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Viele offene Fragen beim Ausbau der Bioökonomie
Unter Bioökonomie verstehen wir die Summe aller wirtschaftlichen Sektoren, die biologische Ressourcen wie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen nutzen. Hinter dieser trockenen Definition verbirgt sich ein grundlegender Umbau – nämlich weg vom traditionellen ökonomischen Konzept, dessen Grundlagen fossile Rohstoffe und Energieträger sind, hin zu einer biomassebasierten, das heißt auf nachwachsenden Rohstoffen beruhenden Wirtschaft. Das betrifft die Land- und Forstwirtschaft ebenso wie die Papierproduktion, die chemische Industrie ebenso wie die Nahrungsmittelwirtschaft und die Energieproduktion.
Die Vorstellung erscheint bestechend: Nach und nach werden in den kommenden Jahren Kohle und Erdöl, aber auch Kunststoffe und die Grundstoffe der chemischen Industrie durch Biomasse ersetzt, die aus Pflanzen gewonnen wird. Die Befürworter der Bioökonomie erwarten sich davon entscheidende Beiträge zum Klimaschutz und zur Reduzierung der Müllmengen. Optimisten erwarten von der Bioökonomie Antworten auf die Frage, wie sich wirtschaftliche Entwicklung im Einklang mit weltweit zunehmend beanspruchten Ressourcen organisieren lässt.
Mit dem knapp 80 Milliarden Euro schweren EU-Forschungsprogramm „Horizon 2020“ soll die Europäische Union in den kommenden fünf Jahren weltweit zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissenschaftsbasierten Wirtschaftsraum werden. Unter dem Titel „Gesellschaftliche Herausforderungen“ werden die Themen „Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit, nachhaltige Land- und Forstwirtschaft, marine, maritime und limnologische Forschung und Biowirtschaft“ mit 3,8 Milliarden Euro gefördert.
Industrie dominiert
Die Forschungs- und Innovationsstrategien sind sehr eng mit den einflussreichsten europäischen Industrien in öffentlich-privaten Partnerschafts-Programmen (Public Private Partnership, PPP) abgestimmt. Ein Beispiel dafür ist die Initiative zu Gründung eines europäischen Industriekonsortiums, das Bioraffinerien aufbaut. Erste Prototypen sollen 2017 in Betrieb gehen. Mit einer EU-Verordnung wird der Industrie das vorrangige Verfügungsrecht über einen wesentlichen Bereich der gesellschaftlichen Infrastruktur, der Biomasse, zugesprochen.
Wenn künftig im großen Stil Biomasse angebaut und als Grundlage für chemische oder pharmazeutische Produkte verwendet werden soll, dürften die nachhaltige Lebensmittelproduktion und die Biodiversität in der Landwirtschaft noch stärker unter Druck geraten. Zwar betont die Industrie, auch für sie gelte der Grundsatz „Food First“ (Primat der Ernährungssicherung). Außerdem wolle sie, zum Schutz der biologischen Vielfalt, vorrangig organische Abfälle und Rückstände nutzen.
Nun sind, nicht alleine aus Sicht des NABU, organische Rest- und Abfallstoffe – wie etwa Totholz in einem naturnahen Wald – wichtig für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und der Biodiversität. Insofern erscheint die Strategie reichlich kurzsichtig. Und wie mit der Nutzungskonkurrenz zwischen Ernährung und Industrie umgegangen werden soll, wer die Interessen der Verbraucher, des Naturschutzes und der Landwirtschaft absichert, ist einigermaßen unklar.
Der Natur-und Umweltschutz ist innerhalb des EU-Konsortiums bislang weder von der zivilgesellschaftlichen noch von der wissenschaftlichen Seite vertreten. Industrie und technologisch orientierte Wissenschaft dominieren einen Bereich, der als allgemein anerkannte, zentrale gesellschaftliche Herausforderung sehr viel demokratischer und transparenter gestaltet werden muss.
Bioökonomie 2030
Das mit rund 2,4 Milliarden Euro ausgestattete nationale Förderprogramm „Bioökonomie 2030“ der Bundesregierung orientiert sich grundsätzlich an den europäischen Forschungsprogrammen, mit zwei Schwerpunkten: Zum einen wird nach Wegen gesucht, wie die nötige Biomasse erzeugt werden kann, zum anderen soll die Industrie stärker in die postfossile Wirtschaft einsteigen.
Pflanzenbiotechnologie wird in Deutschland seit rund 15 Jahren gefördert; zunächst mit dem Rahmenprogramm „Biotechnologie – Chancen nutzen und gestalten" (2001–2010) und seither im Förderprogramm Pflanzenbiotechnologie. Das soll
- neue und wettbewerbsfähige biotechnologische Verfahren und Produkte voranbringen,
die Erträge von Nutzpflanzen steigern und stabilisieren, - einen nachhaltigen Anbau von Nutzpflanzen unter reduzierter Verfügbarkeit von Ressourcen wie Wasser oder Nährstoffen ermöglichen,
- zum Erhalt der biologischen Vielfalt beitragen.
Als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts betrachtet das BMBF die „industrielle Biotechnologie“. Das Ziel sind neue, innovative Produkte, die Bundesregierung will „unausgeschöpftes Potenzial, Prozesse und Produkte auch in anderen Industriezweigen (...) biologisieren und damit den Wandel zu einer Bioökonomie verstärken. Klima- und Ressourcenschonung sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sind in hohem Maße davon abhängig, dass innovative Technologien industriell angewendet werden“. Das Ministerium betont auf seiner Webseite, dass diese Förderinitiative komplementär sei zur Förderung im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm und zudem von der Europäischen Kommission unterstützt werde.
Im Rahmen der 2014 veröffentlichten nationalen Hightech-Strategie werden die Ziele für „Bioökonomie 2030“ noch einmal konkretisiert. Danach sollen der Systemansatz in der Bioökonomie gestärkt, der partizipative Diskurs mit der Gesellschaft ausgebaut, Innovationsbündnisse von Forschung und Industrie weiterentwickelt sowie die Effizienz bei der Nutzung biologischer Ressourcen verbessert werden. Moderne Produktionstechniken, ressourcenschonende technische Lösungen und Verfahrensketten sowie produktivere Automatisierungstechniken (Precision Farming) bieten laut Strategie vielversprechend Perspektiven für eine umweltfreundliche und nachhaltige Agrarproduktion, mit der die kontinuierlich steigende Nachfrage nach hochwertigen pflanzlichen und tierischen Eiweißen gedeckt werden könne.
Die Bundesregierung bekennt sich dazu, beim Ausbau der Bioökonomie die Gefahren für Mensch und Natur minimieren zu wollen. Dieses Bekenntnis steht allerdings im Widerspruch zum aktuellen Paradigma, Landschaft und Landwirtschaft effizienter zu verwerten. Die Illusion, durch technologische Innovationen die Effizienz zu steigern und dabei gleichzeitig die Umwelt zu schonen, dürfte kaum aufgehen.
Ernährungssicherheit bedroht
Schon heute sind Ernährungssicherheit und Biodiversität weltweit bedroht. Die wachsende Nachfrage nach Lebens- und Futtermitteln einerseits sowie nachwachsenden Rohstoffen andererseits erhöht den Nutzungsdruck auf die vorhanden Landflächen. Für die Bioökonomie interessant sind vor allem jene als „Flex Crops“ bezeichneten Ackerpflanzen, die sich flexibel für die Produktion von Kraftstoffen, chemischen Produkten Kunststoffen oder Kosmetika einsetzen lassen. Doch Plantagen mit Zuckerrohr, Soja, Mais oder Ölpalmen sind alles andere als hot spots der Biodiversität.
Die Intensivierung von Landwirtschaft und Landnutzung sowie der Klimawandel verschärfen das Problem zusätzlich. Sowohl der ökologische Fußabdruck als auch der Wasserabdruck der Industrieländer sind viel zu hoch. Vor allem die Energieproduktion durch Kulturpflanzen verbraucht sehr viel Wasser: Im Vergleich zu Kohle, Erdgas oder Rohöl ist – um die gleiche Menge an Energie aus Biomasse zu erzeugen – das 24- bis 140-fache an Wasser notwendig. Der vermehrte Einsatz von Nitrat und Pestiziden in der Biomasseproduktion verschlimmert die Ökobilanz der Biomasseproduktion noch einmal.
Grundlegender Wandel
Die biologische Vielfalt geht zurück. Weltweit leiden mehr als 800 Millionen Menschen an Hunger. Der Klimawandel bedroht unsere Lebensgrundlagen. All diese Entwicklungen verlangen nach gesellschaftlichen Veränderungen, nach sozialen Innovationen, nachhaltigeren Lebensstilen und mehr Verteilungsgerechtigkeit. Wohlstand und Lebensqualität in einer Welt mit endlichen Ressourcen müssen neu definiert werden. Einfach nur die Rohstoffbasis zu wechseln ist keine Option, und es darf nicht alleine darum gehen, den Industrienationen anhaltendes Wachstum bei gutem Gewissen zu sichern.
Der Aufbau einer biobasierten Wirtschaft muss von einer breiten Diskussion um die Transformation zu einer nachhaltigeren Gesellschaft begleitet werden. Dabei gilt es, die Vertreter von Umwelt, Naturschutz und Menschenrechte in den Diskurs einzubeziehen, die Expertise der Zivilgesellschaft für eine Korrektur der blinden Flecken in den Strategien und Förderprogrammen zu nutzen. Das wäre ein erster Schritt, um die Transformation in eine postfossile Zukunft demokratisch zu gestalten.
Steffi Ober
Einfach erklärt, ist Bioökonomie ein auf nachwachsenden Rohstoffen basierendes Wirtschaftssystem. Als Rohstoffe können dabei nicht nur Pflanzen, Holz und Nutztiere eingesetzt werden – sondern auch organische Reststoffe, Mikroorganismen, Algen oder Insekten. Mehr →