Jedes Jahr werden über 25 Millionen Zugvögel im Mittelmeerraum gefangen oder getötet. Mit einer Zugvogel-Patenschaft leisten Sie einen wichtigen Beitrag zum Schutz unserer Zugvögel.
Jetzt Informieren!Illegale Jagd: Weidenammer droht Ausrottung
Untersuchung belegt globalen Zusammenbruch einst riesiger Population
10. Juni 2015 - Mit ihrer kanariengelben Färbung gehört die etwa sperlingsgroße Weidenammer zu den auffälligeren Vertretern der Singvögel. Sie galt bis vor einigen Jahren als einer der häufigsten Vögel Nordeuropas und Asiens. Ornithologen verzeichnen seither jedoch in vielen Regionen einbrechende Bestände. Seit etwa eineinhalb Jahren wird die Weidenammer als „stark gefährdet“ in der internationalen Roten Liste gefährdeter Arten geführt. Erst vor gut einer Woche wurde die Art als „vom Aussterben bedroht“ in die neuen Roten Listen der EU und des europäischen Kontinents aufgenommen.
Wie dramatisch der Rückgang ist, zeigt jetzt erstmals in Gänze eine umfassende neue Studie, an der Wissenschaftler aus Deutschland, England, Russland, Finnland und Japan beteiligt waren. Die Forscher dokumentieren den globalen Zusammenbruch der Population. Die Hauptursache sehen sie in der massiven illegalen Vogeljagd in China.
„Fitness-Check“ der EU gefährdet Artenschutz in Europa – handeln Sie jetzt!
Die Weidenammer wird gerade durch massiven Fang auf dem Zug in China ausgerottet. Früher gab es das auch in Europa: Der Dünnschnabel-Brachvogel wurde hier Opfer unkontrollierter Bejagung und existiert wohl nicht mehr. Die EU-Vogelschutzrichtlinie hat diesem Wahnsinn in allen EU-Ländern einen Riegel vorgeschoben und verpflichtet die EU, sich auch für den Schutz unserer Zugvögel auf dem weiteren Zugweg einzusetzen.
Seit Januar überprüft die EU-Kommission die Vogelschutzrichtlinie. Der NABU und über 100 Umweltverbände in Deutschland und der EU befürchten, dass dieser „Fitness-Check“ darauf abzielt, Naturschutzstandards in allen EU-Ländern herabzusetzen. Sie können helfen, das zu verhindern: Die EU-Kommission führt noch bis 24. Juli eine Umfrage bei allen EU-Bürgern durch.
Wir haben bereits Antworten im Sinne des Naturschutzes formuliert. Stimmen Sie diesen zu, können Sie das Formular auf der gemeinsamen #NatureAlert-Plattform mehrerer Umweltverbände ganz einfach absenden.
*** Update Dezember 2016: Mittlerweile wurde die NatureAlert-Aktion erfolgreich beendet. ***
„Beispielloser Rückgang“
Die Brutgebiete der Weidenammer erstreckten sich auf fast 16 Millionen Quadratmeter von Finnland im Westen bis zur russischen Pazifikküste und Japan im Osten. Zur Überwinterung ziehen die Vögel über China nach Südostasien. Noch in den 1980er Jahren schätzten Ornithologen den Weltbestand auf Hunderte Millionen Tiere. Zwischen 1980 und 2013, innerhalb von nur 33 Jahren, gingen die Bestandszahlen jedoch um rund 90 Prozent zurück, wie die neue Studie zeigt. Das Verbreitungsgebiet ist im Westen um etwa 5000 Kilometer geschrumpft – im europäischen Teil Russlands ist die Weidenammer inzwischen so gut wie ausgestorben. „Ein so schneller und starker Rückgang einer über ein solch riesiges Gebiet verbreiteten Art ist sehr selten“, betont Dr. Johannes Kamp, Erstautor der Studie und Landschaftsökologe an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Die Wissenschaftler vergleichen den Zusammenbruch mit der Ausrottung der Wandertaube in Nordamerika im 19. Jahrhundert. Damals fielen Milliarden dieser Vögel einer ungezügelten Bejagung durch den Menschen zum Opfer – bis zum Aussterben der Art.
Massive illegale Jagd in China
„Wir kratzen mit unserer Studie gerade an der Oberfläche eines Problems, das ein noch größeres Thema werden wird – auch andere Singvogelarten sind betroffen“, sagt Johannes Kamp. So sei die Jagd auf geschützte Singvögel in China zwar seit 1997 verboten. Dadurch, dass der Verzehr dieser Tiere jedoch als Delikatesse gelte und mit steigendem Wohlstand die Nachfrage steige, würden immer mehr Tiere illegal auf ihrer Zugroute gefangen. „Obwohl die chinesische Regierung versucht, die Wilderei und den illegalen Verkauf einzudämmen, sind die Vögel dort ohne Probleme auf dem Schwarzmarkt erhältlich“, sagt der japanische Ornithologe Simba Chan, Mitautor der Studie und „Senior Conservation Officer“ der internationalen Vogelschutzorganisation „BirdLife International“ (Sektion Asien). Chinesische Ordnungshüter beschlagnahmten bei einer einzigen konzertierten Aktion im November 2011 in zwei Städten der Provinz Anhui im Südosten Chinas zwei Millionen gefangene Singvögel, darunter 20.000 Weidenammern. Zwar gibt es keine genauen Zahlen, aber auf der Basis von Populationsmodellierungen halten die Wissenschaftler mehrere Millionen gefangene Weidenammern pro Jahr in Südostasien für realistisch.
Langzeitbeobachtungen in Finnland und Russland
„Wir können zwar nicht ausschließen, dass neben der illegalen Vogeljagd auch andere Faktoren zu dem dramatischen Rückgang der Weidenammer-Bestände beitragen“, räumt Johannes Kamp ein. „Ein Verlust an Lebensraum allein kann dieses Ausmaß jedoch nicht erklären.“ Auch gäbe es keine Hinweise darauf, dass beispielsweise Krankheiten oder Pestizide eine Rolle spielten. Für ihre Untersuchung griffen die Wissenschaftler unter anderem auf Daten aus Langzeitbeobachtungen verschiedener Brutgebiete in Finnland und Russland – speziell auch aus Sibirien – zurück. Sie führten Computer-Simulationen der Bestandsentwicklung durch und stellten dabei einen Zusammenhang mit den aus China bekannten Fängen her.
Parallele zur illegalen Jagd am Mittelmeer
Neben der Wandertaube in Nordamerika wurde auch im Mittelmeerraum eine ehemals sehr häufige Vogelart durch Abschuss komplett ausgerottet: Der in West-Sibirien brütende und am Mittelmeer überwinternde Dünnschnabel-Brachvogel wurde im Jahr 2002 zuletzt gesehen. Bereits zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren die Bestände dieser Art bereits fast komplett weggeschossen. Derartige Auswüchse unkontrollierter Verfolgung sind inzwischen dank der europäischen Vogelschutzrichtlinie zumindest in EU-Ländern nicht mehr möglich. „Der Vergleich mit der Situation der Weidenammer aus Asien zeigt, wie notwendig eine starke Artenschutzgesetzgebung heute ist, in Zeiten, in denen eine wachsende Weltbevölkerung mit immer ausgereifteren Hilfsmitteln problemlos in der Lage wäre ganze Arten auszurotten“, betont Lars Lachmann, NABU-Vogelschutzexperte.
Vor allem außerhalb der EU ist der illegale Fang und Abschuss von Zugvögeln jedoch weiterhin ein gewaltiges Problem, zum Beispiel in Ägypten. Das Verschwinden der Weidenammer als Brutvogel aus Europa muss das Augenmerk des internationalen Vogelschutzes auch auf die Verfolgung von Zugvögeln auf der ostasiatischen Zugroute lenken.
Originalpublikation:
Kamp J. et al. (2015): Global population collapse in a superabundant migratory bird and illegal trapping in China. Conservation Biology online first, DOI: 10.1111/cobi.12537
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