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Aus dem Leben der Gartenkreuzspinne
Wenige Tage nach der Eiablage setzt die weitere Entwicklung ein, so dass noch vor Beginn der kalten Jahreszeit die Jungspinnen aus ihren Eihüllen schlüpfen. Dichtgedrängt im weichen Seidengewebe des Kokons überstehen sie dann selbst Temperaturen von unter minus 20 Grad Celsius.
Es ist März, als ich meine Beobachtungen der Gartenkreuzspinne beginne. Was ich nun zunächst brauche, sind Kokons mit der jüngsten, kaum entwickelten Spinnengeneration. Mit viel Glück entdecke ich an einer alten entwurzelten Eiche gleich zwei dieser Seidengespinste. Vorsichtig schiebe ich die Fäden an einer Stelle des Kokons etwas auseinander. In beiden zeigen sich, fast unbeweglich, eine Vielzahl noch nicht einmal stecknadelkopfgroßer Spinnchen. In meinem Arbeitszimmer hänge ich sie dann geschützt in einem allseitig mit Fliegengaze überzogenen Lattenrost auf, und kann nun in regelmäßigen Abständen ihre weitere Entwicklung verfolgen.
Geduldsspiel im Arbeitszimmer
Anfang Mai, noch sind alle im Kokon versammelt, hat sich bereits wieder ein großer Teil der Spinnchen gehäutet. Ihre Beinchen scheinen durchsichtig wie Glas, doch zeigen sie zunehmende Beweglichkeit. Mitte Mai haben sie ihre Kinderstube endgültig verlassen. Dicht gedrängt hängen sie in mehreren Klumpen aneinander und wenige Tage später ist ein großer Teil auf kleinen Raum bereits einzeln an ihren austretenden Lauffäden unterwegs.
Noch ernähren sich die Spinnchen wohl vom eigenen Dottervorrat, der bis zum ersten Beuteerwerb reichen muss. Der lässt aber nicht mehr lange auf sich warten, denn ihr Spinnapparat ist nun völlig funktionstüchtig und Anfang Juni finde ich dann auch die ersten kleinen, aber schon perfekten Fangnetze. Die später beeindruckende Festigkeit der Radnetze fehlt den Mininetzen noch, so dass selbst kleinere Stubenfliegen durch die Fangfäden nicht gehalten werden können. Die Jungspinnen leben zu dieser Zeit deshalb vor allem von Blattläusen.
Wie alle Gliederfüßer besitzen auch die Spinnen ein festes Außenskelett. Nur ihr Hinterteil ist weichhäutig und kann sich stark ausdehnen. Jede größere Körperzunahme ist deshalb stets mit einer Häutung verbunden. Mit Schlüpfen aus dem Ei wird bereits die erste Körperhülle abgestreift. Auch während des Aufenthalts im Kokon häuten sich die Jungspinnen und wenn sie ihn verlassen haben, streifen sie noch mehrmals in Abstand von einigen Wochen ihre alte Haut ab, bis zur letzten, der so genannten Reifehäutung. Erst danach sind sie geschlechtsreif.
Zur besseren Beobachtung der Häutung besorge ich mir einige größere vorjährige Spinnen. Gartenkreuzspinnen kann man fast überall finden, in und an Gebäuden, in Gärten, immer aber - und das am häufigsten - draußen in der Natur. Mit mehreren Weibchen und einem Männchen komme ich von nächtlicher Exkursion zurück und setze jede in einen eigenen Pflanzenrahmen. Das ist ein etwa 80 Zentimeter langes, standfestes Kantholz, an dessen beiden Enden rund einen Meter hohe Zweige, Fingerhut- oder Krautstängel befestigt sind. Dazwischen kommen weitere Stängel, aber nur halb so hoch. Die Rahmen sind nicht nur für die Häutung gedacht, sondern sollen auch bei anderen Handlungen der Spinnen gutes Beobachten möglich machen.
Nach jeder Häutung Beingymnastik
Nach einigen Wochen finde ich nachts ein Weibchen kopfunter mit lang ausgestreckten Beinen an einem Faden hängend. Jetzt ist besondere Aufmerksamkeit gefordert, denn diese Lage gilt bei den Radnetzspinnen als das sicherste Zeichen der kurz bevorstehenden Häutung. Und da ist er plötzlich, ein kleiner Riss in der alten Haut. Auf beiden Seiten des Vorderkörpers direkt über den Ansätzen der vier Beine und langsam setzt er sich auf den hinteren Körperteil fort. Die alte Haut des Vorderteils beginnt sich zu lösen und klappt wie ein Deckel nach oben. Der Hinterleib wird aus seiner alten Hülle herausgezogen. Nach zwanzig Minuten hat sich das Weibchen vollständig von seiner alten Hülle befreit und startet nun mit einer regelrechten Gymnastik seiner acht Beine. Das ist überlebenswichtig, damit die Häutchen zwischen den Körpersegmenten nicht auch aushärten. Eine ruhige Körperhaltung beim Aushärten des Außenskeletts würde zu einer kompletten Starre führen.
Im Spätsommer findet man dann zunehmend die großen, imposanten Radnetze der Gartenkreuzspinne. Gartenkreuzspinnen legen mit zunehmenden Alter ihr Fangnetz gewöhnlich nur in den Nächten an. Da diese Bautätigkeit unbedingt mit zu meinen Programm gehört, entwickle ich mich zunehmend zum Nachtmenschen. Kreuzspinnen sind sehr ortstreu, denn wo der Wind sie als Jungspinne einst hingetragen hat, bleiben sie auch - vorausgesetzt, das Nahrungsangebot stimmt. Über ein halbes Dutzend Spinnenplätze gehören zu meinen ständigen nächtlichen Zielen.
Präzision beim Netzbau
Der Neubau beginnt mit der Demontage des alten Netzes. Nur die äußeren Rahmenfäden bleiben erhalten. Gewöhnlich frisst die Spinne die alte Spinnenseide, die - nicht vollständig verdaut - beim späteren neuen Netzbau direkt wieder verwendet werden kann. Die Verbindung der beiden seitlichen Pflanzen wird nun oberhalb des späteren Netzes wieder hergestellt und zwischen das äußere Rahmensystem diagonal einzelne Fäden gezogen. Etwa in der Mitte überschneiden sich alle diese Fäden. Damit ist der Mittelpunkt des späteren Netzes markiert.
Immer ausgehend vom Netzzentrum zieht die Spinne nun in verschiedene Richtungen etwa 30 Speichen zu den äußeren Rahmenfäden und heftet sie an diese an. Dabei tastet sie mit den Vorderbeinen nach den bereits verlegten Speichen, wohl eine Art Winkelmessung, die eben zu dieser erstaunlichen Gleichmäßigkeit aller verlegter Speichen führt. Ebenfalls von der Netzmitte ausgehend, wird in wenigen Umgängen eine stabilisierende Hilfsspirale gezogen. Damit steht das Grundgerüst, in dem nun, von außen beginnend, als Fangspirale ein gleichmäßig mit Leimtröpfchen besetzter Spinnfaden eingezogen wird. Keine halbe Stunde benötigt die Kreuzspinne für die Fertigstellung dieses gesamten Fangnetzes, dann zieht sie sich in Wartestellung zurück.
Leider genießen Spinnen wenig Sympathie, was besonders auf die langen behaarten Beine zurückzuführen ist. Aber gerade ihre Größe macht ein solch perfektes weithin sichtbares Kunstwerk erst möglich und viele der darauf sitzenden Haare und Stacheln sind hochempfindliche Sinnesorgane, die zum Überleben äußerst wichtig sind.
Erst wickeln, dann reinbeißen
Zwar kommt es auch nachts zu Beutefängen - vor allem Blattläuse werden erbeutet -, doch der Tag mit den unendlich fliegenden Insekten bringt den Großteil der notwendigen Nahrung. Erfreulich für mich, kann ich doch nun, nach vielen nächtlichen Ansitzen, wieder mal im Sonnenlicht vor dem Radnetz sitzen. Die Spinne sitzt in ihrem Versteck. Nur ein Vorderbein ist sichtbar, das auf einem Faden ruht, der von der Netznabe hin zu ihrem Versteck führt. Dieser Signalfaden leitet selbst die kleinsten Vibrationen sofort an die Spinne weiter.
Eine Schillerfliege hat sich zappelnd gefangen. Trotz ihrer acht Haupt- und Nebenaugen spielt der optische Sinn der Spinne eine nur untergeordnete Rolle. Da sie die Lage der Beute also nicht erkennen kann, zieht sie mit den Vorderbeinen ruckartig an den Speichen, um die am stärksten durch die Beute belastete zu ermitteln. Ist der Fang lokalisiert, eilt sie gezielt auf dieser Speiche dorthin. Nach kurzem Befühlen versetzt die Kreuzspinne die Fliege mit ihren Beinen in eine schnell rotierende Bewegung, und umwickelt sie dabei mit vielen, gleichzeitig aus den Spinnwarzen austretenden Fäden. Erst dann erfolgt der betäubende Biss durch die beiden Kieferklauen, an deren Enden feine Öffnungen für den Austritt des Giftes sitzen.
Das nun gut verschnürte Beutepaket wird aus den Fangfäden gelöst und hängend an einem der Hinterbeine in die Netzmitte oder in den Schlupfwinkel geschleppt. Nun kommt die besondere Art der Nahrungsaufnahme. Aus ihrem Darmtrakt erbricht die Kreuzspinne etwas Verdauungssaft, der sich als kleiner Tropfen über die Fliege ergießt. Schon nach wenigen Sekunden hat er die erreichten Gewebeteile der Beute aufgelöst und wird nun als flüssige Nahrung sofort wieder aufgesaugt. Die hakenähnlichen Kieferklauen durchkneten dabei regelrecht die ganze Beute, so dass von der Fliege am Ende nur ein undefinierbarer Knäuel aus nicht verdaubaren Körperteilen übrigbleibt, das einfach fallen gelassen wird.
Vagabundierende Männchen
Mit der Paarungszeit beginnt ab Anfang August für das Spinnenmännchen ein gefährlicher Lebensabschnitt. Auf der Suche nach geschlechtsreifen Weibchen vagabundieren die Männchen über Wochen weit im Land umher. Zuvor aber lagern sie ihren Samen in einen dafür ganz ungewöhnlichen Körperteil: in die Kiefertaster. Ein kleines, nur wenige Quadratmillimeter großes Netz wird gefertigt, auf das sie ihre Samentropfen absetzen und diese von der Unterseite des Netzes mit den beiden Kiefertaster wieder aufnehmen.
Geschlechtsreife Weibchen scheiden einen Wirkstoff aus, durch dessen Geruch die Männchen angelockt werden. Allerdings nehmen sie ihn erst in allernächster Nähe des Netzes war. An einem meiner Freilandnetze habe ich das Glück, der Werbung bis zur erfolgreichen Paarung beizuwohnen. Wenn das Männchen den Netzrand erreicht hat, begibt es sich eine lebensbedrohliche Situation, denn oft ist der Beutetrieb des Weibchen größer als sein Fortpflanzungswille - und dann ist es um das Männchen geschehen. Durch rhythmisches Zupfen an den Speichenfäden versucht das Männchen das in der Netzmitte sitzende Weibchen auf sich aufmerksam zu machen. Doch zunächst reagiert es nicht. Ein zeitraubender, fast eine Stunde dauernder vorsichtiger Annäherungsversuch beginnt. Mit ständig zupfenden Bewegungen der Vorderbeine schiebt sich das Männchen Zentimeter für Zentimeter nach vorn, doch eine plötzliche Bewegung des Weibchens lässt es blitzschnell zum Netzrand wieder zurückeilen.
Hastige Samenübergabe
So findet ein ständiger Wechsel statt. Das Weibchen hat sich zwischenzeitlich aus seiner Warte gelöst, kriecht dem Männchen etwas entgegen, bis sich ihre Vorderbeine tastend berühren. Damit hat es seine Paarungsbereitschaft kundgetan. Kopfunter lässt es sich hängen und das Männchen schiebt sich auf ihre Unterseite. Nur wenige Sekunden bleiben ihm, um seinen Samen zu übertragen, der in speziellen Samentaschen des Weibchens gespeichert wird. Dann ist sofort fluchtartiger Rückzug angesagt, denn bei dem viel größeren Weibchen zeigt sich jetzt sofort wieder der Beutetrieb. Auch wenn die Männchen ihrer Partnerin noch entgehen können, so sterben sie doch bald eines natürlichen Todes. Die Weibchen aber leben einige Wochen länger, denn sie müssen ja die Eier noch ablegen und dafür sorgen, dass sich ihre Nachkommen in einen sicheren, geschützten Kokon entwickeln können.
Anfang Oktober hängen alle meine "domestizierten" Spinnenweibchen noch in ihrem Pflanzenrahmen, doch ist jede Nacht damit zu rechnen, dass sie sich Verstecke suchen werden. Doch habe ich vorgesorgt in der Hoffnung, auch einem solchen Kokonbau beobachten zu können. Für jedes der zweijährigen Weibchen steht ein größeres Behältnis bereit, ausgekleidet mit grober Rinde und abgedeckt durch Fliegengaze. Wieder beginnt nächtelanges Warten. Tatsächlich gelingt es mit dabei zu sein, wie sorgfältig das Weibchen die zukünftige Kinderwiege vorbereitet. An der Behälterdecke entsteht zunächst eine Gespinstscheibe, die so genannte Basalplatte. Darunter hängend, beginnt das Spinnenweibchen sich langsam im Kreis zu drehen lässt so einen etwa sechs Millimeter hoher Ringwall entstehen. Das Ganze sieht jetzt aus wie ein auf dem Kopf hängendes Vogelnest.
Erschöpfung nach der Eiablage
Der Eiaustritt erfolgt dann in mehreren Schüben, wobei unmittelbar zuvor erst die Befruchtung durch den bereits vorhandenen männlichen Samen erfolgt. Eine zähe Flüssigkeit umgibt die Eier, die bald eintrocknet und sie damit zusammenhält. Diesen gelblichen Eiballen überzieht das Weibchen nun mit einem dichten, aber luftigen Fadenwerk. Abschließend erhält der gesamte Kokon eine Außenhülle sowie Befestigungsfäden, die gegen Herunterfallen oder ständiges Pendeln bei starken Winden sichern.
Das Weibchen ist nun nicht mehr wiederzuerkennen: klein, mit eingefallenem, faltigen Hinterleib hat es nur noch die Größe der schmächtigen Männchen. Über eine Woche sitzt das Spinnenweibchen noch bewegungslos neben ihrem holzverkleideten Kokon, vielleicht als vorübergehender Schutz, oder um mögliche auftretende Schäden am Kokon noch beheben zu können. Dann ist sie plötzlich verschwunden. Irgendwann finde ich sie später in einem dunklen, offenem Fach des Schreibtisches, schon ganz vertrocknet. Auch alle anderen meiner zweijährigen Weibchen haben einen Kokon abgesetzt, in denen nur wenig später, bereits die Entwicklung einer neuen Generation von Gartenkreuzspinnen beginnt.
Jürgen Huhn
Langzeitbeobachtungen heimischer Tierarten sind Jürgen Huhns Spezialität. Für das Magazin des NABU hat er bereits über die Hausspitzmaus, die Geburtshelferkröte, den Dachs und den Siebenschläfer berichtet.
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