Seegraswiesen aus der Luft vor der Nordseeinsel Memmert - Foto: Martin Elsen
Wie viel Kohlenstoff speichert die Nordsee?
NABU-Studie zeigt Potenzial für natürlichen Klimaschutz
Salz- und Seegraswiesen haben große Bedeutung für die Biodiversität: Kleine Fische finden darin Schutz, Zugvögel fressen sich dort nach ihren Langstreckenflügen satt, Schnecken und Würmern dienen sie als Lebensraum. Doch diese und andere marine Biotope leisten so viel mehr: Sie speichern große Mengen Kohlenstoffdioxid (CO₂), den sogenannten „Blauen Kohlenstoff“.
Blauer Kohlenstoff (Blue Carbon)
„Blauer Kohlenstoff“ bezeichnet den Kohlenstoff, der von marinen und küstennahen Biotopen wie Salz- und Seegraswiesen aufgenommen und gespeichert wird.
Bisher ist das Potenzial von marinen Biotopen für den Klimaschutz kaum bekannt. Viele marine Ökosysteme wurden in der Vergangenheit durch menschliche Eingriffe zerstört. Entwässerte Salzwiesen beispielsweise haben einen Großteil ihres Kohlenstoffspeichers verloren, weil sie für landwirtschaftliche Zwecke umgestaltet wurden.
Ebenso sind Seegraswiesen an der niedersächsischen Küste stark ausgedünnt. 97 Prozent der Flächen sind aufgrund der schlechten Wasserqualität verschwunden. Aus Sicht des Natur- und Klimaschutzes besteht daher die Notwendigkeit, diese Lebensräume wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen, sprich: Sie wiederherzustellen.
NABU-Studie zeigt Speicherpotenzial der deutschen Nordsee
Die von der Universität Kiel durchgeführte Studie berechnet erstmals Kohlenstoffspeicherpotenziale von Salzwiesen, Seegraswiesen, Kelpwäldern und dem Meeresboden in der deutschen Nordsee. Die Ergebnisse sind in einer Karte zusammengeführt:
Die Karte zeigt, wie viel Kohlenstoff pro Jahr im Boden gespeichert wird (die Kohlenstoffsequestrierungsraten von Salzwiesen, Seegraswiesen und Kelpwäldern). Die dunklen Flächen speichern mehr Kohlenstoff als die helleren. In den hell gefärbten Flächen sollte geprüft werden, ob Wiederherstellung möglich ist. Weitere Karten stehen zum Download bereit.
Allein in den Salzwiesen der deutschen Nordseeküste sind bereits 6,64 Millionen Tonnen Kohlenstoff gespeichert – dafür könnte man mit einem PKW die Erde gut sieben Mal umrunden! Fast 40.000 Tonnen Kohlenstoff werden jährlich im Boden der Salzwiesen eingespeichert. Der Projektbericht zeigt: Insgesamt speichern die vier untersuchten Biotope über 250.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Die Wiederherstellung und der Schutz von Seegras und Salzwiesen sind also vielversprechende, notwendige Mittel, unser Klima zu schützen.
Wiederherstellung von Seegras
Die Karten zeigen, dass die Seegraswiesen an der niedersächsischen Küste zum Großteil verschwunden sind. 92,8 Prozent der intakten Seegraswiesen befinden sich in Schleswig-Holstein. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass keine größeren Flüsse in dieser Region münden, die zu hohen Nährstoffbelastungen führen.
Die Wiederherstellung von Seegraswiesen ist vielversprechend für den Klimaschutz. Zum einen gibt es besonders in Niedersachsen riesige Flächen, auf denen Seegraswiesen wachsen können. Zum anderen speichern sie Kohlenstoff 30- bis 50-mal schneller im Boden als ein Wald. Insgesamt könnte also durch die Anpflanzung und Aussaat von Seegras viel Kohlenstoff auf natürliche Weise im Boden gespeichert werden. Gleichzeitig muss sich die Wasserqualität verbessern.
Wiederherstellung von Salzwiesen
Insbesondere die Salzwiesen weisen hohes Potenzial zur Kohlenstoffspeicherung auf. Die Studie verdeutlicht, dass der strenge Schutz und die Wiederherstellung von Salzwiesen in den Fokus der Behörden rücken sollte. Dabei sind vor allem die „Sommerpolder“ interessant. Diese ehemaligen Salzwiesen wurden Ende des 19. Jahrhunderts großflächig eingedeicht, um Land zu gewinnen und Landwirtschaft zu betreiben.
Das Entwässern durch Gräben führt dazu, dass der gebundene Kohlenstoff freigesetzt wird. Durch eine Wiedervernässung können diese Flächen wichtige Kohlenstoffsenken werden und gleichzeitig die Küste gegen den Meeresspiegelanstieg wappnen. Denn Salzwiesen fangen den Sand aus Gezeitenströmen auf und können pro Jahr bis zu einen Zentimeter in die Höhe wachsen.
Die Politik ist am Zug
Durch den Schutz mariner Kohlenstoffsenken können wir Klima, Artenvielfalt und die Küste schützen. Im nächsten Schritt müssen die Biotope, die in der Vergangenheit zerstört wurden, wiederhergestellt werden.
Für den Wiederaufbau der Kohlenstoff speichernden Biotope brauchen wir für die gesamte Küste, über alle Bundesländer hinweg, einen Wiederherstellungsplan. Dieser sollte sich an dem von der EU beschlossenen Nature Restoration Law (Verordnung zur Wiederherstellung der Nature) orientieren und eine sichere Finanzierung bekommen.
Nach dieser Verordnung müssen bis 2030 mindestens 20 Prozent der degradierten Flächen wiederhergestellt werden.
Woran scheitert die Wiederherstellung in Deutschland?
In den kommenden Jahren wird das „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ Wiederherstellungsprojekte an der Küste finanzieren. Doch schon jetzt ist klar, dass die Gelder nicht für alle Projekte ausreichen werden. Es fehlt an konkreten Plänen und einheitlichen Förder- und Rahmenbedingungen in Bund und Ländern.
Neben der Finanzierung ist der Flächenzugriff eine Hürde. Oft gibt es viele Eigentümer und Interessensgruppen, die Wiederherstellungsprojekte sehr kompliziert machen. Hinzu kommt, dass im Küstenschutz eher technische Strukturen wie Deiche und Dämme gebaut werden und natürliche Küstenschutzmaßnahmen zu wenig Bedeutung haben.
Der NABU möchte durch das Projekt WATTRenature in den fachlichen Austausch mit den Behörden und der Wissenschaft gehen, um Lösungen zu finden und politische Handlungsempfehlungen zu entwickeln.
NABU-Fachgespräch der Küstenländer am 27. Februar 2024
Vorstellung der Studie zum natürlichen Klimaschutz in der Nordsee
Am 27. Februar 2024 trafen sich rund 50 Expert*innen aus Landesbehörden, Nationalparkverwaltungen, BfN, BMUV und anderen Umweltverbände beim NABU in Hamburg. Dort wurde die Potenzialstudie zu natürlichem Klimaschutz in der Nordsee vorgestellt und im Anschluss die Wiederherstellung von Salzwiesen und anderen Küstenbiotopen diskutiert. Mit Hilfe des Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz (ANK) sollen jetzt erste Renaturierungsprojekte an der Nordseeküste umgesetzt werden.
Präsentiert haben:
- Irini Brauer, NABU
- Janne Lieven, Nationalparkverwaltung Hamburg
- Bernd Oltmanns, Nationalparkverwaltung Niedersachsen
- Moritz Padlat, Nationalparkverwaltung Schleswig-Holstein
- Dr. Svenja Reents, Alfred-Wegener-Institut
- Dr. Florian Uhl und Jakob Martius, Universität Kiel
- Dr.-Ing. Jan Visscher, Universität Hannover
Alle Präsentationen gibt es hier als pdf zum Download.
Downloads
Gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV).
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