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Nachgerechnet: Fünf falsche Versprechen der Bioenergie
Biomasse kann fossile Energieträger technisch oft relativ problemlos ersetzen – Holz statt Kohle, Biomethan statt Erdgas, „Bio”-Kraftstoffe statt Benzin. Der einfache Umstieg von fossilen Energieträgern auf Biomasse ist entsprechend verführerisch und wird unter dem Stichwort „Technologieoffenheit“ auch gerne gegen Wind- und Sonnenstrom, Wärmepumpen oder Elektroautos ins Rennen geschickt. Doch wie realistisch sind diese Forderungen?
Bereits 14 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland – 2,3 Millionen Hektar, das entspricht fast der Fläche Mecklenburg-Vorpommerns – werden aktuell für den Anbau von Biomasse für die Energieerzeugung genutzt. Vor allem Mais und Getreide für Biogas sowie Raps für Biodiesel werden hierzulande angebaut. Doch das reicht bei Weitem noch nicht aus: Der überwiegende Teil der Rohstoffe wird importiert, vor allem für Kraftstoffe. Zudem wird in Deutschland bereits so viel Holz für Energie verbrannt wie stofflich genutzt. Dabei hat die Bioenergie viele Nachteile: CO₂-Emissionen, welche oft nur auf dem Papier ausgeglichen werden, sowie negative Auswirkungen auf die Biodiversität durch intensive Land- und Forstwirtschaft. In Ausnahmefällen kann Bioenergie zwar einen sinnvollen Beitrag leisten, als Standardlösung taugt sie aber nicht. Denn die Energieerzeugung aus Biomasse nutzt die vorhandenen Flächen extrem ineffizient.
Wir zeigen in unseren „Bierdeckel-Rechnungen“ an fünf eindrücklichen Beispielen, was es bedeutet, fossile Energieträger einfach durch Biomasse zu ersetzen.
Bierdeckel 1
Heizen, Industriewärme, Strom – alles mit Holz?
Die Millionenstädte Hamburg und Berlin sowie viele kleinere Kommunen und große Industriebetriebe setzen auf die Verbrennung von Holz, um fossile Energieträger abzulösen und vermeintlich „klimaneutral“ zu werden. Dazu kommt der starke Anstieg privater Holz- und Pelletheizungen (seit 2010 hat sich der deutsche Pelletbedarf verdreifacht). Die benötigten Holzmengen summieren sich schnell auf, sodass der Druck auf die Wälder in Deutschland und weltweit deutlich zunehmen wird.
Gleichzeitig wollen wir mehr mit Holz bauen und Wälder als CO₂-Speicher und Ökosysteme erhalten, um das Klima und die Artenvielfalt zu schützen. Daher müssen wirklich klimafreundliche, brennstofffreie erneuerbare Technologien wie (Groß-)Wärmepumpen und Solar- oder Geothermie immer bevorzugt werden. Holz darf nur energetisch genutzt werden, wenn es keine stoffliche Verwendung mehr finden kann.
Quellenangaben
- Harthan et al., 2023: Projektionsbericht 2023 für Deutschland. Umweltbundesamt (Hrsg.), S. 92ff. Abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/11740/publikationen/2023_08_21_climate_change_39_2023_projektionsbericht_2023_0.pdf
Bierdeckel 2
Ist es wirklich sinnvoll, Agrosprit zu tanken?
In Verbrenner-Autos kann zwar ein Teil des fossilen Kraftstoffs durch Sprit auf Pflanzenbasis ersetzt werden. Deutschland belegt jedoch bereits heute für seine noch geringe „Bio”-Kraftstoffnachfrage weltweit über 1,2 Millionen Hektar. Ein Bedarf, der im Zusammenhang mit der Zerstörung des Regenwaldes steht und damit enorme zusätzliche Klimakosten verursacht. Eine steigende Nachfrage kann ohne massive Umweltschäden nicht gedeckt werden. Agrosprit ist also keine Lösung für den Verbrennungsmotor. Wer Auto fahren muss, ist mit einem Elektroauto außerdem viel effizienter unterwegs. Darüber hinaus brauchen wir dringend umweltfreundliche Mobilitätskonzepte jenseits des privaten PKW.
Quellenangaben
- Fehrenbach, H. und Bürck, S./ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, 2022: CO2-Opportunitätskosten von Biokraftstoffen in Deutschland. Abrufbar unter: https://www.ifeu.de/fileadmin/uploads/pdf/CO2_Opportunit%C3%A4tskosten_Biokraftstoffe_1602022__002_.pdf
- Merfort, L. et al./Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 2023: Bioenergy-induced land-use-change emissions with sectorally fragmented policies. Nature Climate Change 13, 685-692. Abrufbar unter: https://www.nature.com/articles/s41558-023-01697-2
- Böhm, J./Thünen-Institut, 2023: Vergleich der Flächenenergieerträge verschiedener erneuerbarer Energien auf landwirtschaftlichen Flächen – für Strom, Wärme und Verkehr. Berichte über die Landwirtschaft – Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft. Band 101 Ausgabe 1. BMEL (Hrsg.): Abrufbar unter: https://buel.bmel.de/index.php/buel/article/view/462/682
Bierdeckel 3
Kann die ganze Welt mit Frittierfett fliegen?
Dass die Ernte von extra angebauten Pflanzen im Tank schlecht für Klimaschutz und Artenvielfalt ist, spricht sich langsam herum. Sprit aus vermeintlichen Abfällen wird immer wieder als bessere Lösung gepriesen. Am stärksten nachgefragt ist hierbei gebrauchtes Speisefett. Es wird vor allem aus Asien importiert. Doch allein die prognostizierte Nachfrage für den Flugverkehr in der EU für eine geringe Beimischung zum fossilen Kerosin übersteigt das Angebot der großen Exportländer in Asien deutlich. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass andere Länder ebenfalls einen hohen Bedarf haben. Die für den Flugverkehr verfügbaren Mengen sind also äußerst gering und lassen sich nur sehr begrenzt steigern.
Bessere Lösungen für den Luftverkehr: E-Fuels (synthetische Kraftstoffe auf Basis von grünem Wasserstoff) und insgesamt weniger Flüge.
Quellenangaben
- Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), 2022: Evaluations- und Erfahrungsbericht für das Jahr 2021. Abrufbar unter: https://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/Klima-Energie/Nachhaltige-Biomasseherstellung/Evaluationsbericht_2021.html
- International Council on Clean Transportation (ICCT), 2022: Estimating the potential for used cooking oil from major Asian exporting countries. Abrufbar unter: https://theicct.org/wp-content/uploads/2022/02/Europe-Fact-Sheet-%E2%80%93-UCO-potential.pdf
- Europäische Kommission, 2023: European Green Deal: new law agreed to cut aviation emissions by promoting sustainable aviation fuels. Abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_2389
Bierdeckel 4
Ist es wirklich sinnvoll, Strom aus Energiepflanzen zu erzeugen?
Biomassestrom aus angebauten Energiepflanzen wie Mais verbraucht extrem viel Fläche. Deutlich mehr Strom auf der gleichen Fläche liefern dagegen Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen (über 700-mal bzw. 30-mal mehr). Bioenergie, in erster Linie Biogas, sollte besser aus Bioabfällen und Nebenprodukten aus Landwirtschaft und Landschaftspflege erzeugt und nur für den Ausgleich der schwankenden Stromerzeugung aus Wind und Sonne eingesetzt werden. Ein solcher Technologiemix würde im Vergleich zu einer Strategie, die überwiegend auf Anbau und Verstromung von Energiepflanzen setzt, weitaus weniger Fläche benötigen. Biomassestrom sollte daher immer nur dann zum Einsatz kommen, wenn keine erneuerbaren Alternativen zur Verfügung stehen.
Quellenangaben und Berechnung
- Böhm, J./Thünen-Institut, 2023: Vergleich der Flächenenergieerträge verschiedener erneuerbarer Energien auf landwirtschaftlichen Flächen – für Strom, Wärme und Verkehr. Berichte über die Landwirtschaft – Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft. Band 101 Ausgabe 1. BMEL (Hrsg.): Abrufbar unter: https://buel.bmel.de/index.php/buel/article/view/462/682
Strom von einem Hektar Fläche, Versorgte Haushalte/Jahr:
- Biogas aus Mais: 23.000kWh, 7 Haushalte
- PV-Freiflächenanlage: 700.000 kWh, 230 Haushalte
- Wind: 18 Millionen kWh, 6000 Haushalte
=> jeweils mal 42 für die Fläche des Oktoberfestes
Bierdeckel 5
Heizen, Tanken, Produzieren - alles mit Biogas?
In Heizungen, Blockheizkraftwerken, im Schwerlastverkehr und in der Industrie wird auf Biomethan statt auf Erdgas gesetzt. Kann das funktionieren? Als Vorbild wird oft das „dänische Modell“ genannt. Dort werden bereits 25 Prozent des Gasbedarfs durch Biogas gedeckt – meist aus Reststoffen. Doch dieses Modell basiert vor allem auf Gülle aus der intensiven Schweinemast. Dänemark hält weltweit die meisten Schweine pro Kopf der Bevölkerung. Würde man die dänischen Verhältnisse auf Deutschland übertragen, müsste die Schweinhaltung hierzulande vervielfacht werden. Das zeigt: (Landwirtschaftliche) Reststoffe gelten als besonders nachhaltig für die Bioenergieproduktion, die Potenziale werden jedoch häufig überschätzt.
Um von fossilen Energieträgern wegzukommen, braucht es andere Strategien wie Elektrifizierung, Einsparung und neue Produktionsverfahren in der Industrie.
Quellenangaben und Berechnung
Zahlen für die Berechnung (aus dem Jahr 2021, um Gasmarktschwankungen durch den Krieg in der Ukraine sowie Schwankungen am Schweinemarkt u.a. durch den Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest nicht abzubilden, da dies kurzzeitige Effekte sein können):
- Einwohnerzahl Dänemark: 5,8 Millionen
- Einwohnerzahl Deutschland: 83 Millionen
- Gasverbrauch in Dänemark:
Erdgas: 2,3 Mrd. m³: https://www.statista.com/statistics/703645/natural-gas-consumption-denmark/
plus 25% Biogas = 0,7 Mrd. m³: https://en.energinet.dk/About-our-news/News/2022/01/07/New-record-biogas/
=> Pro-Kopf-Verbrauch: 0,5 Mio. m³ pro Jahr - Gasverbrauch in Deutschland:
Erdgas 90,5 Mrd. m³
plus 9% Biogas = 10 Mrd. m³: https://www.dbfz.de/fileadmin/user_upload/Referenzen/Statements/Positionspapier_Biogas_Ukraine.pdf
=> Pro-Kopf-Verbrauch: 1,2 Mio. m³ pro Jahr - Biogaserzeugung in Dänemark 15 PJ = 4,2 TWh: https://ens.dk/en/our-responsibilities/bioenergy/biogas-denmark
Biogaserzeugung in Deutschland 95 TWh: https://www.tagesschau.de/wissen/technologie/gaskrise-biogas-biomethan-strom-101.html
=> 22-mal mehr in Deutschland als in Dänemark - Schweineanzahl in Dänemark = 13,8 Mio. in 2021: https://www.topagrar.com/schwein/news/schweinebestand-in-daenemark-stark-gesunken-13169584.html
- Schweineanzahl in Deutschland = ca. 24 Mio. in 2021, 20 Millionen in 2023: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD23_247_413.html
Unser Fazit
Bioenergie kann fossile Energieträger nicht 1:1 ersetzen, denn die benötigten Mengen wären unrealistisch hoch. Anhand der Beispiele auf unseren Bierdeckeln wird klar, dass heute getroffene politische Entscheidungen für den Einsatz von Bioenergie tiefgreifende und oftmals irreversible Auswirkungen auf Klima, Biodiversität, Bodenfruchtbarkeit und Wasserqualität haben und somit unsere Lebensgrundlagen gefährden können. Umso wichtiger ist es, die begrenzt nachhaltig verfügbare Biomasse mit Bedacht einzusetzen. Auf keinen Fall sollte diese wertvolle Ressource in großem Stil für Verkehr, Heizungen oder in Kraftwerken verschwendet werden, da fast überall effizientere Alternativen verfügbar sind.
Und doch hat Bioenergie einen Platz in der Energieversorgung: Dort, wo ohnehin Biomasse anfällt, nachhaltig verfügbar ist und keine höherwertige Verwendung findet, kann sie zur Energieerzeugung eingesetzt werden. Wo fossile Energien für den Moment noch schwer zu ersetzen sind, kann diese Biomasse ein sinnvoller Ersatz für diese Brennstoffe sein. Darüber hinaus ist jedoch ein grundlegender Wandel unserer eingefahrenen Konsummuster notwendig, um den wachsenden Druck auf Flächen und Ökosysteme zu verringern. Wir müssen unseren Energieverbrauch reduzieren und Ressourcen sinnvoller einsetzen.
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