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Jetzt NABU-Mitglied werden!Vogelgrippe H5N8 wieder in Deutschland
Geflügelpest gefährdet auch Wildvögel
10. November 2016 - In den letzten Tagen wurden am Bodensee (auf deutschem, schweizer und österreichischen Gebiet), am Großen Plöner See in Schleswig-Holstein und an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns zahlreiche tote Wasservögel gefunden. Inzwischen konnte als Todesursache, das erstmals im November 2014 in Deutschland aufgetretene, seitdem aus Europa aber wieder verschwundene hoch-pathogene Vogelgrippe-Virus H5N8 (HPAI H5N8) festgestellt werden. Unter den über 300 tot gefundenen Vögeln finden sich vor allem Reiherenten, eine sich ausschließlich auf Gewässern aufhaltende Tauchentenart. Betroffen sind aber auch andere Enten sowie Möwen und Rohrdommeln.
Nahezu zeitgleich mit den ersten Funden in Deutschland wurde das Virus am 7. November auch als Todesursache von 70 Wasservögeln in Polen nahe der deutschen Grenze bei Stettin identifiziert. Kurz zuvor hatte Ungarn aus einer Region nahe der rumänischen Grenze einen infizierten Höckerschwan und einen betroffenen Putenmastbetrieb gemeldet.
Vogelgrippe aktuell
Hier finden Naturfreunde Informationen zur Vogelgrippe aus Sicht des Naturschutzes. Der NABU bemüht sich, den jeweils aktuellsten Wissensstand wiederzugeben, kann aber für die Angaben keine Gewähr übernehmen. Mehr →
Reflexartig weisen offizielle Stellen auf die Verbreitung des Virus durch ziehende Wildvögel und die damit einhergehende Gefährdung für kommerzielle Geflügelhaltungen hin. Die Rolle des internationalen Handels mit Hausgeflügel und der Entsorgung von Abfallstoffen aus der Massentierhaltung bei der Entstehung und Verbreitung der Geflügelpest und die daraus resultierende Gefahr für Wildvogelbestände wird dabei häufig verdrängt.
Ursprung des Virus in der Massentierhaltung
Wissenschaftler sind sich einig, dass die hoch-pathogenen Vogelgrippe-Viren ursprünglich in kommerziellen Geflügelbetrieben entstehen, anschließend aber auch Wildvögel befallen können. Diese können das Virus zwar in der Wildpopulation regional verbreiten, aber eine Übertragung zurück auf Hausgeflügel wurde bisher nie zweifelsfrei nachgewiesen. Sowohl in Amerika als auch in Europa ist das HPAI-H5N8-Virus nach dem Ausbruch im Herbst 2014 sehr schnell wieder aus der Wildvogelpopulation verschwunden und konnte seitdem nicht mehr festgestellt werden. Dies zeigt einmal mehr, dass sich ein hochpathogenes Virus nicht lange in Wildvogelbeständen halten kann und dort stattdessen immer wieder neu aus der Geflügelhaltung eingetragen wird. Diese Erkenntnis wird inzwischen auch von Virologen und Veterinären geteilt.
Zwar können frisch infizierte Wildvögel noch ein paar Tage leben und das Virus woanders hinbringen, doch scheint die Virenweitergabe im Freiland extrem schwierig zu sein: Von den rund 150.000 im Kältewinter 2006 bei Rügen in eisfreiene Bereichen rastenden Wasservögeln starben rund 6000. Knapp 5000 davon wurden auf Vogelgrippeviren untersucht und bei 158 wurde das damals zirkulierende H5N1-Virus nachgewiesen. Würden sich Wildvögel leicht untereinander anstecken, hätten Tausende von Vögeln an dem Virus sterben müssen.
Naheliegend ist daher, dass Wildvögel zwar bei der regionalen Verbreitung des Virus bei einem akuten Ausbruch eine Rolle spielen können, während das Reservoir des Virus die internationalen Hausgeflügelbestände sind, und die interkontinentale Verbreitung des Virus durch den Handel wesentlich wahrscheinlicher ist als eine stafettenartige Verbreitung über mehrere sich kreuzende Flugrouten von Zugvögeln über mehr als eine Zugsaison hinweg.
Ansteckungsgefahr für Wildvögel
Der NABU weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine Ansteckung von Wildvögeln durch Hausgeflügel wesentlich wahrscheinlicher ist als der umgekehrte Weg. Das Virus trat in Europa in Hausgeflügelbeständen lange Zeit ausschließlich in eigentlich hermetisch abgeschlossenen großen Betrieben und erst zuletzt auch in kleineren und mit Wildvögeln eher in Kontakt stehenden Freilandbeständen auf. Zudem ist es viel wahrscheinlicher, dass Wasservögel mit nicht ordnungsgemäß entsorgten Abfallprodukten der Geflügelwirtschaft (Eintrag von Geflügelkot oder -Kadavern in Gewässer) in Kontakt kommen, als dass infizierte Wasservögel – wie im aktuellen Fall für Rast und Nahrungssuche an tiefere Gewässer gebundene Reiherenten – Zugang zu Intensivmastbetrieben haben.
Im aktuellen Fall ist es denkbar, dass sich Reiherenten auf ihrem Zug aus dem Osten in ihre Überwinterungsgebiete in Mitteleuropa zum Beispiel an einer mit Geflügelkot gedüngten Fischteichanlage in Osteuropa angesteckt haben und von dort in die aktuell betroffenen Gebiete weitergezogen sind.
Das der intensiven Massentierhaltung entspringende Virus ist damit auch eine Gefahr für wilde Wasservogelbestände, insbesondere dort, wo sich mangels anderer geeigneter Lebensräume große Vogelmengen in kleinen Schutzgebieten konzentrieren. Der Sommer 2007 ist noch in Erinnerung, als 285 von rund 450 auf dem Stausee Kelbra in Thüringen lebende seltene Schwarzhalstaucher durch eine H5N1-Infektion umkamen. Besonders bedroht erscheint derzeit die oft gemeinsam mit der Reiherente in Deutschland überwinternde Tafelente, die seit 2015 als weltweit gefährdet gilt und mit 90.000 Individuen europaweit vor allem in Deutschland überwintert.
Infektionswege identifizieren und ausschalten
Der NABU fordert, dass alle Anstrengungen unternommen werden, die genauen Infektionswege der betroffenen Vögel zu identifizieren, um diese in Zukunft ausschalten zu können, auch wenn diese im aktuellen Fall vermutlich außerhalb Deutschlands zu suchen sind. Besondere Anstrengungen müssen unternommen werden, die Waren- und Materialströme großer kommerzieller Geflügelhaltungen (Küken, Bruteier, Futtermittel, Abluft und Abfallstoffe, Transporte zu Schlachthöfen) zu untersuchen, um mögliche Quellen für einen Eintrag der Viren in Betriebe, aber insbesondere auch mögliche Quellen für einen Austrag in die Umgebung und damit für die Ansteckung von Wildvögeln zu identifizieren, etwa durch Futtermittelreste, Abwässer oder Mist aus den Massentierhaltungen. Dabei sollten auch mögliche illegale Praktiken in Betracht gezogen werden.
Wildvögel müssen vor Ansteckungen durch die Geflügelwirtschaft geschützt werden. Daher sind strikte Bio-Sicherheitsmaßnahmen für alle industriellen Nutzgeflügelbetriebe umzusetzen. Entsprechende Betriebe dürfen in Zukunft nicht mehr in Konzentrationsgebieten von Wildvögeln genehmigt werden.
Die Geflügelpest ist wie der Name schon sagt in erster Linie eine Tierkrankheit. Nur bei sehr engem Kontakt zwischen infizierten Tieren und Menschen besteht die Gefahr einer Übertragung und Risiken für die menschliche Gesundheit. Durch die Vermischung von Tier- und Menschengrippeviren kann es allerdings zu hochpathogenen, leicht unter Menschen verbreitbaren Erregern kommen. Bürger sollten daher den direkten Kontakt mit Wild- und Nutzgeflügel und deren Kot vermeiden und entsprechende Hygienemaßnahmen beachten. Aufenthalte an Gewässern oder Vögel am Futterhaus dürften jedoch unproblematisch sein.
- Risikoeinschätzung des Friedrich-Loeffler-Instituts vom 9. November (PDF)
- FLI-Karte bestätigter H5N8-Fälle in Deutschland
- Vogelgrippe-FAQ des Robert-Koch-Instituts
Regionale Informationen
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Unwahrscheinlich, unklar, keine stichhaltigen Beweise: Die UN-Task Force Vogelgrippe und Wildvögel warnt davor, Ursachen für die schnelle Verbreitung der Krankheit einseitig beim Vogelzug zu suchen und den weltumspannenden Geflügelhandel zu vernachlässigen. Mehr →
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