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Jetzt NABU-Mitglied werden!Der Tod gehört zum Leben
Ein Porträt des Kriminalbiologen Mark Benecke
Wenn eine Leiche zu stark zersetzt ist, kann ein Gerichtsmediziner nur noch begrenzt Aussagen über Todeszeitpunkt und -ursache machen. Wo er aufhören muss, macht Dr. Mark Benecke weiter. Für den der Kriminalbiologen ist Alltag, was bei den meisten Ekel hervorruft: menschliche Leichen, Fäulnis, Gestank und - ein Haufen krabbelnder, surrender, sich windender Insekten. "Es ist nicht so, dass ich das toll finden würde, aber es sind einfach ganz natürliche Dinge für mich geworden", erklärt der 34-Jährige beim Gespräch in seiner Kölner Wohnung.
In Kriminalistenkreisen wurde Benecke bekannt, als er 1997 als Gutachter in einem Mordprozess die entscheidenden Hinweise lieferte. Die Frau eines Pastors war erschlagen in einem Wald aufgefunden worden, ihr Mann bestritt, jemals am Tatort gewesen zu sein. Mit drei Schmeißfliegenlarven bestimmte Benecke einen Todeszeitpunkt, für den der Pastor kein Alibi hatte, und eine Ameise am Gummistiefel des Mannes bewies, dass er sehr wohl genau dieses Waldstück betreten hatte.
Larven und Maden erzählen
Benecke arbeitet freiberuflich. Wenn er von der Polizei zu einem Leichenfundort gerufen wird, sammelt er alle wichtigen Spuren in kleine Gläschen, um die Tiere später im Labor zu bestimmen. Manchmal muss er Larven und Maden erst aufziehen und warten, bis das fertige Insekt schlüpft, bevor er Aussagen über die genaue Art treffen kann.
Durch die Bestimmung der Insekten, die auf einer Leiche leben, lässt sich nicht nur berechnen, wie lange der Mensch schon tot ist. Beneckes "stille Assistenten" können auch die Todesursache aufklären. Zum Beispiel können sie Gifte aufgenommen haben, die im toten Körper längst nicht mehr nachweisbar sind. Oder es lässt sich beweisen, dass die Leiche nicht immer am selben Ort gelegen hat, denn in geschlossenen Räumen besiedeln andere Tiere eine Leiche als im Freien.
Zuständig "für alles, was seltsam ist"
Häufig fährt Benecke gar nicht selbst zum Leichenfundort, sondern es werden ihm die Insekten in sein Labor geschickt. Kriminalbiologen wie ihn gibt es weltweit nur eine Hand voll, so dass er viele Aufträge aus dem Ausland bekommt. Die Polizei fragt ihn "bei allem, was seltsam ist" um Rat.
Von einem verschrobenen Wissenschaftler hat der 34-Jährige nichts an sich. Mit seiner kleinen runden Brille, dem Ohrring und der Trainingsjacke im Stil der 70er passt Mark Benecke eher in eine Studentenkneipe. In Köln ist er zur Schule gegangen, hat dort Zivildienst gemacht und Biologie studiert. Mit seiner Frau bewohnt er heute eine helle Dreizimmerwohnung in der Altstadt.
Im Wohnzimmer steht ein Schaukelstuhl mit abgewetztem schwarzen Lederbezug, in dem Benecke es sich während des Gesprächs gemütlich macht. Neben ihm balanciert eine bronzefarbene Nixe eine gläserne Tischplatte auf Kopf und Ellenbogen, darauf liegt ein Stapel Tätowiermagazine. Von der Ecke guckt ein ausgestopfter Fuchs mit glasigen Augen in den Raum. Zwei der Wände im Wohnzimmer bestehen nur aus Büchern. Ob er Krimis liest? "Nein, ich lese überhaupt keine Romane", erklärt Mark Benecke.
Archiv im Spiritusglas
Das Labor liegt direkt neben seiner Wohnstube und ist eher ein Labörchen. "Ich kann überall arbeiten, vorausgesetzt es gibt ein gutes Binokular. An Chemikalien brauche ich nur Basics wie Alkohol und Natronlauge, das findet man in jedem Labor", sagt Benecke. Sein Werkzeug bringt er selbst mit. Zum Beispiel Pinzetten, die vorne so dünn sind, dass sie unbrauchbar werden, wenn man sie dort mit den Fingern berührt. Nur ein Fliegenhaar ist feiner.
Es gibt keinen festen Ausbildungsweg zum Kriminalbiologen, und auch Mark Benecke ist eher zufällig dazu gekommen. Während seines Biologie-Studiums hat er in der Rechtsmedizin gejobbt und dort gelernt, wie man genetische Fingerabdrücke erstellt. Mit dieser rechtsmedizinischen Methode hat Benecke im Zoologischen Institut weitergearbeitet und für seine Diplomarbeit genetische Fingerabdrücke von Würmern erstellt. Umgekehrt hat er zoologische Methoden mit in die Rechtsmedizin genommen - die Bestimmung von Tieren, die das Fleisch von toten Körpern fressen. Während des Studiums war Mark Benecke auch im NABU aktiv und half mit bei der Pflege von Naturschutzgebieten.
"Männer ekeln sich schneller"
Zusätzlich zur Unterstützung für die Polizei und seinen wissenschaftlichen Forschungen gibt Benecke kriminalbiologische Kurse, zum Beispiel in Polizeischulen. Zweimal im Jahr bietet er auch an der Uni Köln einen Lehrgang an. An den Seminaren nehmen hauptsächlich Studentinnen teil. Benecke zuckt die Schultern: "Ich hab die Erfahrung gemacht, dass sich Männer viel schneller ekeln."
Mark Benecke möchte mit niemandem den Job tauschen, schon gar nicht mit einem Polizisten: "Meine Arbeit ist viel leichter. Ich kann das Schicksal des Menschen einfach ausblenden. Ich lasse es nicht an mich heran. Es interessiert mich auch gar nicht. Aber Polizisten muss das interessieren, die müssen mit der Familie des Opfers reden. Das wäre echt hart für mich."
Dadurch, dass Benecke ständig mit der Sterblichkeit des Menschen konfrontiert ist, hat er den Tod in sein Leben integriert: "Ich sehe tatsächlich den Kreislauf des Lebens, sehe, dass der Tod zum Leben dazu gehört wie Wind und Regen." Benecke betrachtet diesen Prozess ganz rational, rein aus biologischer Perspektive: Zwar ist ein Mensch gestorben, aber durch die Zersetzung seines Körpers entsteht neues Leben. "Dadurch, dass ich das begriffen habe, brauch ich mich vor viel weniger Dingen zu fürchten als andere Menschen: Leichen sind nicht eklig, ihr Geruch ist nicht giftig, und die Tiere auf toten Körpern sind nicht unhygienischer als eine Türklinke."
Ehrfurcht vor jedem Mückenschwarm
Durch seine Arbeit hat Benecke auch ein Auge für die buchstäblichen Kleinigkeiten des Lebens bekommen. Ein Mückenschwarm zum Beispiel kann ihn richtig nachdenklich machen. "Ich frage mich dann immer, wie viele Mücken das wohl sein mögen". Und er wundert sich, warum viele Menschen für Insekten und andere wirbellose Tiere so wenig übrig haben. "Wirbeltiere wie der Mensch sind in der Erdgeschichte völlig unbedeutend, so wie das Grün in einem Rosenstrauß. Wirbellose Tiere, das sind die Rosen, diejenigen, auf die es ankommt. In Artenzahl und Biomasse sind uns Insekten so unglaublich überlegen, dass wir uns eigentlich demütig vor jedem Mückenschwarm verneigen müssten."
Djuke Nickelsen
Benecke buchen
Mark Benecke bietet über seine Arbeit spannende Diavorträge an. Auch NABU-Gruppen können ihn buchen. Kontakt über www.benecke.com, wo es zudem unendlich viele Infos zum Thema Kriminalbiologie gibt.
Benecke lesen
Wer mehr über Kriminalfälle und deren Lösung mit Hilfe der Kriminalbiologie wissen möchte, dem ist Mark Beneckes Buch "Mordmethoden" (Lübbe. 8,90 Euro. ISBN 3-785720998) sehr zu empfehlen. In "Der Traum vom ewigen Leben" (Reclam Leipzig. 11,90 Euro. ISBN 3-379200298) schreibt er ebenso spannend über die biologische Notwendigkeit der Vergänglichkeit allen Lebens.