Der Floßgraben zwischen Waldsee Lauer und Cospudener See.
Leipziger Grabenkämpfe
Nutzungskonflikte im sächsischen Neuseenland
Wenn es um die Zukunft Leipzigs geht, dann scheut Bürgermeister Heiko Rosenthal auch nicht den Vergleich mit Metropolen wie London, Hamburg und Bilbao. Wie die berühmten Vorbilder setzt Leipzig auf seinen Gewässerreichtum als Wirtschaftsfaktor. Ein Netz aus Seen, Flüssen und Kanälen mit rund 200 Kilometern befahrbarer Wasserstrecke soll den Tourismus in den nächsten Jahren kräftig ankurbeln.
Rund um die Stadt, wo bis zum Ende der DDR der Braunkohletagebau tiefe Wunden in die Landschaft gerissen hat, sind in den vergangenen Jahren mit üppiger öffentlicher Förderung attraktive Seen entstanden, weitere werden nach abgeschlossener Flutung des Tagebaus hinzukommen. Eine ausgeklügelte Anbindung an Leipzigs Flüsse und Kanäle soll es Freizeitpaddlern und motorisierten Bootstouristen ermöglichen, die Seen vom neu angelegten Stadthafen in der Innenstadt aus zu erreichen.
Kritische Verbindung
Doch so harmonisch, wie es der Bürgermeister in den Werbebroschüren für die neue Seenlandschaft verkündet, lässt sich der ambitionierte Wassertourismus keineswegs in den zu weiten Teilen noch ursprünglichen Naturraum integrieren. Seit Monaten protestieren Naturschützer und Bürgerinitiativen gegen die geplante Schiffbarmachung des Leipziger Floßgrabens, der künftig die durchgängige Verbindung vom Stadthafen zum neuen, 436 Hektar großen Cospudener See auch für Motorboote gewährleisten soll. Die Kritiker warnen, dass die Bootsmotoren den Grund des seichten Gewässers aufwühlen und für Pflanzen, Fische und zahlreiche Insektenarten zur Bedrohung werden.
Der zu Beginn des 17. Jahrhunderts für den Holztransport angelegte Wasserweg schlängelt sich mitten durch das im Süden der Stadt gelegene Naturschutzgebiet Leipziger Auwald. Die abgeschiedene Lage und das klare Wasser aus den angeschnittenen Grundwasserleitern des Bergbaus haben dazu beigetragen, dass er sich zum „wertvollsten und artenreichsten Gewässer in Leipzig“ entwickeln konnte, betont Karl Heyde vom NABU-Regionalverband Leipzig.
Kahlschlag im Eisvogelrevier
Selbst der Eisvogel fühlte sich hier wohl. Die steilen Ufer und der Fischreichtum des Floßgrabens boten dem bedrohten Vogel bislang ideale Bedingungen. Gleich zwei Paare brüteten an dem rund zweieinhalb Kilometer langen Wasserlauf. Weit über das Wasser ragende Äste und Zweige dienten ihnen als Ansitzwarten bei der Jagd nach Fischen. Damit ist es erst einmal vorbei. Im Februar dieses Jahres ließen die zuständigen Behörden in Leipzig und dem benachbarten Markkleeberg auf dem geschützten Uferrandstreifen sämtliche Bäume fällen und die Böschungen abflachen.
Wo einst Erlen und Weiden standen, wuchern jetzt Brennnesseln. Und die Eisvogelpaare haben das Weite gesucht. Ein Verlust, den die Verfasser einer von der Stadt Leipzig in Auftrag gegebenen Verträglichkeitsprüfung als nicht erheblich einstufen. Kommt die Studie doch zu dem Ergebnis, dass der Gesamtbestand von etwa zehn Brutpaaren entlang der Leipziger Gewässer nicht gefährdet sei. Für Karl Heyde eine nicht nachvollziehbare Einschätzung: „Dabei lässt man bewusst außer Acht, dass es durch den Wassertourismus auch auf anderen Gewässerabschnitten zu erheblichen Störungen kommt.“
Ohne Verbändebeteiligung
Auf offizieller Seite verbucht man den Kahlschlag unter der Rubrik Gewässerunterhaltung und Gefahrenabwehr. Die Leipziger NABU-Aktiven sehen das anders. „Die Eingriffe erfüllen eindeutig den Tatbestand des Gewässerausbaus“, sagt NABU-Vorstandsmitglied Heyde. Damit aber wären Planfeststellungsverfahren inklusive Beteiligung der Naturschutzverbände erforderlich geworden. Genau das jedoch wollten die beteiligten Kommunen vermeiden, ist man sich beim NABU sicher und hat Anzeige erstattet.
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Nach dem Eingriff: Floßgraben mit abgeflachter Böschung.
Längst sind weitere mit der Schiffbarmachung des Floßgrabens verbundene Auswirkungen zu erkennen. Der Wasserstand ist drastisch gesunken. Denn in den vergangenen Jahren ist mit dem Schlamm im Wasserlauf gleichzeitig auch das Kiesbett ausgebaggert worden, um auf die nötige Wassertiefe für den Bootsbetrieb zu kommen. In diesem Frühjahr rückten auf Markkleeberger Gebiet erneut die Bagger zur Austiefung des Floßgrabens an. „Die haben mit ihren Ketten das ganze Leben im Flussbett erstickt“, erläutert Heyde. Die Absenkung des Wasserspiegels blieb nicht ohne Folgen: Auf zwei Hektar sind die Weichholzauen zerstört. Die Moorfroschpopulation ist erheblich dezimiert, weil die Laichgewässer jetzt regelmäßig trocken fallen. Die Verantwortlichen in Leipzig und Markkleeberg sprechen dagegen von einer Verbesserung der Gewässerökologie.
Unterschriften gegen Motorboote
Rund 60 Zentimeter ist der Floßgraben jetzt tief, an manchen Stellen aber nur vier Meter breit. Nicht gerade ideale Bedingungen, um das Gewässer mit Motorbooten zu befahren. Zwei eigens entwickelte Bootstypen mit vermindertem Tiefgang, im Fachjargon „Leipzig-Boot“ genannt, sollen die ökologisch verträgliche Nutzung ermöglichen, versprechen die Befürworter. Naturschützer und besorgte Bürger befürchten dagegen, dass künftig jeder Motorbootbesitzer mit gültigem Führerschein die Route zum Cospudener See befahren darf, sobald sie offiziell für schiffbar erklärt wird. Im Mai haben sie in der Landesdirektion Leipzig, die über die Schiffbarkeit befinden wird, rund 5.000 Unterschriften gegen den Betrieb von Motorbooten auf dem Floßgraben übergeben.
Inzwischen unterstützen auch die Leipziger Wassersportvereine den Protest. Sie weisen auf die drohende Überlastung der bereits intensiv genutzten Flüsse und Kanäle hin. An schönen Sommertagen drängen sich bis zu 400 Paddelboote auf dem Floßgraben. Und schon vor der Entscheidung über die Schiffbarkeit sind einige Dutzend motorbetriebene Sportboote mit Ausnahmegenehmigungen auf den Leipziger Flüssen und Seen unterwegs. Die Bootshalter schreckten auch vor Abstechern in den Floßgraben nicht zurück, noch bevor die Route im August offiziell eröffnet werden sollte. Daraus ist erst einmal nichts geworden, weil sich die Bauarbeiten an der Connewitzer Schleuse verzögert haben. Nun soll der Startschuss im Frühjahr 2011 fallen. Zeit genug für die Verantwortlichen, noch einmal über die Einwände des Naturschutzes nachzudenken.
Werner Girgert