Tadschikistan ist ein zentralasiatisches Hochgebirgsland und zählt zu den zwölf Verbreitungsstaaten des seltenen Schneeleoparden – Foto: NABU/Behruz Boev Photography
Unterwegs im Pamir-Gebirge
Im Gespräch mit Rangerin Latifa Gulomamadova
Die Organisation „Tajik Nature Foundation“ (TNF), früher ANCOT, kooperiert mit Landnutzer*innen und Schutzgebietsbetreuenden, um Forschung und Kapazitätsaufbau in Tadschikistan zu fördern. Die Hauptaufgabe der Vorgängerorganisation ANCOT war es, Arten zu erhalten und nachhaltigen Tourismus auszubauen.
Normalerweise treffen wir die Menschen, über die wir schreiben, persönlich. Doch in Zeiten von Corona und weil unsere Gesprächspartnerin im über 4.000 Kilometer entfernten Tadschikistan lebt, vereinbaren wir kurz vor Weihnachten einen digitalen Interviewtermin mit ihr. Latifa Gulomamadova stammt aus dem Bartang-Tal, einer der abgelegensten Gegenden im Südosten Tadschikistans. Die Liebe zur Natur, so erzählt uns die Vierundzwanzigjährige, wurde ihr bereits in die Wiege gelegt. „Mein Vater ist Ranger und hat mich immer schon mit in die Berge genommen. Wir haben Wölfe gesehen, Steinböcke und auch Schneeleoparden.“ Ihr Vater habe ihr von klein auf beigebracht, in der Wildnis zu überleben und auch, ihre Schönheit zu erkennen und zu schützen.
Vom Jäger zum Artenschützer
Bevor Latifas Vater zum Ranger wurde, war er traditioneller Jäger, so wie viele Menschen in den abgelegenen Bergdörfern Tadschikistans. Das Land liegt in Zentralasien zwischen Kirgisistan, China, Afghanistan und Usbekistan und zählt zu den höchstgelegenen der Welt. Die meisten der etwa neun Millionen Einwohner*innen leben ländlich und betreiben Viehzucht oder Ackerbau. Auch Latifa ist in einem kleinen Dorf, im Osten des Landes, aufgewachsen – ohne Strom, ohne Internet. Ihre Mutter starb, als sie noch klein war. Wie Generationen vor ihm, ernährte ihr Vater mit dem Fleisch erbeuteter Steinböcke oder Marco-Polo-Schafe das gesamte Dorf. Doch irgendwann war das vorbei. Im Jahr 1991 brach der Bürgerkrieg in Tadschikistan aus. Die Nahrungsmittel wurden knapp und die Regierung schränkte die Jagd daher nicht mehr ein. In den darauffolgenden Jahren brachen die Bestände vieler Wildschafe und Wildziegen ein und die Jäger fanden keine Beute mehr. Auch die Zahl des Schneeleoparden ging zurück.
Im Jahr 2008, Latifa selbst war noch ein Kind, lernte ihre Familie Khalil Karimov kennen. Er war damals Geschäftsführer des gemeindebasierten Wildschutzvereins ANCOT („Association of Nature Conservation Organization of Tajikistan“). Auf die Initiative von Stefan Michel und der NABU-Bundesarbeitsgruppe Eurasien hin erarbeiteten die beiden gemeinsam mit den Dorfbewohner*innen ein Schutzkonzept für die wildlebenden Tierarten der Region. Auch Latifas Vater war dabei. Die traditionellen Jäger einigten sie sich darauf, fünf bis sechs Jahre lang keine Steinböcke und Wildschafe mehr zu jagen, bis sich die Populationen erholt haben würden. Sie gründeten einen eigenen Verein, die lokale Naturschutzorganisation „Parcham“, der Latifas Vater bis heute angehört. Er, so wie einige andere auch, wurde vom Berufsjäger zum Artenschützer.
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Artenschutz mit Erfolg: Die Schneeleopardenpopulation in Tadschikistan hat sich dank Schutzbemühungen erholt und liegt bei geschätzt 300 Tieren. – Foto: Johanne/ Adobe Stock
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Bis zu zwölf Tage verbringt Latifa bei ihren Touren im Pamir. Sie genießt die Schönheit und Stille in den Bergen. – Foto: NABU/ Behruz Boev Photography
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Diese Hörner können sich sehen lassen: Marco-Polo-Schafe zählen zu den weltweit größten Wildschafen. – Foto: Burgut
Heirat oder Job
„Mein Vater ist immer im Feld unterwegs, um Tiere zu beobachten und zu schützen. Seit ich denken kann, ist es das, was auch ich tun will“, sagt Latifa. Diesen Kindheitstraum hat sie sich erfüllt. „Nachdem ich die Schule beendet hatte, begann ich Englisch zu lernen und schloss mich einer Gruppe Frauen an, die sich ebenfalls im Naturschutz engagierten“, erzählt sie. ANCOT hatte es sich zur Mission gemacht, Frauen im Naturschutz zu stärken, sie zu Trekking-Führerinnen und Rangerinnen der Schutzgebiete auszubilden, damit sie auf Augenhöhe mit den Männern agieren können und finanzielle Unabhängigkeit erlangen. Jedoch blieb von ursprünglich zehn ausgebildeten Frauen nur Latifa übrig. Alle anderen heirateten und mussten ihre Arbeit aufgeben. Auch Latifa hat schon einige Heiratsanträge erhalten. Da aber keiner der Werber sie ihre Arbeit weiterführen lassen würde, hat sie alle abgelehnt.
Heute lebt die junge Frau in Tadschikistans Hauptstadt Duschanbe, wo sie Englisch studiert und als Rangerin, Touristenführerin und Übersetzerin arbeitet. In ihrem Heimatdorf trifft sie damit auf Unverständnis. „Ständig werde ich gefragt, warum ich nicht verheiratet bin und wann ich Kinder haben werde“, sagt sie. „Wenn ich Zuhause auf dem Land bin, verunsichern mich diese Fragen manchmal. Aber sobald ich in die Stadt zurückkehre und meiner Arbeit nachgehe, weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“
Nächste Station: Texas
Wenn Latifa von ihrer Arbeit als Rangerin und Naturführerin erzählt, leuchten ihre Augen. Je nach Tour fährt sie sechs bis vierzehn Stunden lang in den Pamir. Ihre Trekkings in den Bergen können bis zu zwölf Tage dauern. Wenn sie in der Natur ist, genießt sie ihre Schönheit und die Stille. Sie kennt sich gut aus, zeigt kleinen Reisegruppen aus Europa oder den USA versteckte Pfade und beobachtet die Tiere. Erst vor zwanzig Tagen, erzählt sie, hat sie einen Schneeleoparden gesehen. „Im Winter kommen sie aus den Bergen in die Ortschaften. Doch wenn Schneeleoparden menschliche Siedlungen aufsuchen, kann es Konflikte geben. ANCOT hat die Menschen dabei unterstützt, sichere Ställe zu bauen und Konflikte zu verringern.“ Die Einnahmen aus Führungen, wie Latifa sie durchführt, fließen in die Naturschutzarbeit und die Entwicklung der Dorfgemeinschaft, was zu einer aktiven Beteiligung der Dorfbewohnenden und einer hohen Akzeptanz für den Schutz der Schneeleoparden, Steinböcke und Marco-Polo-Schafe geführt hat.
Info
Die Tajikistan Nature Foundation (TNF), die Nachfolgeorganisation von ANCOT, arbeitet mit privaten und kommunalen Landnutzer*innen sowie staatlichen Schutzgebietsbetreuenden zusammen. Dabei konzentriert sie sich auf Forschung und Kapazitätsaufbau und arbeitet daran, die Zusammenarbeit zwischen Naturschutz und Entwicklung zu stärken. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Förderung nachhaltiger Lebensgrundlagen und ökosystembasierter Ansätze für die Bewirtschaftung und Nutzung von Ressourcen.
„Die Arbeit gemeindebasierter Naturschutzvereine wie Parcham sind essentiell, denn die Kinder in den Schulen lernen nichts über den Natur- und Artenschutz. Besonders in den Dörfern, wo die Menschen eng mit der Natur in Berührung kommen, ist es wichtig, ihnen beizubringen, wie und warum man sie schützen sollte“, erklärt uns Latifa. Auch wenn seine Tochter die einzige Rangerin weit und breit ist – Latifas Vater unterstützt sie dabei, ihre Träume zu verwirklichen. Als Nächstes will Latifa nach Texas gehen und an einer Universität Wildtierbiologie studieren. Und dann, wenn sie zurückkommt, weiterhin für den Naturschutz in Tadschikistan arbeiten.
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