Kümmern wir uns gemeinsam darum, die faszinierende Vielfalt in unseren letzten lebendigen Wäldern zu bewahren.
Jetzt Informieren!Zu wenig Natur macht krank
„Waldbaden“ setzt auf die Heilkraft der Bäume
Scheinbar endlos reckt sich die Fichte in den grau verhangenen Himmel. Am kerzengeraden Stamm klettert der Blick nach oben, hangelt sich Meter für Meter an waagerecht abstehenden Aststummeln empor, verharrt kurz an einem erstarrten Harzrinnsal, tastet dort die rotbraun geschuppte Borke ab und erklimmt schließlich den Wipfel – nur, um langsam wieder zu Boden zu sinken. 360-Grad-Sehen nennt Angela Weinfurtner diese Achtsamkeitsübung. Man lässt den Blick steigen und sinken, dreht sich ein Stück um die eigene Achse und wiederholt das Ganze – so lange, bis man den Ausgangspunkt wieder erreicht hat. Damit stimmt die Shinrin-Yoku-Lehrerin gestresste Städter auf ein Bad im Wald ein.
Shinrin-Yoku, japanisch für „Baden im Wald“, wird in Japan als Bestandteil eines gesunden Lebensstils gepriesen. Den Begriff hat das dortige Forstministerium im Jahre 1982 geprägt. Shinrin-Yoku bedeutet, mit allen Sinnen in die Stille und Unberührtheit des Waldes einzutauchen.
Gegen Burnout und Kreislauferkrankungen
An japanischen Universitäten ist Waldmedizin ein anerkanntes Forschungsgebiet. Seit etlichen Jahrzehnten untersuchen dort Wissenschaftler*innen die Auswirkungen, die ein Aufenthalt im Wald auf menschliche Psyche und Physis hat. Demnach verbessert bereits ein kurzes Waldbad Atmung, Puls und Blutdruck. Dass Ärzt*innen gegen Burnout oder Herzkreislauf-Erkrankungen eine Waldtherapie verordnen, ist in Japan nichts Ungewöhnliches.
Die wissenschaftlichen Grundlagen dafür haben Forscher*innen der Nippon Medical School in Tokio gelegt. In einer Studie schickte der Wissenschaftler Quing Li hunderte Probanden auf einen Spaziergang; die eine Hälfte in die Stadt, die andere in den Wald. Bei der anschließenden Blutentnahme zeigte sich, dass bei der Stadtgruppe die Konzentration an DHEA-Hormonen unverändert war, bei der Waldgruppe jedoch deutlich erhöht. DHEA ist ein Hormon, das die Herz-Kreislauf-Funktionen aufrechterhält und Herzerkrankungen vorbeugt.
In einer anderen Studie schickte der Wissenschaftler zwölf Proband*innen einen ganzen Tag lang in den Wald. Die Blutanalyse danach ergab, dass der Gehalt an natürlichen Killerzellen um fast 40 Prozent gestiegen war. Killerzellen töten Viren ab und zerstören Krebszellen. Zur dauerhaften Stärkung des Immunsystems empfiehlt Quing Li zwei Waldtage pro Monat.
Waldtraining für Ältere
Das Waldbaden ist bislang nicht als Therapieform anerkannt und wird von Krankenkassen nicht übernommen. Etabliert hat sich bereits ein Waldtrainingsprogramm für Heimbewohner*innen, entwickelt von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Rund 100 Pflegeeinrichtungen in 14 Bundesländern bieten es mittlerweile an. Das sogenannte „Lübecker Modell Bewegungswelten“ ist ein körperlich, geistig und sozial aktivierendes Präventionsprogramm für ältere Menschen, die bereits körperliche und kognitive Einschränkungen haben.
Angela Weinfurtner, Wanderschuhe, wetterfeste Jacke, rundliches Gesicht unter rotblonden Locken, führt ihre Gruppen für gewöhnlich in die Aubinger Lohe, ein Mischwaldgebiet am westlichen Stadtrand von München. Abseits der befestigten Wege finden sich hier Auwaldreste, knorrige Charakterbäume, verwunschene Lichtungen und die Überreste einer mittelalterlichen Turmhügelburg. Zwischen einer Baumgruppe mit bemoosten Wurzelfüßen bedeckt ein dicker Moosteppich den Boden – wie geschaffen, um den Wald mit bloßen Füßen zu spüren.
Ätherische Pflanzenöle mindern den Stress
Weinfurtner ermuntert immer wieder dazu, alle Sinne zu öffnen. Für das Klopfen eines Spechts, für den erdfrischen Duft von Moos, für den harzigen Zitrusgeschmack junger Fichtenspitzen. Sie gebe Fingerzeige, wie Wald am besten aufzunehmen sei, sagt sie: „Damit sich die Teilnehmer*innen fallenlassen und unbeschwert eintauchen können.“
Man vermutet, dass die therapeutische Wirkung des Waldes auf Körper und Seele auf Terpenen beruht, den wichtigsten Ingredienzen ätherischer Öle, die aus Rinde und Blättern von Bäumen, Sträuchern und anderen Pflanzen ausdünsten. Nimmt der Mensch sie über Haut und Lunge auf, beruhigt sich der Sympathikus, ein Teil des vegetativen Nervensystems, der in Stresssituationen Flucht- und Kampfreaktionen steuert. Zugleich erhöht der Ruhe-Nerv Parasympathikus, der als Gegenspieler des Sympathikus der körperlichen Regeneration dient, seine Aktivität.
Kein Ersatz für Medikamente
Waldbaden entfalte insbesondere bei Schlafstörungen, depressiven Gedanken, psychischen Belastungen oder der Aufmerksamkeitsstörung ADHS wohltuende Wirkung, erläutert Gisela Immich, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, die Effekte des Waldbadens. „Allerdings können dadurch weder Medikamente noch eine Psychotherapie ersetzt werden“, präzisiert sie: „Waldbaden wirkt rein präventiv, ist also eine Maßnahme allgemeiner Gesundheitsvorsorge.“ Zurzeit arbeitet ihr Lehrstuhl an einem Kriterienkatalog für Kur- und Heilwälder, mit deren Einrichtung sich die bayerischen Heilbäder und Kurorte die Heilkraft des Waldes zunutze machen wollen.
Eingezwängt zwischen hochragenden Fichten steht in der Aubinger Lohe eine einsame alte Birke. Im Wuchs hat sie sich den Fichten angenähert. Kerzengerader Stamm, wenige Seitenäste, die Rinde so dunkel, dass der Baum kaum als Birke zu identifizieren ist. Der Mensch brauche das Grün des Waldes, um sich gut zu fühlen, sagt Angela Weinfurtner: „Zu wenig Natur macht krank.“ Zu ihr kämen oft Menschen, denen der Bezug zur Natur verloren gegangen sei: „Sie gehen ein paarmal mit, bis sie sich an den Wald gewöhnt haben. Im besten Fall integrieren sie das Waldbaden dann in ihren Alltag.“ In gewissem Sinne wäre das gelebter Naturschutz. Denn wer dem Wald entfremdet ist, dem ist auch dessen Zustand gleichgültig. Nur wer Wald wertschätzt, ist bereit, ihn zu schützen.
Hartmut Netz
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