Unterstützen Sie uns bei dieser Arbeit und sorgen Sie mit uns gemeinsam dafür, dass wir den faszinierenden Lebensraum Fluss bewahren können. Übernehmen Sie jetzt eine Fluss-Patenschaft!
Mehr Informationen zur Patenschaft!Hochwasserschutz durch überflutende Auen
NABU-Naturschutzexperte Till Hopf im Interview


Im Mai und Juni 2013 kam es in Mitteleuropa zu einem dramatischen Jahrhunderthochwasser, das in sieben Ländern zu Überflutungen führte. In Deutschland entstanden dabei Schäden in Milliardenhöhe. Wie konnte es zu dieser Flut kommen konnte und wie soll der Hochwasserschutz in Deutschland zukünftig gestaltet werden? NABU-Naturschutzexperte Till Hopf erklärt im Interview, welche Maßnahmen aus seiner Sicht notwendig sind, um die verheerenden Folgen zukünftiger Hochwasser zu vermeiden.
Hochwasser sind ein regelmäßig wiederkehrender Vorgang in der Natur. Wie konnte es zu den schlimmen Ausmaßen der Überschwemmungen kommen?
Anfang Juni kamen einige Faktoren zusammen, die diese Katastrophe ausgelöst haben. Zum Einen hatten wir ein Extremwetterereignis: Auf großer Fläche kam es in kurzer Zeit zu sehr hohen Niederschlägen. Betroffen waren große Teile Deutschlands von Brandenburg bis hin zu den Alpen. Zum Anderen herrschte auch schon vorher eine feuchte Witterung. Dadurch waren die Böden bereits gesättigt und konnten kein zusätzliches Wasser mehr aufnehmen.
Und ist auch die Bebauung durch den Menschen eine Ursache für die außergewöhnliche Stärke dieses Hochwassers?
Ja, das hat die Lage zusätzlich verschärft, da viele Gebiete rund um die Flüsse in Deutschland großflächig versiegelt und bebaut sind. Hinzu kommt, dass Ackerflächen durch intensive Landwirtschaft verdichtet sind und das Wasser schlecht im Boden versickern kann. Das führt dazu, dass das Wasser der starken Regenfälle vor allem oberflächlich abfließt und sich zunächst den Weg zu kleineren Bächen und Flüssen sucht. Da diese jedoch stark begradigt und an den Ufern verbaut sind, ist die Fließgeschwindigkeit deutlich erhöht. So fließt das Wasser schnell durch diese Flüsse hindurch und erreicht gleichzeitig die größeren Flüsse – wie zum Beispiel die Elbe – die diese Wassermassen nicht schnell genug weiterleiten können.
Viele Gebiete stehen oder standen nun viele Tage komplett unter Wasser. Schadet diese langanhaltende Überschwemmung unserer Tier- und Pflanzenwelt?
Grundsätzlich gehören Hochwasser zum natürlichen Lebensraum Fluss dazu und viele Tier- und Pflanzenarten sind an diese regelmäßigen Überflutungen angepasst. Daher kann sich die Natur gut wieder davon erholen, obwohl das eine Weile dauern kann. Vor allem dort, wo die Flächen durch Eindeichungen schon seit vielen Jahren nicht mehr überflutet werden, hat sich ein neuer Lebensraum entwickelt, der nicht mehr an die regelmäßige Überflutung angepasst ist. Betroffen sind zum Beispiel Wiesenbrüter wie Bekassinen, Kiebitze und Braunkehlchen. Sie werden durch die Überschwemmung dazu gezwungen, ihre Gelege aufzugeben oder verlieren ihre Jungvögel. Ebenso können viele Laufkäfer oder kleinere Säugetiere wie Feldmäuse oder Kaninchen häufig nicht entkommen. Doch es gibt auch Gewinner in der Natur: Vor allem Graureiher und Störche finden jetzt viel Nahrung.
Hat das Hochwasser denn auch Langzeitfolgen für die Umwelt?
Durch die Überschwemmungen können zum Beispiel Pestizide, Schwermetalle oder verschiedene Chemikalien in das Wasser gelangen. Diese Schadstoffe belasten dann den Boden und können vor allem auf Ackerflächen zum Problem werden. Die Flut hat außerdem viel Müll mitgerissen, der nun über die Flüsse ins Meer geschwemmt wird. Besonders Plastikmüll im Meer ist bereits ein großes Problem, weil Meerestiere das Plastik nicht von Ihrer Nahrung unterscheiden und mit vollem Magen verhungern können.
Vor elf Jahren gab es bereits ein dramatisches Hochwasser an der Elbe. Was wurde unternommen, um die Folgen künftig einzudämmen?Nach 2002 wurden vor allem in den technischen Hochwasserschutz investiert: Es wurden Deiche repariert, neu gebaut oder erhöht und mobile Schutzwände errichtet. Viele der Maßnahmen haben gut funktioniert, wie zum Beispiel in Dresden. Dort konnten die Deiche dem Druck des Wassers in diesem Jahr standhalten. Auch Warnsysteme und Evakuierungssysteme konnten in den letzten Jahren deutlich verbessert werden. Was allerdings zu kurz kam, war der natürliche Hochwasserschutz.
Was versteht man unter natürlichem Hochwasserschutz?
Es bedeutet, dass wir unseren Flüssen wieder mehr Raum geben müssen. Und zwar den Raum, den der Fluss für die Entfaltung seiner natürlichen Dynamik braucht. Dazu müssen Begradigungen zurückgenommen werden und natürliche Flussauen wieder mehr Platz bekommen. Da solche Flussauen für viele Tiere und Pflanzen wie Eisvögel oder Flussregenpfeifer einen Lebensraum bieten, können dabei vorteilhafte Synergien zwischen Hochwasser- und Naturschutz entstehen.
Wie viel Raum bräuchten die Flüsse, um einen positiven Effekt für den Hochwasserschutz zu erzielen?
Ursprünglich gab es etwa 1,5 Millionen Hektar Auen in Deutschland. Davon sind inzwischen zwei Drittel vom Fluss abgeschnitten und nur noch ein Drittel überflutbar. Das ist eindeutig zu wenig. Wir setzen uns dafür ein, dass die Überflutungsflächen in Zukunft verdoppelt werden. Dazu wird eine Fläche von etwa 500.000 Hektar benötigt.
Allerdings kann das natürlich nicht von heute auf morgen geschehen. Um das Ziel zu erreichen, müssen Flächen gekauft oder getauscht werden und es müssen Entschädigungsvereinbarungen für die betroffenen Landbesitzer getroffen werden. Denn die Flächen sind meist in privatem Besitz und werden größtenteils bewirtschaftet. Wenn dort Überflutungsflächen entstehen sollen, kommt es zu Nutzungseinschränkungen, die selbstverständlich ausgeglichen werden müssen. In Zukunft möchten wir daher mit der Landwirtschaft zusammenarbeiten, um unseren Flüssen mehr Raum zu geben und gleichzeitig den natürlichen Hochwasserschutz zu verbessern.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gebot, Flüsse und Lebensräume wieder in einen „guten Zustand“ zu bringen, wird gerade in den Mündungsbereichen allzu oft missachtet. Daher klagt der NABU gegen die geplante neunte Vertiefung von Unter- und Außenelbe. Mehr →
Nicht zu unterschätzen: Renaturierte Auen sind ein starker Hochwasserschutz. Doch zur Zeit wird viel mehr auf technischen Schutz und Abtrennung der Flüsse von ihren Auen gesetzt. So bleiben natürliche Rückhalteräume für Hochwasser weiterhin verloren. Mehr →