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Lehren aus den Gammelfleischskandalen
2005 und 2006 wurden zahlreiche Fälle bekannt, in denen Betriebe nicht genussfähiges Fleisch gelagert, neu etikettiert und weiterverkauft hatten. So zum Beispiel ein Fleischgroßhändler aus Gelsenkirchen, der riesige Mengen Gammelfleisch in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hamburg verteilte. Besonderes Aufsehen erregte auch der Fall eines Münchner Großhändlers, in dessen Geschäftsräumen die Polizei viele Tonnen Fleisch fand, dessen Haltbarkeit teilweise um vier Jahre überschritten war.
Forderung nach besserer Information
Der damalige Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) reagierte 2005 mit einem 10-Punkte-Plan und kündigte unter anderem einen besseren Informationsaustausch zwischen den Kontrollbehörden an. Noch im selben Jahr wurde das Fachinformationssystem Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (FIS VL) freigeschaltet. Über das beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) angesiedelte System können sich Behördenmitarbeiter auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene schnell und sicher austauschen, insbesondere im Krisenfall. Allerdings wurde das FIS VL ursprünglich nicht aufgrund der Gammelfleischskandale eingerichtet, sondern als Reaktion auf einen viel früheren Lebensmittelskandal: Den ersten heimischen BSE-Fall im Jahr 2000.
Auf die Forderung nach einer besseren Information der Verbraucher reagierte die Politik mit dem Verbraucherinformationsgesetz. Der Bundestag verabschiedete es 2007, eine Novelle folgte 2012. Seitdem kann sich jeder bei der zuständigen Behörde nach Risiken von Lebensmitteln erkundigen und beispielsweise Verstöße gegen die Deklarationspflicht bei einem Produkt oder Hygienemängel in einem Restaurant erfragen. Eine Auskunft ist allerdings nicht garantiert. Denn die Behörde wägt zwischen dem „öffentlichen Informationsinteresse“ und dem Unternehmensinteresse auf Stillschweigen ab, unter anderem, wenn es um Betriebsgeheimnisse geht.
Unzureichende Kontrollen der Schlachtabfalltransporte
Wenn Lebensmittelkontrolleure in einem Betrieb verdorbenes Fleisch entdecken, müssen die Funde auch nicht unbedingt öffentlich gemacht werden. Lediglich bei Grenzwertüberschreitungen müssten die Behörden zwingend informieren, sofern ein zweites Labor die Ergebnisse bestätigt hat, kritisiert der Verein Foodwatch. „Das Instrument der Veröffentlichung wird nicht annähernd so konsequent eingesetzt, wie es nötig wäre“, sagt Matthias Wolfschmidt, internationaler Kampagnendirektor bei Foodwatch.
Ein weiteres Problem sieht Foodwatch im Umgang mit Schlachtabfällen. Nach EU-Recht werden sogenannte tierische Nebenprodukte, die im Schlachthof anfallen, in drei Kategorien eingeteilt. Material der niedrigsten Risikokategorie 3 darf innerhalb der EU frei gehandelt werden, als Tiermehl oder auch als Rohware. Die so klassifizierten Überreste werden beispielsweise zu Heimtierfutter oder zu Dünger weiterverarbeitet. Zur Kategorie 3 zählen unter anderem Tierfüße, geleerte, aber nicht gereinigte Schweinemägen und -därme oder sogenanntes Stichfleisch. Das ist die Fleischpartie, die beim Schlachten rund um die Einstichstelle entsteht. Solche Ware wurde auch im Gelsenkirchener Gammelfleischskandal als Lebensmittel weiterverkauft.
Wolfschmidt wundert das überhaupt nicht. „Es ist ein Leichtes, Kategorie-3-Material zu kaufen, innerhalb der EU zu transportieren und dann daraus wieder Lebensmittel herzustellen“, sagt er. Ursprünglich war in der EU-Verordnung vorgesehen, die Schlachtabfälle der Kategorie 3 farblich oder geschmacklich zu kennzeichnen und so auszuschließen, dass sie illegal wieder in die Lebensmittelkette gelangen. Laut Foodwatch wurde das nie umgesetzt. Heute müssten sich Behörden auf die Kennzeichnung des Containers und entsprechende Frachtpapiere verlassen, so Wolfschmidt. Die Kontrollen der Schlachtabfalltransporte innerhalb der EU und in Drittländer hält er für unzureichend
Beweislage oft schwierig
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) weist demgegenüber auf hohe Standards und häufige Kontrollen bei Lebensmitteln in Deutschland hin. Laut BMEL werden pro Jahr mehr als 500.000 Betriebe kontrolliert. Das entspricht knapp der Hälfte aller Betriebe in Deutschland, die Lebensmittel herstellen, verarbeiten oder verkaufen. Außerdem müssen die Betriebe durch eigene Kontrollen sicherstellen, dass die Standards eingehalten werden. Die amtlichen Lebensmittelkontrolleure bewerten diese Eigenkontrollsysteme und lassen das Ergebnis in ihre Risikoeinstufung einfließen. Je nach Risikostufe werden die Betriebe häufiger oder seltener amtlich kontrolliert.
Trotzdem kann die Dunkelziffer bei Betrug mit Lebensmitteln hoch sein, räumen auch BMEL und BVL ein. Darum setze man auf „ein koordiniertes Vorgehen der Überwachungsbehörden“, so ein Sprecher des BVL. Zudem wurde der Bußgeldrahmen 2011 deutlich angehoben: Wer für den menschlichen Verzehr nicht geeignete Lebensmittel fahrlässig in Verkehr bringt, dem drohen Geldbußen bis zu 100.000 Euro; vorher waren es 50.000 Euro. Nach Meinung von Wolfschmidt ist das noch immer zu wenig. Er schlägt vor, die Strafen am Umsatz der Unternehmen zu orientieren, um Betrüger abzuschrecken. Denn die Gefahr, dass ein Lebensmittelbetrug auffliegt, sei nach wie vor sehr gering. „Und wenn es dann mal zur Gerichtsverhandlung kommt, ist die Beweislage oft schwierig, weil viele Beweise bereits aufgegessen wurden“, so der Verbraucherschützer. Dann bleibt nur zu hoffen, dass das verspeiste Gammelfleisch wenigstens nicht gesundheitsschädlich war – sondern „nur“ eklig.
Ann-Kathrin Marr
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