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Wie der Verkehr der Natur zusetzt
Der Pfälzerwald, gelegen in Rheinland-Pfalz an der Grenze zu Frankreich, ist mit rund 1.800 Quadratkilometern Fläche das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands. Die vielfältige Mittelgebirgslandschaft mit tief eingeschnittenen Tälern und dramatisch modellierten Felsformationen ist Heimat von Hirschkäfer und Schlingnatter und Brutgebiet von Uhu und Kolkrabe. In der urwaldähnlichen Kernzone jagen Luchs und Wildkatze. Der Pfälzerwald ist ein dünn besiedelter Landstrich; menschliche Ansiedlungen machen nur fünf Prozent des Gebietes aus, drei Viertel sind bewaldet. Noch.
Tiefe Schnitte
Denn der autobahnähnliche Ausbau der B10, die den Pfälzerwald auf 50 Kilometern von Landau nach Pirmasens durchschneidet, schlägt eine breite Schneise durch den Wald. Für den Ausbau von zwei auf vier Spuren, ausgelegt auf hohe Geschwindigkeit, müssen Paralleltunnel in den Fels gesprengt und gewaltige Erdmassen bewegt werden. Danach wird die B10 eine andere Straße sein. Und für die Wildtiere im Pfälzerwald eine kaum zu überwindende Barriere. Denn je breiter eine Straße, je schneller der Verkehr, desto stärker die Sperrwirkung. Das trifft insbesondere den Luchs, der auf große, unzerschnittene Jagdreviere angewiesen ist.
Der Ausbau der B10 ist nur ein Beispiel dafür, wie Verkehrsinfrastruktur die Naturräume in Deutschland in immer kleinere Teilstücke zerlegt. Das hiesige Straßennetz umfasst aktuell knapp 830.000 Kilometer, 230.000 davon für den überörtlichen Verkehr. Jahr für Jahr wächst es im Schnitt um weitere 10.000 Kilometer. Hinzu kommen ein fast 40.000 Kilometer umfassendes Schienennetz und das 7.300 Kilometer lange Netz der Bundeswasserstraßen mit ihren über lange Strecken durch Dämme und Spundwände verbauten Ufern.
Stoppschild an der Autobahn
Straßen, Schienen und Kanäle prägen das Landschaftsbild hierzulande weit stärker als Wiesen und Wälder. Unzerschnittene Gebiete größer als 100 Quadratkilometer existieren fast nur noch in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, im Bayerischen Wald und im Alpenraum.
Das hat Folgen für Flora und Fauna. Denn mit der Landschaft werden auch Lebensräume zerschnitten. „Tiere, aber auch Pflanzen müssen wandern können“, sagt Heinrich Reck, Landschaftsökologe an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: „Zur Nahrungssuche, zur Fortpflanzung und zur Besiedelung neuer Lebensräume.“ Doch Wanderungen enden in Deutschland spätestens an der nächsten Autobahn. Die offensichtlichsten Folgen der Landschaftsfragmentierung: Jedes Jahr sterben weit über 200.000 Rehe, Hirsche und Wildschweine bei dem Versuch, eine Straße zu überqueren.
Genetische Verarmung
Gravierender als Wildunfälle seien jedoch die Langzeitfolgen der Zerstückelung, sagt Reck. Beispielsweise für die Ausbreitung der Arten: „Flugunfähige Insekten und Samen, die für den Wind zu schwer sind, nutzen oft Großtiere als Transportmittel“, erläutert er. „Sie wandern in Magen, Fell oder Hufen mit.“ Ohne großräumig wandernde Wildtiere könnten jedoch auch Pflanzen und Kleintiere keine neuen Lebensräume besiedeln.
Hinzu kommt, dass die Verinselung der Lebensräume die genetische Vielfalt innerhalb von Populationen schmälert. Je kleiner und isolierter ein Habitat, desto weniger Individuen einer Art können sich paaren. Dadurch verarmt der Genpool, es kommt zu Inzucht, und ein schleichendes Sterben setzt ein. „Die Tiere werden anfälliger für Krankheiten und Parasiten“, führt der Wissenschaftler aus: „Am Ende steht das Erlöschen der Population.“
Wie kann man die Natur entlasten? Deshalb kümmert sich der NABU um die Verkehrspolitik.
Natur und Verkehr sind in Deutschland eng ineinander verwoben. Aktuell belegt die Verkehrsinfrastruktur 18.076 Quadratkilometer. Das sind 5,5 Prozent der Landesfläche – mit steigender Tendenz. 2020 kamen tagtäglich sechs Hektar neue Verkehrsflächen hinzu. Auf Kosten der Natur: Die vom Autoverkehr angerichteten Natur- und Landschaftsschäden belaufen sich auf 13 Milliarden Euro jährlich. Naturschutz heute sprach mit Daniel Rieger, dem Leiter Verkehrspolitik beim NABU-Bundesverband.
Naturschutz heute: Warum kämpft der NABU, dessen Kerngeschäft der Naturschutz ist, auch für eine andere Verkehrspolitik?
Daniel Rieger: Unser Verkehrssystem hat erhebliche Nebenwirkungen auf die Natur. Hier setzt der NABU an. Die zentrale Frage nachhaltiger Verkehrspolitik muss lauten: Wie kann man die Natur entlasten?
Geht das zusammen? Verkehr und Entlastung der Natur?
Ja, indem unnötiger Verkehr vermieden wird. Verkehr lässt sich effizient bündeln, etwa durch Carsharing oder in Bussen und Bahnen. Fuß- und Radverkehr müssen gestärkt werden.
Welche Möglichkeiten hat der NABU, Verkehrspolitik in diese Richtung zu drängen?
Wir nennen die Probleme beim Namen, bauen Druck auf. Vieles, was die Regierung verkehrspolitisch durchführt, wird in Brüssel entschieden. Wir versuchen, auf allen Ebenen Einfluss zu nehmen: in Brüssel, in Berlin und lokal.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit NABU-Gruppen vor Ort?
Auf lokaler Ebene gibt es hunderte von Verkehrsprojekten, die aus Naturschutzsicht bewertet werden müssen. Das kann nur die NABU-Gruppe vor Ort leisten. Handelt es sich um größere Vorhaben, rate ich dazu, sich mit dem Landesverband oder mit uns zu vernetzen. Wir haben erfahrene Leute und bieten auch juristische Unterstützung.
Was können NABU-Gruppen gegen naturzerstörerische Projekte unternehmen?
Sie können aktiv werden, auf die Straße gehen, versuchen, ihre*n Bürgermeister*in zu überzeugen oder örtliche Bundestagsabgeordnete in die Verantwortung nehmen. Ist das Projekt bereits in der Planung, sollten sie bei Anhörungen oder Beteiligungsverfahren mitmischen, damit das Schlimmste verhindert wird.
An welchen verkehrspolitischen Fronten kämpft der NABU zurzeit?
Aktuell steht die Debatte um den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ganz oben. Ein Dauerthema ist der Abbau umweltschädlicher Fehlanreize wie die Pendlerpauschale, mit der der Staat das Fahren über weite Strecken subventioniert.
Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?
Ich bin mir sicher, dass es so nicht mehr lange weitergeht. Ein gesellschaftliches Umdenken ist spürbar. Inzwischen hat sogar der ADAC seine Fundamentalopposition gegen ein Tempolimit aufgegeben. Wir erleben gerade das letzte Aufbäumen des alten Systems.
Interview: Hartmut Netz
Inzwischen weiß man, dass die Fragmentierung von Naturräumen wesentlicher Treiber des galoppierenden Artensterbens ist. Die größte Sperrwirkung entfalten dabei Verkehrswege, die mehrere Verkehrsträger eng bündeln, etwa Autobahnen mit paralleler ICE-Strecke. „Aber auch Lärm, Licht und hohes Verkehrstempo auf vielbefahrenen Bundesstraßen wirken abschreckend auf Tiere“, erläutert Reck. Vergleichsweise harmlos seien dagegen zweigleisige Bahnlinien, ICE-Strecken allerdings ausgenommen: „Die meisten Wildtiere queren Gleise ohne Probleme.“
Mit Beton gegen Beton
Will man die Artenvielfalt schützen, muss man Tieren über die Straße helfen. Diese Erkenntnis hat sich, zumindest bei Neubauprojekten, inzwischen durchgesetzt. In der Regel werden dafür sogenannte Grünbrücken gebaut, gewaltige Betonbauwerke, bepflanzt mit Gräsern, Stauden und Buschwerk, die sich als 50 bis 80 Meter breiter Grünzug über Autobahn oder Bundesstraße spannen. Für Kleintiere werden auch Tunnel gegraben, mit deren Hilfe Amphibien, aber auch kleine Säugetiere die Straße gefahrlos unter der Fahrbahn queren können. Ideal sei ein Mix aus kleinen und großen Querungshilfen, sagt der Wissenschaftler: „An starken Barrieren alle zwei bis drei Kilometer für Kleintiere, alle fünf Kilometer für große Arten.“
Insgesamt 107 Grünbrücken, errichtet an bekannten Wildwechseln, gibt es bislang in Deutschland. Das ist allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Im überregionalen Verkehrsnetz hat das Bundesamt für Naturschutz rund 30.000 sogenannter Konfliktstellen identifiziert. Insbesondere die Nachrüstung von Querungshilfen und der Rückbau von Kleinbarrieren an bestehenden Straßen gehen nur zäh voran, berichtet Reck. Dabei zeigen Untersuchungen, dass Grünbrücken und Krötentunnel Lebensräume wirksam vernetzen. Sie werden nicht nur von Hirschen, Rehen und Wildschweinen angenommen, sondern auch von Kleintieren wie Käfern, Mäusen und Eidechsen. Querungshilfen mildern demnach die Sperrwirkung einer Straße.
Totgepflegte Straßenränder
Doch Straßen können auch artenreiche Lebensräume sein. Genauer gesagt: das Begleitgrün an den Rändern, wenn richtig bewirtschaftet. Für die Natur haben die zumeist ungedüngten Grünstreifen beiderseits der Straße enorme Bedeutung erlangt. Denn viele davon haben sich mit dem flächendeckenden Schwund artenreicher Feldraine und Wildblumenwiesen in den letzten Jahren zum Rückzugsraum für seltene Tier- und Pflanzenarten entwickelt. Das zeigt ein Projekt der NABU-Station Münsterland, die in Münster 50 Kilometer Randstreifen ökologisch bewirtschaftet. Auf Magerböden wachsen dort artenreiche Wildblumenwiesen; ein reichgedeckter Tisch für zahlreiche Insektenarten, die wiederum Nahrungsgrundlage für Vögel und Fledermäuse sind. Ziel des Projektes ist es, ein flächendeckendes Netz artenreicher Weg- und Straßenränder zu etablieren.
Doch ökologische Bewirtschaftung von Straßenbegleitgrün, wie sie die NABU-Station Münsterland betreibt, ist die Ausnahme. Denn das kostet. In den meisten Gemeinden wird das Schnittgut nach dem Mähen abgesaugt – samt Insekten, Kleintieren und Samenkörnern. Oder es wird zu früh gemäht, manchmal schon Ende Mai vor der Blüte, sodass viele Arten keine Samen ausbilden können. Über die Jahre verschwinden dann die Blühpflanzen, und es entwickelt sich eine artenarme grüne Wüste. Häufig wird aus falsch verstandener Ordnungsliebe auch zu oft gemäht. Sogar die Art des Mähens spielt eine Rolle: Balkenmäher gehen mit Kleintieren deutlich schonender um als Rotationsmäher.
Vom Reifen ins Meer
Doch falsche Pflege des Straßenbegleitgrüns und von einem dichten Verkehrsnetz zerschnittene Lebensräume sind nur zwei Aspekte aus einer ganzen Palette, mit der motorisierte Mobilität die Natur unter Druck setzt. Ein weiterer Aspekt ist der Verkehr selbst, auf dessen Konto ein Drittel der gesamten Mikroplastikbelastung geht. Als Mikroplastik bezeichnet man Kunststoffpartikel kleiner als fünf Millimeter. Sie entstehen durch mechanischen Reifenabrieb beim Fahren und Bremsen. Mikroplastik ist inzwischen überall: im Boden, in der Luft, in Seen und Flüssen, in den Ozeanen.
Neben giftigen Stickoxiden und gesundheitsschädlichem Feinstaub quillt aus dem Auspuff zudem klimaschädliches CO2. In Mengen, die partout nicht weniger werden wollen. Obwohl Autos über die Jahre immer energieeffizienter wurden, verharrt der CO2-Ausstoß des Pkw-Verkehrs seit 1995 auf gleichem Niveau. Warum? Weil immer mehr gefahren wird.
Hartmut Netz, aus „Naturschutz heute“ 3/2022
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