In der Regenzeit sind viele Straßen überschwemmt. Vielerorts kam das Team nur zu Fuß voran. - Foto: Bernhard Walter
Über Stock und Stein
Arten zählen im äthiopischen Kafa-Biosphärenreservat
Wie viele unterschiedliche Tiere, Pflanzen und Pilze gibt es auf unserem Planeten? Die Antwort auf diese Frage wird immer eine Schätzung bleiben. Laut Bundesamt für Naturschutz sind derzeit rund 1,8 Millionen Arten weltweit beschrieben. Mindestens 30 neu erfasste Pilzarten und eine Amphibienart werden demnächst dazukommen. Sie sind das Ergebnis einer Biodiversitätserfassung im äthiopischen Kafa-Biosphärenreservat, die nun veröffentlicht wurde. Um herauszufinden, wie es um die Artenvielfalt in den Bergnebelwäldern steht, ist Biologin und NABU-Projektkoordinatorin Stefanie Brandes mit einem internationalen Team aus Wissenschaftler*innen und NABU-Mitarbeiter*innen in das Biosphärenreservat aufgebrochen.
Liebe Stefanie, Ihr seid in einem rund 750.000 Hektar großen Gebiet unterwegs gewesen, um die Arten im Kafa-Biosphärenreservat zu erfassen. Wie können wir uns das praktisch vorstellen?
Unser 44-köpfiges Team wurde in kleine, artspezifische Gruppen aufgeteilt und mit Keschern, Ferngläsern und weiterer Ausrüstung ausgestattet. Damit sind wir frühmorgens von unserem Basislager im Gästehaus der Kafa Development Association (KDA Guesthouse) in die verschiedenen Bereiche des Reservats aufgebrochen. Da die meisten Arten nicht direkt neben befahrbaren Straßen zu finden sind, haben wir viele Strecken zu Fuß und abseits der Wege zurückgelegt– natürlich mit Genehmigungen durch die äthiopischen Behörden, wie dem Ethiopian Biodiversity Institute (EBI), das uns bei der Organisation und Umsetzung unterstützt hat. Meistens waren wir den ganzen Tag im Feld und haben vor allem Amphibien, Reptilien, Vögel, Libellen, Pilze und kleine bis mittelgroße Säugetiere gezählt und auch gesammelt.
Das Kafa-Biosphärenreservat zeichnet sich durch einen unverwechselbaren Artenreichtum aus. Wie habt ihr es bei einer solchen Fülle unterschiedlicher Tier- und Pflanzenarten geschafft, einen Überblick zu erhalten?
Im Feld haben wir zunächst alle Arten gezählt und dokumentiert, die wir finden konnten. Je nach Art geht das unterschiedlich gut. Während Pilze recht einfach zu sammeln waren, konnten wir Vögel nur über Sichtungen oder nach dem Gesang bestimmen. Im Fall der Amphibien, Libellen und Kleinsäuger haben wir einzelne Individuen gefangen. Dazu gehört viel Übung. Teilweise konnten die Expert*innen die Arten durch ihre wissenschaftlichen Kenntnisse oder mit Hilfe von Fachliteratur direkt bestimmen. Bei unklaren Fällen haben wir Exemplare für weitere Untersuchungen ins Basislager mitgenommen oder auch, im Einverständnis mit äthiopischen und deutschen Behörden, zur weiteren Analyse nach Deutschland exportiert.
Die Zählaktion habt ihr in der äthiopischen Regenzeit durchgeführt und wir haben abenteuerliche Bilder gesehen: Ihr musstet überschwemmte Straßen verlassen und vollgelaufene Flüsse überqueren. Warum habt ihr die Untersuchungen ausgerechnet zu dieser Zeit vorgenommen?
Weil die erste Bestandsaufnahme, die wir 2014 durchgeführt haben, in der Trockenzeit stattfand. Eine Möglichkeit wäre gewesen, eine erneute Erfassung in der Trockenzeit eines anderen Jahres durchzuführen. Wir wollten jedoch wissen, ob wir in der Regenzeit andere Arten finden. Beispielsweise kann der Nachwuchs von Amphibien in der wasserreichen Regenzeit besser heranwachsen und es gibt mehr Pfützen und Wasserlöcher, in denen bestimmte Arten im Kaulquappen-Stadium gefunden werden können. Um diesen Vergleich zu ermöglichen, wurde die zweite Zählung daher in die regnerischen Monate gelegt. Und tatsächlich haben wir Arten entdeckt, die 2014 noch nicht erfasst wurden, wie zum Beispiel die endemische Froschart Paracassina obscura oder den Wahlbergsadler.
Spannend? Für Wissenschaftsbegeisterte gibt es den englischen Bericht zur zweiten Artenzählung im Kafa-Biosphärenreservat jetzt auch in Printform im NABU-Shop.
Zum BerichtNach 14 Tagen intensiver Feldarbeit in Kafa – zu welchen Ergebnissen seid ihr gekommen?
Die Arbeit hat sich gelohnt, unser Team konnte insgesamt 515 Arten dokumentieren. Darunter sind auch mindestens 31 Neuentdeckungen, wie zahlreiche außergewöhnliche Pilzarten. Für viele Arten laufen die Analysen noch. Wir sind gespannt, was diese ergeben werden. Wir konnten außerdem über 270 Arten bestimmen, die in Äthiopien zuvor noch nie verzeichnet wurden, wie die Pseudagrion sjoestedti, eine Libellenart, die in Afrika verbreitet, jedoch auf Flusslandschaften spezialisiert ist. Ihr Vorkommen könnte also ein Hinweis für intakte Flussökosysteme in Kafa sein. Ein weiterer ganz besonderer Fund war der Brutplatz seltener Sperbergeier. Diese stehen auf der Roten Liste und sind vom Aussterben bedroht. Da freuen wir uns umso mehr, dass im Kafa-Biosphärenreservat – hoffentlich – für Nachwuchs gesorgt wird.
Ihr könnt anhand der entdeckten Arten also Rückschlüsse auf die Gesundheit des Ökosystems und dessen Entwicklung ziehen. Wie steht es denn nun um die Artenvielfalt in Kafa und wofür genau nutzt ihr die gewonnenen Erkenntnisse?
Das Kafa-Biosphärenreservat gehört zu einer jener Regionen, in denen nicht nur eine besonders hohe Anzahl an Tier- und Pflanzenarten existieren, sondern diese gleichzeitig auch noch stark gefährdet sind. Die Entwaldungsrate in ganz Äthiopien ist erschreckend. Bis in die 1970er Jahre war das Land zu etwa 40 Prozent mit Wald bedeckt, heute sind es schätzungsweise weniger als drei Prozent. Umso wichtiger ist es, die verbliebene Waldfläche und ihre Artenvielfalt in Äthiopien zu schützen.
Unsere Erfassung bestätigte die hohe Artenvielfalt des Biosphärenreservats und verdeutlicht gleichzeitig die Dringlichkeit von Naturschutzmaßnahmen in der Region. Die höchste Vielfalt an Arten konnten wir in den Kernzonen des Reservats, die sich fernab menschlichen Einflusses entwickeln, feststellen, während in den menschlich genutzten Gebieten deutlich weniger Artenvielfalt zu finden war. Das zeigt, dass Menschen einen Einfluss auf das Vorkommen von Arten haben, und beweist einmal mehr, wie wichtig es ist, Mensch und Natur in Einklang zu bringen. Die gewonnenen Erkenntnisse helfen uns außerdem dabei, geeignete Naturschutzmaßnahmen in der Region zu entwickeln. Zum Beispiel kann die Libellenart Orthetrum kristenseni als Zeigerart für weitgehend unberührte Sumpflandschaften und Feuchtgebiete dienen, während die Froschart Conraua beccarii abhängig von intakten und zusammenhängenden Waldlandschaften mit nicht-verschmutzten Fließgewässern ist. Seltene Vogelarten, die vor allem von der steigenden Intensivierung der Landwirtschaft bedroht sind, können durch regelmäßige Vogelbeobachtungsgänge geschützt werden. Durch diese wird die lokale Bevölkerung auch auf die Wichtigkeit des Schutzes aufmerksam gemacht. Auch das Verabschieden von Gesetzen, wie zum Beispiel zur Einschränkungen der Nutzung von Pestiziden, könnte dabei helfen, die Arten der Region zu schützen. Wichtig ist es, die lokale Bevölkerung mit einzubeziehen, wie wir es auch in unseren NABU-Projekten tun. Denn nur wenn alle an einem Strang ziehen, kann die Vielfalt des Biosphärenreservates erhalten werden.
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Was tun bei nassen Füßen? Einmal Gummistiefel ausgekippt und schon ging es weiter. - Foto: Bernhard Walter
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Der Ethiopian Highlander-Libelle ist eine Indikatorart innerhalb der bewaldeten Feuchtgebiete in Äthiopien. An ihrem Vorkommen können die Biolog*innen ablesen, wie gut es dem Ökosystem geht. - Foto: Dr. Viola Clausnitzer / Klaas-Douwe B. Dijsktra
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Über 30 neue Pilzarten wurden im Kafa-Biosphärenreservat entdeckt. - Foto: Andreas Gminder
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Seltener Fund: Das Team entdeckte einen Brutplatz der vom Aussterben bedrohten Sperbergeier. - Foto: Bernhard Walter
Welche Art, die ihr bei eurem Forschungsaufenthalt entdeckt habt, ist dir in besonderer Erinnerung geblieben?
Die Äthiopische Puffotter (Bitis parviocula) ist eine für Äthiopien endemische Schlangenart, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Erst 1977 wurde sie erstmals wissenschaftlich beschrieben. Noch ist wenig über sie und ihre Giftwirkung bekannt. Das liegt vor allem daran, dass man sie nur sehr selten zu Gesicht bekommt. Durch Fotos von unseren Ranger*innen vor Ort wussten wir, dass die Schlange auch im Biosphärenreservat vorkommt. Und tatsächlich: Bei einer der Touren durch das Reservat konnte das Team einen kurzen Blick auf ein Exemplar erhaschen. Das war natürlich ein ganz besonderer Moment.
Was ist als Nächstes in Kafa geplant?
Um die Entwicklungen im Reservat verfolgen und die Artenvielfalt der Region langfristig schützen zu können, müssen Biodiversitätserfassungen in Zukunft regelmäßig, auch ohne Initiierung des NABU, stattfinden. Daher haben wir, wie immer, eng mit äthiopischen Partnern zusammengearbeitet, damit diese die Zählungen vor Ort fortsetzen können. Der NABU wird sich aber auch weiterhin auf vielfältige Art in der Region einsetzen. Eines unserer Ziele ist die Ausarbeitung alternativer Einkommensmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung, um die Abholzung der artenreichen Wälder zu verhindern. Außerdem setzen wir uns dafür ein, noch mehr Schutzgebiete und Wiederaufforstungsflächen einzurichten, in denen Naturschutz und nachhaltige Ressourcennutzung gemeinsam stattfinden können.
Die Bergnebelwälder in Kafa gelten als eines von 34 Hotspots der Biodiversität der Welt und wurden mit Unterstützung des NABU 2010 als UNESCO-Biosphärenreservat anerkannt. Im Rahmen des vom BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) geförderten Projekts „Gemeindeaktivierung für den Biodiversitäts-, Wald- und Klimaschutz in den Wildkaffeewäldern Äthiopiens“ organisierte der NABU 2019 eine Biodiversitätserfassung, die auf eine erste Erfassung aus dem Jahr 2014 im Rahmen eines Vorgängerprojektes aufbaut.
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In Äthiopiens Kafa-Biosphärenreservat konnte die nachhaltige Bewirtschaftung von 10.000 Hektar Wald bereits gesichert werden. Jetzt sollen weitere erfolgreiche Projekte folgen. NABU, NABU International und BMZ unterzeichneten dafür eine „Kompetenzpartnerschaft Natur“. Mehr →
Mit dem NABU machte sich der Fotograf Bruno D'Amicis auf die Reise durch den „Nebelwald von Boginda” - und kehrte mit überwältigenden Bildern zurück. Seine Fotos zeigen den ganzen Reichtum einer bedrohten Wildnis. Mehr →