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Jetzt NABU-Mitglied werden!Äsche & Kormoran – Koexistenz ist möglich
Ein Kommentar zur Wahl der Äsche zum „Fisch des Jahres“ 2011
11. November 2010 - Es wäre ein Leichtes gewesen, auf den „Fisch des Jahres“ 2011 Wetten abzuschließen. Hatten doch NABU und LBV ein Jahr zuvor den Kormoran zum „Vogel des Jahres“ gekürt, was unter den Fischerei- und Anglerverbänden eine Welle der Empörung auslöste. „Den Kormoran zum Vogel des Jahres zu machen ist das schlimmste, was man der Natur antun kann“, schrieb uns damals zum Beispiel Dr. Martin Oberle vom Institut für Fischerei der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Und der Verband Deutscher Sportfischer (VDSF) konstatierte gegenüber der Presse, „dass NABU und der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) sich außerhalb jeglicher Vernunft und insbesondere außerhalb demokratischer Normen bewegen.“
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen, die seitdem geführt wurden, stand immer auch die Äsche. Als NABU und LBV im März 2010 zum Dialog aufriefen und auf ihrer Fachtagung in Ulm auch Vertreter der Fischerei- und Anglerverbände einluden, da protestierten draußen deren Funktionäre und Mitglieder lautstark. Und in Radolfzell trugen sie symbolträchtig die Äsche „zu Grabe“. Der Kormoran rotte deren Bestände aus.
Solch einfachen Formeln schließen sich leider allzu leicht Politiker an, denen solche Klagen ungefiltert zu Ohren kommen. Fraktionschef Kai Klohn im CDU-Kreisverband Ostvorpommern nannte den Kormoran einen „Quälgeist von Ökosystemen“ und stellte die Behauptung auf: „Wer sich der Bestandsregulierung des Kormorans verweigere, nehme wissentlich die Schädigung und Ausrottung anderer Tierarten im Ökosystem in Kauf.“
Nicht Tierarten gegeneinander ausspielen
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Der Schutz seltener und gefährdeter Fischarten ist genauso wichtig wie der anderer Tierarten. Und es macht keinen Sinn, beide Schutzziele gegeneinander auszuspielen. Doch Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Fischarten müssen auch artenschutzkonform sein. Der NABU fordert daher an erster Stelle die ökologische Verbesserung der Fischlebensräume, besonders von Laichplätzen für selten gewordene Kieslaicher. Laut Umweltbundesamt sind in Deutschland nur noch 20 Prozent aller Fließgewässerstrecken als naturnah einzustufen. Mit dem Ergebnis, das strömungsliebende Kaltwasserfische wie die Äsche an Gewässern mit zunehmender Temperatur und Verschlammung, mit aufgestauten Gewässerabschnitten, verbauten Ufern und fehlender Deckung auf Dauer kaum überlebensfähig sind. Dem entsprechend gingen die Äschenbestände an vielen Fließgewässern zurück lange bevor das Comeback des Kormorans begann. Der Rückgang der Äsche hat also wenig mit dem Kormoran, jedoch viel mit dem schlechten ökologischen Zustand unserer Flüsse zu tun.
Dennoch halten die Freunde des Angelsports daran fest, die Äsche als eine vom Kormoran bedrohte Fischart zu titulieren. Dabei genügt ein nüchterner Blick auf die Sachlage, etwa in die aktuelle Rote Liste der Fische. Diese räumt zwar ein, dass Kormorane lokal und regional die Bestände von Äschen beeinträchtigen können, doch sie schlussfolgert, dass „derzeit in keinem Bundesland davon ausgegangen wird, dass die Äsche in den nächsten zehn Jahren aussterben wird. Die Art wird sich wahrscheinlich mittelfristig auf sehr geringem Populationsniveau und mit eingeschränkter Verbreitung stabilisieren.“
Auch von Seiten der Bundesregierung gab es im „Jahr des Kormorans“ ein eindeutiges Statement zu dessen Einfluss auf heimische Fischarten. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke hält sie fest, „dass es keine gesicherten Belege dafür gibt, dass der Kormoran eine Fischart in ihrem Bestand bedroht“ und fügt hinzu: „Lediglich auf regionaler Ebene kann nicht ausgeschlossen werden, dass es in Einzelfällen zu Bestandsreduzierungen bei Äschen kommt.“ Dies vor Augen drängt sich die Frage auf, ob nicht doch andere Motive dahinter stecken könnten, wenn insbesondere Hobbyangler über den Appetit der Kormorane klagen.
Szenenwechsel. Im Hitzesommer 2003 verenden am Bodensee-Untersee Äschen im Gesamtgewicht von mehreren Tonnen. Die Population am Hochrhein bricht um 95 Prozent zusammen. Nur mühsam erholen sich dort seitdem die Bestände. Doch die Jagd- und Fischereiverwaltung des Schweizer Kantons Thurgau sieht bereits im Sommer 2009 die Gelegenheit gekommen, die notwendig gewordenen Schonmaßnahmen schrittweise zu lockern. Eine Arbeitsgruppe zur Rettung der Rheinäsche hatte „eine weitere Lockerung der Beschränkungen für den Winter 2009/10“ empfohlen. Seit dem 1. Oktober 2009 dürfen pro Patentinhaber oder Pächter wieder „fünf Äschen pro Tag ab einer Länge von 30 Zentimeter gefangen werden.“
Artenschutz durch die Naturnutzerbrille
Geht es manchen, die eine Regulierung der Kormorane mit Schusswaffen oder anderen Mitteln fordern, vielleicht doch mehr um die eigenen Nutzungsrechte? Werfen wir einen Blick in unser Diskussionsforum unter www.kormoranfreunde.de. Dort mahnt beispielsweise „Detlev Paulson“ als „Gast“ im Forum: Erlaubt sei doch „die nachhaltige Nutzung durch den Menschen. Genau diese Nutzung verhindert der Vogel.“ Ein paar Zeilen weiter wird – um dies zu bekräftigen – auf das Alte Testament verwiesen, „wonach dem Menschen die Herrschaft über die Tiere anvertraut ist und [diese] ihm nicht gleichstehen.“ Ein längst überwundenes Denkmuster, hätte ich dazu gesagt, wär‘s hier nicht unlängst schwarz auf weiß zu lesen. Selten wird heute allerdings von Naturnutzern so freimütig eingestanden, dass man die eigenen Partikular-Interessen höher bewerte als die natürlichen Rechte eines Wildtieres an dessen Nahrung.
Äschenschutz ist notwendig und die Wahl zum „Fisch des Jahres“ kann und wird diese Bemühungen hoffentlich auch vorantreiben. Die Wahl als Vehikel zu benutzen, um Rückenwind zur Verfolgung von Kormoranen zu bekommen, wäre jedoch verkehrt. Gerade in den Binnenländern wie Hessen oder Nordrhein-Westfalen stellen wir fest, dass keine „ungebremste“ Zunahme der Kormoran-Populationen eingetreten ist. Sowohl zur Brutzeit als auch im Herbst und Winter pendeln die Bestände inzwischen um Obergrenzen, die auf Kapazitätsgrenzen des verfügbaren Lebensraumes hinweisen. Der Vergrämungseffekt von Abschüssen ist vor allem im Herbst, wenn die größten Zahlen auftreten, nachweislich sehr begrenzt und gegenüber dem Schutz der Äsche sogar kontraproduktiv: Die Verfolgungen verstärken vielmehr eine Ausbreitung des Kormorans in Mittelgebirgsregionen, wo die Äsche ihre Kernvorkommen besitzt.
Doch die Koexistenz von Äsche und Kormoran ist möglich. Dies setzt allerdings voraus, den unsinnigen Verfolgungsdruck zu verringern und den Vögeln an fischreichen Seen und größeren Flüssen die nötigen Ruhezonen zu gewähren. Warum sollten wir nicht zulassen, dass sowohl die Äsche als auch der Kormoran in den Zahlen leben, die ihnen unsere Lebensräume ermöglichen? Dass wir dafür nicht nachlassen dürfen, die Qualität dieser Lebensräume nachhaltig zu verbessern, ist ein gemeinsames Ziel, das uns alle verbinden kann.
Dr. Markus Nipkow