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Anforderungen des NABU an eine naturverträgliche Bioökonomie
Mit biologischen Rohstoffen soll ein Großteil der weltweit verwendeten fossilen Ressourcen ersetzt werden. Die Anwendungspalette ist sehr variantenreich: Aus Biomasse können neben Nahrungs- und Futtermitteln auch Bau- und Dämmmaterialien, Möbel, Textilien, Kunststoffe, Chemikalien, Kosmetikprodukte und Kraftstoffe hergestellt werden.
Die Ausweitung der Biomasseproduktion und die Defossilisierung unseres Wirtschaftssystems erscheinen vor dem Hintergrund der zahlreichen ökologischen Krisenphänomene als logische Konsequenz – diese Art der Rohstoffe ist schließlich erneuerbar. Deshalb wächst von allen Seiten die Nachfrage nach biologischen Ersatzstoffen für unterschiedliche Anwendungen. Doch dabei entsteht ein Spannungsverhältnis.
Problemlage Flächenverbrauch
Ein vollständiger Ersatz fossiler Stoffe durch Biomasse, ohne die grundlegende Veränderung der Wirtschafts- und Lebensweisen hoch industrialisierter Konsumgesellschaften, wird die bereits jetzt bestehende massive Konkurrenz um Flächen drastisch verschärfen und kann beträchtlich zur Belastung unserer Ökosysteme mit Chemikalien und Pestiziden beitragen.
Die seit Jahrzehnten bekannten Probleme der Land- und Forstwirtschaft werden weiter befeuert, anstatt diese auf ein ökologisch und sozial tragfähiges Maß zu verringern. Bioökonomie auf einen einfachen Austausch der fossilen Rohstoffbasis zu reduzieren und auf rein technische Lösungen zu setzen, ist nicht zielführend.
Stattdessen erfordern die vielen Krisenphänomene unserer Zeit entschlossenes Handeln, signifikante politische Veränderungen und Investitionen. Ohne diese werden wir nicht den Auswirkungen des Klimawandels angemessen begegnen und den Verlust der biologischen Vielfalt begrenzen können.
Kernforderungen des NABU zur Bioökonomie
Vor dem Hintergrund der gravierenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen sind aus Sicht des NABU dies die grundlegenden Kernforderungen für eine naturverträgliche, nachhaltige und zukunftsfähige Bioökonomie:
- Ein wissenschaftlich fundierter Überblick zu allen biogenen Stoffströmen ist zwingend notwendig: Aus den planetaren Belastbarkeitsgrenzen abgeleitete, nutzbare Biomassepotenziale müssen von der Politik für unser Wirtschaftssystem festgeschrieben und entsprechend berücksichtigt werden.
- Soziale sowie umweltschädigende Auswirkungen dürfen nicht länger ausgelagert werden: Der Verlust an Biodiversität, die Ausweitung intensiv betriebener landwirtschaftlicher Produktionsflächen und eine wachsende Holznutzung für energetische Zwecke dürfen nicht mit einer zukunftsfähigen Bioökonomie einhergehen.
- Unser Ernährungssystem muss grundlegend transformiert werden: Pflanzenbasierte Ernährung ist doppelt so flächeneffizient wie tierische: Um eine nachhaltige Ernährung weltweit zu gewährleisten, muss der Konsum tierischer Produkte um mindestens 50 Prozent reduziert werden.
- Unser Flächenverbrauch muss reduziert werden: Lebensmittelproduktion, Klima- und Biodiversitätsschutz sowie Energie- und Rohstoffbereitstellung müssen auf den wenig verfügbaren Flächen ökologisch sinnvoll und standortangepasst miteinander kombiniert werden.
- Es braucht Maßnahmen des (biologischen) Ressourcenschutzes auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette: Das impliziert nicht nur die Verwendung alternativer Rohstoffe, die Hebung von Reststoffpotenzialen, sondern auch die Nutzung biotechnologischer Innovationen und die politische Förderung verschiedener Suffizienzstrategien.
- Lineare Werkschöpfungsketten müssen zu Wertschöpfungsnetzwerken erweitert werden: Kreisläufe, Kaskaden oder kreative Upcycling-Maßnahmen müssen implementiert werden.
- Lieferketten mit angepassten und konsequent umgesetzten Gesetzen müssen auf allen Ebenen etabliert werden: EU-weite Regeln und Importgesetze müssen die die lokale Bioökonomie vor nicht ökologisch hergestellten Produkten schützen.
NABU-Positionspapier zum Download
Die vorliegende NABU-Position zur Bioökonomie dient als erste Orientierung. Sie bietet wichtige Hintergrundinformationen und gibt die Richtung im Umgang mit Zielkonflikten vor. Wir möchten mit dieser Position einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess zur Bioökonomie anstoßen, für den wir mit fachlicher Expertise zur Verfügung stehen:
Vertiefendes FAQ zum NABU-Positionspapier Bioökonomie
1. Konzept der planetaren Belastungsgrenzen
Das Konzept trifft Aussagen über die Erdgesundheit und die Lebensgrundlagen der Menschheit. Neun globale biophysikalische Prozesse bestimmen die Widerstandskraft und Belastungsgrenzen unseres Planeten, deren maßgebliche Veränderung dazu führen kann, dass sich der Gesamtzustand der Erde gefährlich wandelt.
Einige Bereiche haben bereits den sicheren Handlungsrahmen verlassen. Dazu gehören Artenverlust, Chemikalienbelastungen sowie Stickstoff- und Phosphoreintrag. Weitere Bereiche (Klimawandel, Landnutzungswandel) befinden sich in einem Zustand hoher Unsicherheit mit einem zunehmenden Risiko gefährlicher Veränderungen. Damit steigt die Gefahr schwerwiegender Kipppunkte mit irreversiblen Änderungen – insbesondere, wenn mehrere dieser Umweltänderungen zusammenwirken.
Hauptgrund für diese Überschreitungen ist der Art und Weise, wie wir weltweit unsere Rohstoffe für Nahrung, Futtermittel und Industrie produzieren: Im großen Stil werden Flächen für Siedlungsbau, Infrastruktur und Land- und Viehwirtschaft umgewidmet. In vielen Regionen wird mehr Wasser entnommen, als den Ökosystemen zuträglich ist. Düngemittel werden in Böden und Gewässer eingetragen, Pestizidbelastungen lassen sich in empfindlichen FFH-Gebieten nachweisen. Mit alldem geht nicht nur ein dramatischer Verlust an biologischer Vielfalt, sondern auch eine Befeuerung der Klimakrise einher.
2. Potenziale und Grenzen in der Landwirtschaft
Heute werden mehr als 50 Prozent der Landesfläche in Deutschland landwirtschaftlich genutzt. Auf knapp 16 Millionen Hektar werden gegenwärtig zu 60 Prozent Futtermittel, zu 22 Prozent Nahrungsmittel und zu 14 Prozent Energiepflanzen angebaut. Wir nutzen lediglich eine Fläche von 2 Prozent (entspricht circa 300.000 Hektar) für den Anbau von industriellen Rohstoffen. Das Thünen-Institut geht davon aus, dass zukünftig 5 Millionen Hektar für den Anbau von Bioökonomie-Rohstoffen insbesondere zur Versorgung der petrochemischen Industrie in Deutschland benötigt werden.
Das seit Jahrzehnten etablierte Agrarsystem ist nicht nachhaltig. Eine nennenswerte Flächenausweitung ist weder national noch global möglich. Um die Ernährungssicherheit zukünftig zu gewährleisten, gleichzeitig die Landwirtschaft naturverträglich umzubauen, biodiverse Rückzugsräume zu erhalten, Klimaschutz zu betreiben und Rohstoffe für die stoffliche Nutzung zu produzieren, muss sich die Art und Weise der Flächennutzung verändern. Anregungen zu einer integrierten Flächennutzung finden sich im Positionspapier im Abschnitt „Umbau der Landwirtschaft: multifunktionale Landschaften“.
3. Potenziale und Grenzen in der Forstwirtschaft
Das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum geht davon aus, dass zwischen 2018 und 2021 auf über 500.000 Hektar, das entspricht 5 Prozent der deutschen Waldfläche, nahezu alle Bäume abgestorben sind. Als Auslöser gelten die klimabedingt zunehmenden Hitze- und Dürreperioden, die gleichzeitig den Befall durch Insekten, wie dem Borkenkäfer, begünstigt haben. Überwiegend sind Nadelwälder in den Mittelgebirgslagen betroffen.
Die Grenzen nachhaltiger Holznutzung werden bereits heute überschritten. Zahlen aus dem Jahr 2020 belegen, dass der weltweite Verbrauch mit 4,3 bis 5,0 Milliarden Kubikmetern Holz mit Rinde alarmierend hoch ist. Global dürften maximal 4,2 Milliarden Kubikmeter Holz mit Rinde mit erheblichen Nachhaltigkeitseinbußen genutzt werden.
Die Holzentnahme darf das Ökosystem Wald nicht schwächen oder gar schädigen. Dies betrifft auch den Klimaschutz: Verkürzte Produktionszeiträume, wie sie im Holzpräferenz-Szenario der WEHAM-Holzaufkommensprognose bis 2052 angenommen werden, führen dazu, dass Wälder zu einer Kohlenstoffquelle werden anstatt zu einer Senke. Damit Wälder zukünftig noch als Kohlenstoffsenke dienen können, muss der Holzverbrauch erheblich reduziert werden.
Holz wird ein knapper Rohstoff bleiben, mit dem wir zukünftig besonders sorgsam und sparsam umgehen müssen. Die stoffliche Nutzung von Holz (besonders Konstruktionsholz) muss dem Ziel einer langfristigen Kohlenstoffbindung Rechnung tragen. Eine energetische Nutzung darf nur am Ende der Nutzungskaskade oder in Ausnahmefällen erfolgen.
4. Multifunktionale Landschaften durch Agroforst
Unter dem Begriff Agroforst versteht man die Integration von Bäumen oder Hecken in landwirtschaftliche Nutzflächen. Dies kann eine ökologische Aufwertung insbesondere strukturarmer Agrarlandschaften darstellen. Diese modernen Landnutzungssysteme können einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz, zum Boden- und Naturschutz wie auch zur Widerstandsfähigkeit der Landschaft gegenüber Klimaveränderungen leisten. Die Pflanzung von Bäumen auf Landwirtschaftsflächen kann günstige mikroklimatische Bedingungen schaffen, Erosion und Nährstoffauswaschung mindern sowie Kohlenstoff im Boden anreichern.
Gleichzeitig kann der Landwirt sein Produktspektrum erweitern: In Agroforstsystemen lassen sich klassisch Getreide, Gemüse und Obst (Streuobstwiesen) ernten, aber auch eine darin kombinierte artgerechte Haltung von Hühnern, Gänsen, Ziegen, Schweinen oder Kühen umsetzen.
Aus den angebauten Pappeln, Weiden oder Robinien lassen sich auch Baumaterialien produzieren (Schnittholz, Bauholz, Rohstoffe für die Holzwerkstoffindustrie). Es gilt zu betonen, dass Agroforstsysteme von reinen, flächigen Gehölzpflanzungen der Kurzumtriebsplantagen unterschieden werden müssen.
5. Multifunktionale Landschaften durch Agri-Photovoltaik
Photovoltaik gilt als wichtige Säule der zukünftigen Energieversorgung. Der Ausbau muss stark ausgeweitet werden, doch Flächen sind knapp. Zu bevorzugende bereits versiegelte Flächen (Dächer, Parkplätze) werden jedoch selbst bei starken Ausbaubemühungen nicht ausreichen, um den wachsenden Energiebedarf zu decken. Daher müssen auch unversiegelte Flächen im Offenland in den Blick genommen werden. Auf vorbelasteten Flächen, zum Beispiel entlang von Autobahnen oder auf Deponien, könnten Freiflächen-Photovoltaikanlagen ausgebaut werden. Ein weiteres Potenzial stellen Agri-PV-Anlagen dar.
Mit Agri-PV kann im Freiland Energie erzeugt und gleichzeitig können Böden für die Nahrungsmittelproduktion erhalten werden. Darüber hinaus kann sie die Anbaubiomasse vor Winderosion, aber auch vor Hagel-, Frost- und Dürreschäden schützen, zur Senkung des Wasserverbrauchs in der Landwirtschaft beitragen, stabile zusätzliche Einkommensquellen für (insbesondere extensiv wirtschaftende) Landwirtschaftsbetriebe generieren und somit die Resilienz vieler Höfe gegen Ernteausfälle erhöhen.
Lebensräume und Arten können indirekt durch die Doppelnutzung der Fläche in Agri-PV-Systemen profitieren, weil so der Druck auf naturschutzfachlich wertvolle Gebiete zur Nutzung verringert werden kann. Eine zusätzliche direkte positive Auswirkung der Anlagen auf Lebensräume und Arten kann aber nur dann erreicht werden, wenn sie mit einer Extensivierung der Landwirtschaft auf der gesamten Fläche oder auf Teilen der Fläche einhergeht.
Zu den konkreten Auswirkungen von Agri-PV auf Ökosysteme besteht dringender Forschungsbedarf. Einen Überblick der verschiedenen Agri-PV-Arten und wie diese möglichst standortangepasst und naturverträglich eingesetzt werden können, bietet das aktuelle NABU-Hintergrundpapier zur Agri-PV.
6. Multifunktionale Landschaften mit Mooren
Entwässerte Moore machen in Deutschland nur sieben Prozent der Landwirtschaftsfläche aus. Doch sie verursachen 99 Prozent der CO₂-Emissionen aus landwirtschaftlich genutzten Böden und 41 Prozent der Emissionen aus der gesamten Landwirtschaft. Die Wiedervernässung der Moore ist aus umwelt- und klimapolitischer Sicht dringend notwendig. Pro Hektar wiedervernässtem Moor lassen sich 35 Tonnen Treibhausgas im Jahr einsparen.
Dauerhaft wiedervernässte Moorflächen bergen zudem ein Agri-PV-Potenzial: Auf dem nassen Grund könnte man gleichzeitig Solaranlagen aufstellen und Torfmoose, Seggen oder Röhrichte anbauen, aus denen Dämmstoffe, Verpackungen, Baumaterialien oder Energie erzeugt werden. Doch noch sind viele Fragen offen: Inwieweit sind die Module auf solchen Flächen standfest, mit hochwachsenden Pflanzen vereinbar und welche Auswirkungen haben diese auf Arten und Lebensräume?
7. Waldrestholz
Bei sogenannten Waldreststoffen handelt es sich oft um wirtschaftlich geringerwertiges Primärholz, das sich nicht für Bau- und Möbelholz eignet, aber eine Reihe wichtiger konkurrierender stofflicher Nutzungsoptionen hat (zum Beispiel in Faserplatten, als Grundstoff in der Papierindustrie und chemischen Industrie).
Holzreste spielen auch im Waldökosystem eine wichtige Rolle (Rinde, Blätter, Totholz). Totholz bietet beispielsweise über mehrere Jahrzehnte wertvollen Lebensraum für viele Organismen, trägt zum Humusaufbau bei und ist sowohl selbst Kohlenstoffspeicher als auch ein entscheidendes Bindeglied zur Kohlenstoffsenke des Waldbodens.
8. Effiziente Nutzungsformen durch Recycling
Material- und Energiekreisläufe müssen optimiert und so weit wie möglich ökologisch sinnvoll geschlossen werden. Die Bioökonomie muss konsequent die stoffliche Nutzung biogener Rohstoffe bevorzugen und möglichst lange Produktlebenswege etablieren. Dafür sind langfristige Vorgaben, mehr Investitionsbereitschaft (und Wissen) der staatlichen und privaten Banken sowie die volle Transparenz beim Lebensweg unserer Ressourcen notwendig.
Das Ziel einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft sollte darin bestehen, dass es keinen Abfall, sondern nur nützliche Rohstoffe gibt. Sowohl biologische als auch fossile Materialien sollten als „Nährstoffe“ in jeweils voneinander getrennten, geschlossenen Kreisläufen gehalten werden (Cradle-to-Cradle-Prinzip).
9. Effiziente Nutzungsformen durch Downcycling
Unter dem Begriff Downcycling versteht man die stoffliche Mehrfachnutzung von Biomasse über mehrere Stufen hinweg, um Rohstoffe oder daraus hergestellte Produkte so lange wie möglich zu nutzen. In der Regel umfasst eine Nutzungskaskade dabei eine mehrstufige stoffliche Verwendung mit abnehmender Wertschöpfung sowie eine abschließende energetische Nutzung oder eine Kompostierung des Rohstoffs. In der Praxis wird das Prinzip der Kaskadennutzung in Bioraffinerien besonders konsequent umgesetzt.
Biomasse, die stofflich nutzbar ist, darf erst am Ende der Nutzungskaskade energetisch verwertet werden. Dies gilt in erster Linie für Holz, das erst am Ende einer möglichst langen Nutzungskaskade langlebiger Produkte verbrannt werden sollte. Eine möglichst lange und mehrfache stoffliche Verwendung (Kaskadennutzung) leistet einen Beitrag zum Klimaschutz (CO₂-Speicherleistung und Ressourceneffizienz) und ist mit höherer Wertschöpfung verbunden als die ausschließlich energetische Nutzung. Dennoch muss der Kohlenstoffproduktspeicher stets kritisch hinterfragt werden.
10. Effiziente Nutzungsformen durch Upcycling
Die Verbraucherzentrale definiert Upcycling als eine Form des Recyclings, bei der ein ausgedienter Gegenstand einem neuen Lebenszyklus zugeführt und dadurch im besten Fall sogar höherwertiger als das Ausgangsprodukt wird. Anders als beim Recycling muss hier kein industrieller Prozess dahinterstecken, sondern die Möglichkeiten des Upcyclings sind sehr individuell und erfordern etwas Kreativität.
Beispielsweise gewinnen alte (Holz-)Möbelstücke durch einen neuen Anstrich oder eine Ölbehandlung neuen Glanz. Alte Textilien können in Taschen oder Portemonnaies umgewandelt werden. Allerdings ist Upcycling nur dann nachhaltig und macht Sinn, wenn das neue Produkt tatsächlich benötigt wird und für den Upcycling-Prozess nicht viele weitere Produkte neu dazugekauft werden müssen.
Betrachtet man Upcycling aus dem Blickwinkel der Bioökonomie, geraten insbesondere Rest- und Abfallströme aus der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei oder Ernährungsindustrie in den Fokus. Verschiedene Pilotprojekte untersuchen beispielsweise, wie mithilfe von Mikroorganismen Grundchemikalien aus Reststoffen hergestellt werden können, die anschließend als nicht fossile Ausgangsstoffe für die Herstellung von Kunststoffen dienen.
Auch verschiedene Lignin zersetzende Pilze sind in der Lage, Lebensmittelabfälle zu verwerten. Forschungsprojekte untersuchen deren Eignung als Schallabsorbierer beziehungsweise nutzen Pilze bereits als Lederersatz.
11. Kohlenstoffproduktspeicher
Produkte aus Biomasse dienen als Kohlenstoffproduktspeicher – was zunächst nach einer Win-win-Situation klingt, muss einem strengen Realitätscheck unterzogen werden. Ein Kohlenstoffproduktspeicher ist nicht automatisch stabil und funktioniert demnach auch nicht wie eine Senke. Nur wenn der Zustrom an Produkten größer ist als der Abfluss, fungiert der Produktspeicher netto als Senke. Eine Verringerung des Speichers führt zu einer Freisetzung von Treibhausgasen.
Die Angaben zu CO₂-Senkenleistungen, insbesondere von holzbasierten Produkten, werden nach Menge und Dauer häufig überschätzt. Vor allem der Anteil an kurzlebigen Produkten (Transportverpackungen, Wurfsendungen, Einweggeschirr) hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Produkte mit langer Nutzungsdauer, wie Möbel oder Baumaterial, machen nur einen kleinen Anteil aus.
12. Biotechnologische Innovation: Urban Farming
Landwirtschaftliche Flächen werden knapp, gleichzeitig steigen die Nutzungsansprüche. Aktuelle Prognosen der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass 2050 etwa 9,7 Milliarden Menschen unseren Planeten bewohnen werden – knapp zwei Milliarden mehr als jetzt. Bis 2050 wird erwartet, dass etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben werden. Um sicherzustellen, dass diese Menschen ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt werden können, muss ein Umdenken stattfinden. Könnte Landwirtschaft nicht im größeren Maßstab in der Stadt betrieben und Transportwege maßgeblich verkürzt werden?
Begriffsabgrenzung zum Urban Gardening: Darunter fallen etwa der Gemüseanbau auf dem Balkon, der Schrebergarten, städtische Gemeinschaftsgärten, die bepflanzte Dachterrasse oder der klassische Schulgarten. Ein Anbau also, der im kleinen Maßstab und für wenige Individuen gedacht und umgesetzt wird.
Innerstädtische Flächen wie große Flachdächer von Supermärkten sowie Häuserfassaden von Büro- und Wohntürmen oder brachliegende Industrieflächen bieten Potenziale für eine landwirtschaftliche oder gärtnerische Produktion von Gemüse, Früchten, Pilzen, Kräutern, Mikroalgen oder Fischen. Die Lebensmittel werden dabei auf künstlichem Substrat kultiviert und nur über eine wässrige Lösung mit Nährstoffen versorgt. Das Prinzip dieser Landwirtschaft basiert auf einem weitgehend geschlossenen Kreislaufsystem unter hochgradig kontrollierten Produktionsbedingungen. Kulturpflanzen können auf diese Weise platzsparend, auf wenigen Quadratmetern, übereinander in mehreren Etagen wachsen.
Mithilfe eines computergesteuerten Kreislaufsystems werden die Pflanzen rund um die Uhr mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Zudem können Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Raum bedarfsgerecht eingestellt werden, sodass ganzjährig geerntet werden kann. Zum Teil lassen sich solche Anlagen auch mit einem Fischzuchtmodul erweitern, bei dem das nährstoffreiche Wasser aus der Fischzucht, nach einer entsprechenden Aufbereitung, als Gießwasser für den Gartenbau eingesetzt werden kann (Aquaponik).
Solche Hightech-Anlagen erfordern aktuell noch hohe Implementierungsinvestitionen. Die meisten saisonalen Produkte können in herkömmlichen Anbausystemen im Gewächshaus oder Freiland derzeit noch wesentlich kostengünstiger produziert werden. Zudem sind die dauerhafte Beleuchtung, Kreislaufführung und Klimatisierung sehr energieintensiv. Der benötigte Strom sollte daher zwingend aus erneuerbaren Quellen stammen, um die Umweltbilanz nicht zu trüben.
13. Biotechnologische Innovation: alternative Proteine
Die gestiegene Nachfrage nach Fleischalternativen von Vegetarier*innen, Veganer*innen und insbesondere von sogenannten Flexitarier*innen wirkt sich auf den Markt aus: Im Jahr 2021 wurden 98.000 Tonnen Fleischersatzprodukte im Wert von 458 Millionen Euro produziert. Damit erhöhte sich die Produktion um 62 Prozent im Vergleich zu 2019. Die Fleischproduktion ging im selben Zeitraum wertmäßig um acht Prozent zurück. Zudem sank der jährliche Pro-Kopf-Verzehr um zwölf Prozent auf 55 Kilogramm pro Kopf, den niedrigsten Wert seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1989. Anhand der Zahlen wird deutlich: Immer mehr Fleisch- und Käsealternativen finden ihren Weg ins Supermarktregal.
Sogenannte alternative Proteine können grundsätzlich in drei Varianten hergestellt werden:
- Der in der Praxis am weitesten verbreitete Ansatz besteht darin, pflanzliche Bestandteile direkt zu verarbeiten: Dazu zählen pflanzliche Milchalternativen, Würstchen aus Soja, Hack aus Erbsenprotein oder veganer Käse aus Mandeln.
- Viel Kapital fließt derzeit in die Entwicklung von In-vitro-Fleisch. Mithilfe von Muskelstammzellen kann im Labor Gewebe von Hühnern, Rindern, Schweinen oder sogar Fischen in einer Nährlösung gezüchtet werden. Die Verfahren sind noch nicht marktreif, sehr teuer und haben einen sehr hohen Energiebedarf.
- Bei der sogenannten Präzisionsfermentation werden spezielle, zum Teil gentechnisch veränderte Mikroorganismen (zum Beispiel Hefe, Bakterien oder Algen) in Bioreaktoren eingesetzt, um komplexe organische Moleküle wie Proteine oder Fette naturidentisch zu produzieren, ohne dass dafür Tiere verwendet werden. Entwickelt wurde beispielsweise bereits ein Käse, der aus von Hefen produziertem Milcheiweiß besteht.
Neuartige Lebensmittel müssen für die Verbraucher*innen sicher sein und sollten gleichzeitig einen positiven Beitrag zur Nachhaltigkeit in Bezug auf Flächennutzung, Wasserverbrauch und Treibhausgasemissionen leisten. Der NABU plant für 2024 ein Projekt, um sich intensiver mit dem Themenkomplex alternativer Proteine und zellulärer Landwirtschaft zu befassen, darüber zu informieren und zu diskutieren.
14. Biotechnologische Innovation: biobasierte Chemikalien
Chemische Grundstoffe, Waschmittelenzyme, Aminosäuren, Biokunststoffe oder sogar pharmazeutische Wirkstoffe – Verfahren der industriellen Biotechnologie liefern bereits heute eine große Palette an hochwertigen chemischen Produkten und Feinchemikalien, die aus pflanzlichen Bestandteilen gewonnen werden können.
Die effiziente Herstellung biobasierter Chemikalien in Bioraffinerien ist eine der zentralen Herausforderungen der Bioökonomie. In Bioraffinerien wird Biomasse, analog zu Erdölraffinerien, in seine Einzelbestandteile zerlegt und anschließend unter möglichst vollständiger Ausnutzung der Rohstoffquelle in Chemikalien, Werkstoffe und Energieträger umgewandelt.
Nach Untersuchungen der EU-Kommission gibt es in der EU bereits circa 2.300 Bioraffinerien, die einen Umsatz von mehreren Milliarden Euro mit biobasierten Produkten generieren. Ein Viertel aller Anlagen wird dabei in Deutschland betrieben. Den erheblichsten Anteil haben derzeit noch industrielle Anlagen der Zellstoff- und Papierproduktion, gefolgt von Chemikalien, Holzverarbeitung sowie der Produktion von Biomethan und flüssigen Biokraftstoffen.
Bioraffinerien könnten zukünftig ein noch größerer Baustein des Chemiesektors werden und dazu beitragen, die Herstellung der heute mehrheitlich mit fossilen Rohstoffen erzeugten Produkte auf eine erneuerbare Rohstoffbasis umzustellen. Neben dem Einsatz biogener Rohstoffe können auch CO₂ oder Reststoffe eingesetzt werden, die mit möglichst großer Effizienz im Kreislauf geführt werden.
Zukünftig müssen zwingend weitere nachhaltigere Bioraffinerieprozesse zur Nutzung biotischer Reststoffströme und von Biomasse entwickelt werden, die nicht in empfindlicher Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung stehen. Dies geschieht aktuell nur in geringem Maße. Sinnvoll ist daneben auch die Entwicklung dezentraler, multifunktionaler Konzepte, die spezifische, lokal anfallende Biomasse(reststoff)ströme effizient verwerten können.
Eine strenge und individuelle Überprüfung der Ökobilanz und Energieeffizienz bestehender und neu zu etablierender Bioraffineriekonzepte muss dabei stets durchgeführt werden.
15. Was heißt: Pflanzliche Produkte für die menschliche Ernährung sind doppelt so flächeneffizient wie der Anbau von Futtermitteln?
Es stimmt, dass man ein Vielfaches an pflanzlichen Kalorien aufwenden muss, um eine tierische Kalorie zu produzieren. Während das Verhältnis bei Geflügel bei circa drei zu eins liegt, ist es bei Schwein circa vier zu eins und bei Rind rund acht zu eins.
Auf die Fläche bezogen, stellt sich das Bild etwas anders dar. Hier stellen wir fest: Wenn wir ausgehend von unserem derzeitigen Konsumniveau unseren Verbrauch tierischer Lebensmittel reduzieren, dann ersetzt ein Hektar pflanzliche Nahrung circa zwei Hektar Futterfläche.
Woran liegt das? Hier einige Gründe:
- Tiere verwerten Nebenprodukte, die „keinen“ Flächenanspruch haben.
- Futterpflanzen haben vergleichsweise hohe Erträge je Hektar.
- Futterpflanzen werden vollständig verfüttert.
- Proteinreiche pflanzliche Nahrung (Hülsenfrüchte wie Linsen) haben ein geringeres Ertragspotenzial.
- Pflanzliche Nahrung hat höhere Verluste bei Verarbeitung, Vertrieb und in den Haushalten.
Mehr Informationen zum Thema und unsere Studie finden Sie hier.
16. Was bedeutet: Fleischkonsum um 50 Prozent reduzieren für mehr Natur- und Klimaschutz?
Durch weniger verfügbare Agrarfläche als Folge Moor-Wiedervernässungen, mehr Strukturelemente in der Agrarlandschaft, Ertragsverluste durch mehr Ökolandbau sowie weniger Pflanzenschutzmittel- beziehungsweise Düngereinsatz sinkt die Menge an erzeugten Agrarrohstoffen (zum Beispiel Weizen, Raps, Milch, Fleisch).
Bleibt die Nachfrage nach diesen Produkten gleich, verlagert sich die Produktion, und damit unser ökologischer Fußabdruck, ins Ausland. Unsere Berechnungen zeigen: Wenn wir unseren Fleischverbrauch halbieren und stattdessen mehr pflanzliche Lebensmittel konsumieren, beanspruchen wir deutlich weniger Agrarflächen. So können wir die Produktionsrückgänge ausgleichen.
Mehr Informationen zum Thema und unsere Studie finden Sie hier.
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