Nur noch 10.000 bis 50.000 Feldhamster leben in Deutschland. Der Feldhamster ist vom Aussterben bedroht, in einigen Bundesländern ist er bereits ausgestorben. - Foto: Roman Huditsch/AdobeStock
Mehr Flächen für die Artenvielfalt
Zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche als Lebensraum nötig
Die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft geht rapide zurück. Die Rebhuhnbestände sind seit 1980 um etwa 90 Prozent eingebrochen, Feldhamster gibt es fast gar keine mehr und die Biomasse der Fluginsekten ist um über 75 Prozent seit 1980 zurückgegangen. Wir können diese Entwicklung nur aufhalten, indem wir der Natur wieder mehr Platz in der Agrarlandschaft einräumen.
Nicht-bewirtschaftete Flächen wie Blühstreifen, Brachen, Hecken oder Kleingewässer kommen dabei eine Schlüsselrolle zu. Studien zeigen, dass mindestens zehn Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche als Lebensraum benötigt werden, um gesunde Populationen wiederherstellen zu können. Deshalb fordert der NABU von der EU-Agrarpolitik zehn Prozent nicht-bewirtschafteter Fläche. Aktuell verfügen wir in Deutschland über ungefähr 2,5 Prozent Brachen, Hecken und andere Landschaftselemente.
Drei Gründe für zehn Prozent
#1 Artenvielfalt wiederherstellen
Ein wichtiger Faktor beim Artensterben in der Agrarlandschaft ist der Verlust von Brut- und Nistmöglichkeiten und das Verschwinden von Nahrungsquellen. Ob Feuchtwiesen für den Kiebitz, Brachen für Feldlerche und Feldhasen, ohne die Flächen für die Artenvielfalt können viele Tierarten nicht ausreichend Nachwuchs aufziehen. Ähnliches gilt für Jungvögel: Sie brauchen brachliegende Flächen und Landschaftselemente zum Schutz vor Witterung und Beutegreifern. Auch Insekten, Nahrung vieler Jungvögel, finden sich auf Brachen und Blühflächen. Besonders im Herbst und Winter fehlt vielen Tieren in der Agrarlandschaft schlicht die nötige Nahrung zum Überleben.
Der flächendeckende Einsatz von Herbiziden und das Umbrechen der Stoppeln im Herbst zieht den Verlust von Wildkräutern mit ihren Blüten und Samen nach sich – fatal für unzählige Insekten, Vögel und kleine Säugetiere. Auch der hohe Düngereinsatz führt zu einer immer monotoneren Agrarlandschaft, da viele Wildkräuter mit der Überdüngung des Bodens und der Konkurrenz durch andere Pflanzenarten nicht standhalten können. Im Grünland zeigt sich das durch eine Verarmung der Pflanzenarten und eine Dominanz von nur wenigen konkurrenzstarken Gräsern, die kaum zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen.
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Vom Aussterben bedroht: Der Brachwiesen-Zwergspanner fühlt sich auf Brachen, an Feldrändern und Ackerpfaden wohl. Doch diese sind stark zurückgegangen. Foto: Foto: Didier Descouens (CC-BY-SA-4.0)
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Der Bestand des Feldhasen geht in Europa seit Jahrzehnten zurück. In einer immer stärker genutzten Agrarlandschaft findet er kaum noch Rückzugsorte. - Foto: Adobestock/Michael Breuer
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Der Bestand des Rebhuhns liegt in Deutschland gegenwärtig wahrscheinlich unter 40.000 Brutpaaren, das bedeutet einen Rückgang um 91 Prozent von 1980 bis 2016. Eine Ursache ist der Rückgang der Insekten-Populationen. - Foto: Rüdiger Arp/www.naturgucker.de
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Auch wenn die Erdhummeln noch häufig sind, geht die Anzahl der Wildbienen und der Insekten insgesamt zurück. So sind von den 560 bekannten Wildbienenarten 50 Prozent gefährdet oder bereits ausgestorben. - Foto: Kerstin Kleinke
#2 Langfristige Ernährungssicherung
Seit jeher geht es bei der EU-Agrarpolitik in erster Linie darum, die Produktion unserer Nahrungsgrundlagen sicherzustellen. Dies ist nicht möglich, ohne unsere natürlichen Ressourcen für die landwirtschaftliche Produktion zu schützen. Gesunde Böden, sauberes Wasser, stabile Populationen von Bestäubern und anderen Nützlinge sind dabei von zentraler Bedeutung. Die Natur, die eine fundamentale Rolle in der Produktion unserer Nahrungsmittel spielt, wurde zu lange vernachlässigt. Wir können und müssen noch viel aktiver mit der Natur arbeiten, um sie als Produktionsgrundlage zu schützen.
Die Landwirtschaft darf ihre langfristige Existenzsicherung nicht kurzfristigem Profitdenken opfern. Brachen und Hecken in Kombination mit weiteren agrarökologischen Anbaumethoden können Landwirt*innen helfen, so mit der Natur zu arbeiten, dass sie in Zukunft wieder von fruchtbaren Böden und zahlreichen Nützlingen profitieren können. Zur gleichen Zeit erfüllen Landschaftselemente, wenn sie auf den landwirtschaftlichen Flächen strategisch gut angelegt werden, wichtige Funktionen: Zum Beispiel wirken Hecken gegen Wind- und Wassererosion und Brachen und Blühstreifen fördern Nützlinge und Bestäuber. In diesem Sinn sind die Flächen für die Artenvielfalt eine Risikoabsicherung und keine Bedrohung für die Wirtschaftlichkeit.
#3 Nebeneffekt Klimaschutz
Ganz nebenbei wird über die Maßnahmen zum Biodiversitätsschutz auch Klimaschutz betrieben, denn jede Form von Vegetation speichert Kohlenstoff. Besonders mehrjährige angelegte Landschaftselemente wie Hecken, Randgehölze und Baumreihen binden langfristig Kohlenstoff in ihrer Biomasse. Mehrjährige Brachen und Blühstreifen oder Hecken binden Kohlenstoff auch durch Humusaufbau, solange sie bestehen. Werden sie umgebrochen oder gerodet, wird ein Großteil der Treibhausgase wieder freigesetzt. Ein Teil des Kohlenstoffs kann jedoch im Humus erhalten bleiben.
Das Zehn-Prozent-Ziel und die Gemeinsame Agrarpolitik ab 2023
Das Ziel, zehn Prozent Flächen für die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft zu etablieren, findet sich im EU-Green-Deal in der EU-Biodiversitätsstrategie und in der Farm-to-fork-Strategie (Vom Hof auf den Tisch) wieder. Im Nationalen Strategieplan (NSP) zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bekennt sich Deutschland zu den Zielen des Green Deals und greift diese zumindest ansatzweise in der Ausgestaltung der Reform auf. Bezogen auf das Zehn-Prozent-Ziel sieht Deutschland folgende Umsetzung über die drei Instrumente der grünen Architektur vor:
1. Konditionalität
Vier Prozent der Ackerfläche (Grünland ist hier nicht inbegriffen) müssen obligatorisch von jedem Betrieb als Brachflächen ohne Einsaat oder als angrenzende Hecken oder andere Landschaftselemente zur Verfügung stehen (GLÖZ 8 - Guter landwirtschaftlicher und ökologischer Zustand). Diese Flächen sind sehr wichtig für viele Feldvögel als Brut- und Nahrungsraum und für Insekten als Lebensraum. Auch dienen sie der Biotopvernetzung und schaffen Korridore für wandernde Arten. Zum Status Quo wird sich die Fläche also in etwa verdoppeln – das könnte sich sehr positiv auf bedrohte Arten wie zum Beispiel das Rebhuhn oder die Grauammer auswirken.
2. Ökoregelungen
Die Ökoregelung Eins ist das freiwillige „Top-Up“ zum GLÖZ 8 Standard. Auch hier geht es darum, Brachflächen und andere Rückzugsräume in der Agrarlandschaft zu schaffen. Es besteht die Möglichkeit, Blühstreifen auf Ackerland und Dauerkulturen, Brachen auch mit Einsaat und Altgrasstreifen auf Grünland gefördert zu bekommen. Die Maßnahmen sind freiwillig und auf bis zu sechs Prozent der Ackerfläche förderfähig. Die zehn Prozent für die Artenvielfalt sind somit theoretisch umsetzbar.
Praktisch sieht es leider anders aus, denn das für die Ökoregelung Eins zur Verfügung gestelltes Budget reicht lediglich für 2,4 Prozent der Ackerfläche und vier Prozent der Grünlandfläche. Und da die Ökoregelungen freiwillig sind und nur das erste Prozent ausreichend hoch finanziert wird, ist nicht vorherzusagen, wie viele Betriebe diese Ökoregelung umsetzen und wie viel Fläche hier am Ende zusammenkommt.
3. Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen
Die Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen sind freiwillige Maßnahmen, die landwirtschaftliche Betriebe über die 2. Säule der Agrarpolitik beantragen können. In einigen Bundesländern werden mehrjährige Blühstreifen und Ackerrandstreifen gefördert – ähnlich wie in den Ökoregelungen. Auch hier gibt es eine finanzielle Kompensation.
Eine Annäherung an des Ziel des Green Deals, bis 2030 zehn Prozent der Fläche als Flächen für die Artenvielfalt zur Verfügung zu stellen, ist durch die kommende GAP ersichtlich. Doch die Wiederherstellung der Artenvielfalt ist noch lange nicht gesichert. Unklar ist, woher das fehlende Budget kommt, wie die Zielerreichung garantiert wird und wie es nach 2027 weitergeht.
Es wird deutlich mehr Platz für die Natur im Förderzeitraum 2023 bis 2027 bereit gestellt werden müssen: mindestens vier Prozent – an diesen ist nicht zu rütteln! Das bedeutet für die Landwirtschaft ein Umdenken und eine neue Betriebsweise und ist bestimmt für einige eine große Herausforderung. Doch eins ist klar: Das Überleben vieler Arten hängt davon ab, unsere Landwirte und Landwirtinnen haben es in der Hand!
Weitere Maßnahmen sind nötig
Nur wenn wir die großen ökologischen Probleme in der Landwirtschaft angehen, können wir langfristig Europas Artenvielfalt bewahren. Mindestens zehn Prozent Flächen für die Artenvielfalt sind ein wichtiger Schritt dahin. Aber alleine reicht dieser nicht aus, denn das Ökosystem ist komplex. Neben der Bereitstellung von Lebensraum für die Artenvielfalt muss die Transformation der Landwirtschaft von weiteren Maßnahmen flankiert werden, zum Beispiel der Reduzierung des Pflanzenschutzmittel- und Düngereinsatzes und dem Schutz des Natura 2000-Netzwerkes. Weiterhin wird eine Veränderung der Anbauverfahren, zum Beispiel durch eine vielfältigere Fruchtfolge, Flächen mit extensiver Bewirtschaftung und der Bewahrung von Dauergrünland benötigt.
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