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Jetzt NABU-Mitglied werden!Das Maikäferjahr 2006
Nun krabbeln sie wieder
Lange sah es so aus, als sei der Maikäfer bei uns nahezu ausgerottet. Doch seit Mitte der achtziger Jahre vermehren sich die Krabbeltiere wieder, Feldmaikäfer vor allem am Kaiserstuhl, Waldmaikäfer in zwei getrennten Vorkommen am nördlichen Oberrhein vom Hardtwald bei Karlsruhe über Mannheim bis hoch nach Darmstadt.
Letztes Hauptflugjahr der Teilpopulation im südhessischen Ried war 2002. Da die unterirdisch lebenden Käferlarven, die so genannten Engerlinge, in der Regel vier Jahre zur Entwicklung brauchen, ist es nun wieder soweit: Ende April, Anfang Mai werden in den Wäldern zwischen Darmstadt und der hessisch-baden-württembergischen Landesgrenze bei Lampertheim auf rund 9000 Hektar Abermillionen fertiger Maikäfer aus dem Boden schlüpfen. Brummend fliegen sie zu den nächstgelegenen Bäumen, um sich an den frisch ausgetriebenen Blättern satt zu fressen und sich zu paaren. Nach der Paarung sterben die Maikäfer-Männchen ab, während die Weibchen noch einige Zeit weiterleben und schließlich je Tier bis zu 80 Eier ablegen und so den Maikäfer-Zyklus aufrecht erhalten.
Fazinierendes Naturschauspiel
Das Schwärmen der Maikäfer ist eines der faszinierendsten Schauspiele in der heimischen Natur. Die Freude daran vermögen die meisten Förster allerdings nicht zu teilen. Zwar erholen sich die Eichen und Buchen in der Regel vom Kahlfraß und treiben dann im Juni erneut aus. Ernsthafte Schäden können dagegen die Engerlinge verursachen, wenn sie vier Jahre lang an den Feinwurzeln der Bäume knabbern. Seit einigen Jahren werden daher im Labor und in kleinen Feldversuchen verschiedene Bekämpfungsmethoden erprobt - bisher ohne eindeutige Ergebnisse.
In Hessen soll nun erstmals auf rund 400 Hektar ein Großversuch starten, bei dem sowohl das Gift Neem-Azal wie auch ein parasitärer Pilz zum Einsatz kommen. Neem-Azal wird aus den Samen des aus Indien stammenden Neem- oder Niehm-Baumes gewonnen und ist ein Vielzweckgift mit dem Wirkstoff Azadirachtin, das auch im ökologischen Landbau zum Beispiel zur Kartoffelkäferbekämpfung zugelassen ist. Es wirkt also nicht maikäferspezifisch, sondern gegen praktisch alle Insekten, die es beim Fressen aufnehmen. Geplant ist in der ersten Maihälfte eine zweimalige Ausbringung einer wässrigen Giftlösung per Hubschrauber. Auf dem gleichen Weg sollen die Waldflächen mit Beauveria brongniartii geimpft werden, einem Bodenpilz, der fast ausschließlich Blatthornkäfer befällt, zu denen auch der Maikäfer gehört.
NABU lehnt Gifteinsatz ab
Die Vergiftungsaktion ist allerdings höchst umstritten. So hat der NABU Hessen grundsätzliche Bedenken. "Ökologisch betrachtet ist die Maikäferbekämpfung nicht notwendig. Die kleinen Krabbler sind hier heimisch, auf Dauer gesehen kommt der Wald mit ihnen zurecht", erläutert Naturschutzreferent Mark Harthun. "Wir wissen heute, dass sich die Maikäferbestände in langen Rhythmen von 30 bis 45 Jahren entwickeln. Auf dem Höhepunkt der Vermehrung nehmen dann Krankheiten und Parasitenbefall überhand, so dass die Bestände von ganz alleine zusammenbrechen." Die Aktion könnte den Fraßdruck der Engerlinge auf die Baumwurzeln sogar verlängern, da sie der Bestandsentwicklung die Spitze nimmt und so den natürlichen Komplettzusammenbruch verhindert. "Das wirkt populationsökologisch wie ein erfrischender Aderlass. Die Forstbehörden müssten immer wieder neu Gift ausbringen."
"Außerdem ist ein Wald ist kein Kartoffelacker", so Harthun weiter, "sondern ein Lebensraum mit zahlreichen wild lebenden Tier- und Pflanzenarten." Ebenso wie der maikäferreiche Hardtwald bei Karlsruhe sind große Teile der südhessischen Wälder sogar als europaweit besonders wertvolle Lebensräume geschützt. Das gilt auch für den Lorscher Wald, in dem eine der beiden geplanten Bekämpfungsflächen liegt. Dank bedeutsamer Vorkommen von Mittel- und Grauspecht, Wendehals, Heidelerche, Ziegenmelker und Baumfalke ist der Lorscher Wald als EU-Vogelschutzgebiet ausgewiesen. Wichtig für diese Arten ist der lückige Charakter des Waldes, der laut Pflegeplan "durch kräftige Durchhauungen und lokalen Kleineinschlag" bewahrt werden soll. Das Absterben von Bäumen nach Maikäferfraß würde ebenfalls für Auflichtungen sorgen, unterstützt also die Lebensraumvielfalt und die Schutzbemühungen.
Reicht gedeckter Tisch für Fledermäuse
Nicht zuletzt sind die Riedforsten wichtiger Lebensraum und Jagdrevier gefährdeter Fledermausarten. Wie Ziegenmelker und Baumfalke nutzen Fledermäuse wie Großer und Kleiner Abendsegler, Großes Mausohr und Breitflügel-Fledermaus die Maikäfer als Kraftnahrung für sich und ihren Nachwuchs. Gute Maikäferjahre sind gute Fledermausjahre.
Rund 40 Maikäfer kann ein Mausohr pro Nacht verspeisen. Um geeignete Jagdreviere zu finden, legen die Insektenjäger aus ihren Quartieren im Odenwald kommend Entfernungen bis zu zwanzig Kilometern zurück. Kolonien der Breitflügel-Fledermäuse dagegen befinden sich direkt im Lorscher und benachbarten Bürstädter Wald. Die Abendsegler wiederum finden sich als Langstreckenzieher aus weiten Gebieten Mitteleuropas zu tausenden in den Maikäferwäldern ein. All diese Fledermäuse sind so genannte Zielarten der Europäischen Naturschutzrichtlinie FFH.
Seltene Schmetterlinge in Gefahr?
"Der Landesbetrieb Hessen-Forst konnte bisher weder Verträglichkeitsprognosen noch ein Konzept für die zwingend nötigen Begleituntersuchungen zu Auswirkungen auf andere Organismen vorlegen. Das betrifft die Störungen durch den Hubschraubereinsatz unmittelbar über den Baumwipfeln, vor allem aber natürlich die direkten Giftwirkungen", kritisiert Mark Harthun. Getötet werden könnten unter anderem die Raupen seltener Schmetterlingsarten, die zeitgleich mit den Maikäfern im Blattwerk fressen - etwa Spanische Flagge, Großer Schillerfalter und Nagelfleck sowie Blauer und Brauner Eichenzipfelfalter. Auch mögliche Wirkstoffanreicherungen bei Insektenfressern wie Vögeln und Fledermäusen müssten erforscht werden.
Der NABU appelliert an den hessischen Umweltminister Dietzel, statt Gifteinsatz auf Stärkung der Wald-Ökosysteme zu setzen. Die Auto- und Industrieabgase des Ballungsraums Rhein-Neckar haben den Riedforsten ebenso zugesetzt wie Trockenheit durch Grundwasserabsenkung infolge von übermäßiger Trinkwasserentnahme. Der NABU fordert daher unter anderem ein konsequentes Wassermanagement. Sollten die Forstbehörden wegen gravierender Schäden auf einer Maikäferbekämpfung bestehen, dürfen ausschließlich biologische Methoden wie der Beauveria-Pilz zur Anwendung kommen. "Gifteinsatz hat im Wald nichts zu suchen, egal ob das Gift aus Naturstoffen gewonnen wird oder synthetisch", betont Mark Harthun. (elg)
Beitrag erstellt am 30. März 2006, Bilder ergänzt am 16. Mai 2006.