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Im Gespräch mit NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger
NABU: Jörg-Andreas, wenn wir auf das Jahr 2021 zurückblicken, wird sicherlich das Jahrhunderthochwasser im Ahrtal ganz besonders in Erinnerung bleiben. Was kann der Naturschutz dazu beitragen, um solche Extremwetterereignisse und Klimafolgen besser abzufedern?
Jörg-Andreas Krüger: Da geht es einerseits um die Frage der Anpassung an den Klimawandel. Wir haben schon jetzt eine klimatische Situation, die dazu führt, dass solche extremen Starkregenereignisse wie im Ahrtal häufiger auftreten werden. Um mit den Folgen umzugehen, müssen wir die Leistungsfähigkeit der Auen erhöhen. Eine natürliche Aue hat – ebenso wie ein Moor – unglaublich viel Speicherkapazität für Wasser, das bei Starkregenereignissen aufgenommen und zurückgehalten wird. Gleiches gilt für intakte Wälder, die wie ein Schwamm in der Landschaft wirken.
Doch viele unserer Wälder, fast alle Auen und Moore sind andererseits nicht mehr intakt und können dies nicht mehr leisten. Das hat dann ganz direkte Auswirkungen auf den Klimaschutz: Intakte Moore und Wälder speichern viel CO₂, geschädigte setzen klimaschädliches CO₂ frei. Wir müssen dafür sorgen, dass diese biogenen CO₂-Senken in ihrer Funktionalität erhalten bleiben. Das heißt, natürlicher Klimaschutz ist immer mit dem Schutz und Erhalt von Wäldern, Mooren sowie anderen kohlenstoffreichen Lebensräumen verbunden. In Deutschland setzt sich der NABU für deren Schutz und Erhalt bereits stark ein.
NABU: Welche Möglichkeiten siehst du im Bereich der Forstwirtschaft, um den jetzt schon spürbaren Folgen des Klimawandels im Wald zu begegnen?
Jörg-Andreas Krüger: Da, wo wir heute noch Kiefern-Monokulturen haben, muss die Forstwirtschaft jetzt mit dem Waldumbau beginnen, und zwar möglichst nicht durch Pflanzung, sondern durch Naturverjüngung. Also: Licht und Platz in die Bestände bringen, so dass auch andere Baumarten keimen können und die resilienten Mischwälder der Zukunft entstehen. Darüber hinaus müssen wir den Waldumbau mit einem entsprechenden Wildtiermanagement verbinden. Wo über Jahrzehnte hinweg Hirschpopulationen angefüttert worden sind, müssen die Bestände reduziert werden, damit junge Bäume überhaupt eine Chance haben hochzuwachsen. Wir sind in einer Phase, wo wir den Wald in einer enormen Empfindlichkeit vorfinden: 500.000 Hektar Wald haben wir durch die Dürre der Jahre 2018 und 2019 und die darauf folgenden Käferkalamitäten allein in Deutschland verloren. Der Waldzustandsbericht des Bundeslandwirtschaftsministeriums schreckt auf: In den intensiv forstlich bewirtschafteten Beständen ist nur noch jeder fünfte Baum gesund. Der Klimawandel zeigt der auf die Holzproduktion ausgerichteten Forstwirtschaft ihre Grenzen auf. Daher brauchen wir eine Wende im Umgang mit den Wäldern.
Wir brauchen nicht ein Mehr an forstlicher Bewirtschaftung, sondern ein Mehr an ökologischem Waldmanagement. Dazu gehört z. B. ein Moratorium für den Einschlag alter Wälder. Denn ein solcher Wald hat immer auch eine kühlende Funktion, Totholz speichert Feuchtigkeit. Diese „Kühlzellen-Effekte“ müssen wir stärken und darum ist es umso wichtiger, die wenigen alten, intakten Wälder, die wir jetzt noch haben, zu erhalten.
Hinzu kommt, dass über 50 Prozent des Holz-Einschlags direkt verbrannt werden. Da wachsen Buchen über hundert Jahre und danach werden sie direkt als Holzpellets oder im Kamin als Holzscheite verbrannt. Das können wir uns bei einem derartigen Gefährdungszustand des Ökosystems Wald nicht leisten. Auf europäischer Ebene müssen jetzt dringend Änderungen kommen, und Holzverfeuerung darf nicht noch als „klimaneutral“ besonders gefördert werden.
NABU: Die neue Bundesregierung legt ein hohes Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien vor. Welche Chancen – und Risiken – siehst du hier für den Naturschutz?
Jörg-Andreas Krüger: Ein großer Teil der Diskussion dreht sich um einen herbeigeschriebenen Konflikt: Natur- und Artenschutz seien hauptverantwortlich für den schleppenden Ausbau der Erneuerbaren. Ich halte das für komplett falsch. Die Gründe dafür, dass der Zubau der Erneuerbaren in den letzten Jahren so zusammengebrochen ist, waren weniger die Fragen um den Naturschutz, als vielmehr eine auf Verhinderung angelegte politische Steuerung des Ausbaus z. B. durch Ausschreibungsmodelle und -mengen, die die große Koalition zu verantworten hat.
Zweiter Punkt: Der naturverträgliche Ausbau der Windenergie muss zunächst dort erfolgen, wo wir es ohnehin bereits mit vom Menschen stark überformten Standorten zu tun haben. Die wenigen noch vorhandenen ökologisch sensiblen Flächen dürfen nicht zum Ausfallbürgen einer fehlgesteuerten Klimapolitik werden. Wir kritisieren daher massiv, dass es in Bayern, Nordrhein-Westfalen und jetzt auch in Brandenburg große pauschale Mindestabstandswerte zu Wohnbebauungen gibt. Es muss natürlich dafür gesorgt werden, dass der vorgeschriebene Nachtlärmpegel nicht überschritten wird.
Aber: Diese pauschalen Abstandswerte führen dazu, dass im Lande für den Ausbau der Windenergie gar nichts mehr übrig bleibt außer die Schutzgebiete. In diese Diskussion schalten wir uns ein, denn die Schutzgebiete im europäischen Schutzgebietsnetz sind schon in einem schlechten Zustand. Wir sehen bereits seit vielen Jahrzehnten, wie die Populationen und Ökosysteme auch in Schutzgebieten langsam aber sicher in die Knie gehen. Die Belastungen, die von außen in diese häufig viel zu kleinen Gebiete hineinwirken, sind bereits heute viel zu stark. Wenn mit der Windenergie jetzt auch noch eine weitere Beeinträchtigung hinzukommt, dann kann das nicht gut gehen.
Ein dritter Aspekt betrifft den Naturschutz selbst. Ebenso wie die Klimaforschung weist auch die Biodiversitätsforschung seit langem darauf hin, dass wir ganz dringend die Kurve zum Besseren kriegen müssen, wenn wir verhindern wollen, dass die Krisen unumkehrbar existenzgefährdende Ausmaße erreichen. Die Bundesregierung versucht deswegen jetzt endlich Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die dafür sorgen sollen, dass der Naturschutz in die Offensive kommt: ein nationales Artenhilfsprogramm und ein Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz zur Renaturierung von Ökosystemen. Das sehen wir sehr positiv, wenn es ernsthaft und mit dem Willen zum Erfolg betrieben wird. Die Regierung hat angekündigt, dass sie dafür vier Milliarden Euro zur Verfügung stellen will, so viel Geld wie noch nie für den Naturschutz. Das ist ein erstes wichtiges Signal, auf das aber zeitnah konkrete und in der Landschaft sowie beim Erhaltungszustand der Arten spürbare Maßnahmen folgen müssen.
NABU: Welche Rolle übernimmt der NABU dabei?
Jörg-Andreas Krüger: Wir beteiligen uns intensiv an Diskussionen und den Gesetzgebungsverfahren. Wir müssen den beschleunigten Zubau von Windenergieanlagen hinbekommen – sowohl aus Klima- als auch aus Naturschutzgründen. Das ist eine klare Position des NABU. Aber er muss naturverträglich sein. Als Stimme und Anwalt für die Natur sind wir hier intensiv mit in die Beratung gegangen.
Für die Ausgestaltung des Artenhilfsprogramms und des Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz machen wir Vorschläge und bringen unsere Kompetenz ein, damit das etwas richtig Gutes für die Natur wird. Und natürlich sind wir als NABU vor Ort mit unseren Gruppen, Zentren und den Landesverbänden dabei, wenn es um die Identifikation der ökologisch sensiblen Standorte geht, oder unterstützen mit unseren langjährigen Erfahrungen im Naturschutzmachen bei der Umsetzung von Maßnahmen.
NABU: Und zu guter Letzt ein Blick in die Landwirtschaft: Die Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union in den Ländern steht noch aus. Auf welchem Weg sind wir hier aus deiner Sicht? Hat sich unser Einsatz bei der GAP bezahlt gemacht und was können wir jetzt noch erreichen?
Jörg-Andreas Krüger: Landwirtschaft ist ein Thema, das unglaublich Mut gemacht hat in 2021. Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) konnte ihre Arbeit abschließen – ein einstimmig angenommener Bericht mit Empfehlungen, wie die Landwirtschaft sich weiter entwickeln kann. Wir wollen eine Landwirtschaft in Deutschland, die sich vor allem an regionale Märkte richtet. Es kann nicht darum gehen, in einem Hochlohnland wie Deutschland vorrangig das preiswerte Schweinefleisch für den chinesischen Markt zu produzieren. Aufgabe der Landwirtschaft muss es sein, dass wir uns weitestgehend und grundlegend mit Nahrungsmitteln selbstversorgen können. Und das bei lebendigen, wasserversorgten Böden, bei guter Klimaschutzleistung und mit gutem Tierwohl.
Der Gedanke, auch Landwirtschaft für die ökologische Leistung, die sie bringt, adäquat zu honorieren und nicht nur über Fördermittel zu subventionieren, ist ein ganz wichtiger Punkt im Abschlußbericht der ZKL. Da ist die GAP leider nur einen kleinen Schritt gegangen.
Als NABU haben wir uns weit mehr vorgestellt, sowohl was das Geld für die Ökoregelungen angeht, als auch deren inhaltliche Ausgestaltung. Es muss deutlicher werden, dass die Honorierung von Biodiversitätsleistungen für Landwirt*innen auch eine ökonomisch interessante Einnahmequelle sein kann und nicht als Subvention zur Minderung von wirtschaftlichen Einbußen empfunden wird. Eine Bäuerin und ein Bauer müssen auch daran verdienen können, wenn sie Natur und Landschaft erhalten, denn sie führen einen Wirtschaftsbetrieb. Wir hoffen deswegen, dass die EU-Kommission unseren Argumenten folgt und jetzt nochmal nachbessern lässt.
Das Gespräch führte Sina Fitzner.
Video: Natürliche Klimaretter schützen
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