten die bisherigen Erkenntnisse ein beunruhigendes Bild, aus dem sich für den NABU ein unmittelbarer Handlungsbedarf ableitet.
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Referent Terrance Long
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Jens Sternheim (MELUR Kiel), Dr. Stefan Nehring und Dr. Valerie Wilms (Bündnis 90 / Die Grünen) (v.l.n.r.) im Gespräch.
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Referent Jens Sternheim (MELUR Kiel)
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Diskussionsteilnehmer beim NABU-Fachgespräch „Munition im Meer" (v.l.ln.r.): Jens Sternheim, Dr. Stefan Nehring, Dr. Valerie Wilms, Ingo Ludwichowsi
Immer wieder kommt es zu gefährlichen Begegnungen von Strandbesuchern mit Munitionsresten. Im April 2012 verletzten sich zwei Strandbesucherinnen auf Usedom schwer, weil sie versehentlich Phosphor aus korrodierten Brandbomben mit Bernstein verwechselten. Im Sommer letzten Jahres kam ein Kind in der Kieler Bucht mit der hoch giftigen Schießwolle in Berührung. Und auch für die Meeresumwelt geht eine latente Gefahr durch austretende toxische Sprengstoffe und deren Abbauprodukte aus oder werden Meeressäugetiere wie Schweinswale oder Seehunde einem hohen Verletzungsrisiko ausgesetzt, wenn Munition gesprengt wird.
Inzwischen wird das Ausmaß der Altlasten lokal auch zu einem Hindernis für den Ausbau der Offshore Windkraft. Immer wieder werden auf den Kabeltrassen der Netzanbindung Munitionsreste gefunden. So wurde 2012 in der Osterems während der Kabellegung zum Windpark Riffgat bei Borkum allein zwei Seeminen, Ankertauminen sowie fast drei Tonnen Munition kleineren Kalibers gefunden.
Fachvorträge zum Download
Den zweiten Veranstaltungsteil bildete eine hochrangig besetzte Podiumsdiskussion, moderiert vom schleswig-holsteinischen NABU-Landegeschäftsführer Ingo Ludwichowski unter reger Beteiligung des Auditoriums. Drei Mitglieder des Bundestages stellten sich der Diskussion, der meerespolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Ingbert Liebing, Sabine Stüber von der Fraktion Die Linke, eine der Initiatorinnen der Kleinen Bundestags-Anfrage zum Thema Munitionsaltlasten und Dr. Valerie Wilms, Expertin für maritime Politik von Bündnis 90 / Die Grünen. Als Fachexperten komplettierten der Leiter der des Expertenkreises, Jens Sternheim aus dem Umweltministerium in Kiel, sowie der unabhängige Biologe und Umweltgutachter Dr. Stefan Nehring das Podium.
Alle Diskussionsteilnehmer bestätigten die Notwendigkeit, dass sich die Bundespolitik stärker engagiert, Forschungsvorhaben unterstützt und mehr finanzielle Mittel bereit stellt, ohne andere Felder der Meerespolitik zu vernachlässigen oder die Bundesländer aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Aktuell liegt ein Forschungsantrag der Frauenhofergesellschaft vor, der mit Unterstützung der AG „Munition im Meer“ entwickelt wurde, der das Ziel verfolgt, eine komplette Entsorgungskette für Munition in ausgewählten Standorten zu entwickeln. Der Umweltausschuss des Bundestages sollte sich des Themas annehmen und Deutschland den Dialog mit den Nachbarstaaten und im Rahmen regionaler Abkommen intensivieren. Daran appellierte auch der Chairman des International Dialogue on Underwater Munition (IDUM) Terrance Long, der das NABU-Fachgespräch unterstützte.
In der Diskussion wurde auch deutlich, dass Munitionsaltlasten eine zusätzliche und bisher zu wenig berücksichtigte Hürde für den Ausbau der Offshore-Windkraft darstellen kann, wenngleich hier regionale Unterschiede vorliegen. Wiederholt meldeten sich Vertreter deutscher mittelständischer Unternehmen zu Wort, die technische Lösungen zur Munitionssuche und alternativen Bergung, d.h. ohne Sprengungen, anbieten. Ihre Einbindung in einen strategischen Ansatz könnte so auch zu einer regionalen Strukturförderung beitragen.
Der NABU bekräftigt mit seinem Fachgespräch die bereits 2010 im Rahmen der internationalen MIREMAR-Konferenz formulierten Forderungen. Die Bundespolitik muss sich an der Aufarbeitung alter Archive und der strategischen Munitionssuche stärker beteiligen. Auf dieser Basis muss eine Risikoanalyse kritischer Gebiete angefertigt werden, um potentielle Gefahren für Strandurlauber, die Seeschifffahrt und auch die Meeresumwelt abzuschätzen. Nach NABU-Meinung müssen daher größerer Mengen von Munition geborgen werden, die umweltverträglichen alternativen Bergemethoden dafür stehen bereits heute zur Verfügung.
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Unvorstellbares Ausmaß der Belastung
Bis zu 1,8 Millionen Tonnen Munition, konventionelle Munition, phosphorhaltige Brandbomber, aber auch chemische Kampfstoffe, wurden während und nach dem I. und II. Weltkrieg in der deutschen Nord- und Ostsee versenkt. Entsprechend des Berichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe muss davon ausgegangen werden, dass nur ein geringer Teil der tatsächlich belasteten Flächen bekannt ist.
Mehr Informationen unter:
schleswig-holstein.nabu.de/themen/meeresschutz/miremar
www.munition-im-meer.de
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