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Wie viel Wahrheit steckt in „Wer Wind erntet, sät Sturm“?
14. Juni 2015 - Tatort Bremen: Ein Umweltaktivist wird erschossen und sein Freund verschwindet auf einem Windrad in der Nordsee. Die beiden Bremer Kommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) ermitteln in einem Interessenkonflikt zwischen Umweltschützern und Energie-Unternehmern.
Wie viel Wahrheit steckt in diesem brisanten Tatort? Der NABU macht den Fakten-Check.
Die Ausgangslage: Offshore- Windparks – Eine Gefahr für die Umwelt?
Im Tatort: Windräder, tote Vögel und gestrandete Schweinswale .
Der NABU-Check: Für Natur- und Umweltschützer ist der Ausbau erneuerbarer Energien ein zentrales Anliegen. Bei der konkreten Umsetzung von Projekten kommt es jedoch immer wieder zu Konflikten zwischen Naturschutz und Energiewende. So auch bei der Offshore-Windkraft. Die Projekte stellen einen erheblichen Eingriff in das Ökosystem Meer dar.
Dabei entscheidet immer der konkrete Standort darüber, ob eine Anlage mehr Vorteile durch den regenerativ erzeugten Strom bringt oder die Schäden für den Lebensraum überwiegen. In der deutschen Nordsee, wo auch der Bremer Tatort spielt, gab es zuletzt eine ganze Reihe von Projekten, die äußerst kritisch sind. Sie wurden in der Nähe von Meeresschutzgebieten oder sogar mitten in ihnen errichtet. Eigentlich sollen diese Schutzgebiete den Lebensraum von geschützten Arten sichern, wie etwa Deutschlands einzigem Wal, dem Schweinswal, oder seltenen Meeresvögeln. Einige der heute genehmigten Parks treten geltendes Naturschutzrecht mit Füßen. Der größte Sündenfall ist der Windpark Butendiek, westlich von Sylt gelegen, gegen den der NABU 2014 Klage eingereicht hat.
Fazit: Die Ausgangslage stimmt.
Welche Gefahr geht vom Baulärm aus?
Im Tatort: Schweinswale werden durch den Baulärm vertrieben.
Der NABU-Check: Um einen Windpark zu errichten, werden die Fundamente tief in den Meeresboden gerammt. Dabei entsteht unter Wasser ein ohrenbetäubender Lärm von bis zu 200 dB. Das entspricht auf die Verhältnisse an Land umgerechnet in etwa einem startenden Düsenflugzeug. Schweinswale, andere Wale und Delfine können dabei erheblich geschädigt oder getötet werden. Sie sind abhängig von einem intakten Gehör, denn sie verständigen und orientieren sich mithilfe der sogenannten Echolokation. Ähnlich wie Fledermäuse schaffen sie sich ein akustisches Bild ihrer Umwelt. Bereits ab ca. 160 Dezibel werden sie schwerhörig. Als Folge des Baulärms können außerdem Tiere aus wichtigen Nahrungs- oder Fortpflanzungsgebieten vertrieben werden. Auch Mutter-Wale und ihre Kälber können den Kontakt zueinander verlieren – mit fatalen Folgen für die geschützten Tiere. Seit 2008 gilt in Deutschland ein Lärmschutzwert von 160 Dezibel (SEL) beim Rammen der Fundamente. Dennoch wurde dieser Wert bei den meisten der bisher gebauten Parks massiv überschritten. Erst in jüngerer Zeit gibt es Fortschritte beim technischen Schallschutz. Für die Wale bleibt es dennoch laut und gefährlich.
Fazit: Für Meeressäuger bedeutet der Bau der Anlagen ein großes Risiko.
Wie sieht es mit der Gefahr für Vögel aus?
Im Tatort: Lichtzeichen der Windparks ziehen die Vögel an, Vogel-Kadaver liegen auf der Plattform.
Der NABU-Check: Windräder bilden in der Summe eine Wand unnatürlicher Hindernisse für See- und Zugvögel. Während die meisten Vögel bei guten Wetterbedingungen den Turbinen ausweichen können, gibt es alarmierende Beobachtungen von Massenkollisionen bei schlechtem Wetter, während der Nacht, bei Wind und Regen. Im Jahr 2010 kollidierten in der Nordsee in einer Schlechtwetternacht allein an einem einzigen Messmast der Forschungsplattform Fino 1 mindestens 88 Vögel. Wie viele darüber hinaus noch ins Meer fielen ist unbekannt. Ähnliche Vorfälle gab es bereits in den Jahren 2003, 2006 und 2009. Vögel navigieren bei Nacht unter anderem anhand von Lichtquellen entlang der Küste und reduzieren bei Gegenwind und dichten Wolken ihre Flughöhe. So geraten sie gefährlich nahe an die Rotoren, die bis zu 180 Meter in die Höhe ragen. Ein Schreckensszenario wären Schlechtwetterlagen zur wichtigsten Zeit des Vogelzugs, also von August bis Ende November. Dann überfliegen Millionen Vögel die Nordsee, während sich Hunderte Turbinen drehen. Aktuell arbeiten Wissenschaftler an besseren Methoden der Radarerfassungen und Abschaltautomatiken für Windräder. Aber das Risiko bleibt beunruhigend und wenig kalkulierbar.
Darüber hinaus verlieren verschiedene Vogelarten, wie z.B. Stern- und Prachttaucher durch die errichteten Parks dauerhaft ihren Lebensraum. Die streng geschützten Fischjäger haben einen wissenschaftlich nachgewiesenen Scheuch- und Fluchtradius von 2-4 Kilometern. Für sie gehen wichtige Nahrungs- und Rastgebiete in der deutschen Nordsee verloren, selbst in Meeresschutzgebieten.
Fazit: Auch für Vögel besteht ein hohes Risiko, vor allem bei schlechtem Wetter.
Sind damit schon alle Konflikte genannt?
Der Bremer Tatort konzentriert sich vor allem auf die Auswirkungen der Windparks auf Vögel und Schweinswale. Doch das ist noch längst nicht alles…
Der NABU-Check: Es gibt eine ganze Reihe weiterer Umweltrisiken und Fragen bei der Entwicklung der Offshore-Windenergie, die kritisch betrachtet und gelöst werden müssen: Wie kann man das Verlegen der Kabel am Meeresboden verbessern? Welche Folgen hat der Kolkschutz, der das Unterspülen der Fundamente verhindern soll? Welche Auswirkungen haben Einträge von Schadstoffen durch den Korrosionsschutz der Fundamente? Wie können mögliche Schiffshavarien verhindert werden? Wer trägt steigende Kosten und wie funktioniert die aktuelle Subventionspolitik für Offshore-Anlagen?
Der NABU fordert seit Langem eine verlässliche Gesamtstrategie für die Offshore-Windkraft in Deutschland. Dass die zunächst sehr hohen Ausbauziele für Offshore-Windkraft im Erneuerbare-Energien-Gesetz reduziert wurden, ist ein erster wichtiger Schritt. Denn allein durch den massiven Ausbau von Offshore-Anlagen – wie von vielen Lobbyisten der Branche lautstark gefordert – wird die Energiewende nicht gelingen. Stattdessen müssen alle regenerativen Energien gemeinsam weiter entwickelt werden, Sonne, Wasser, Wind. Und vor allem und auch – ganz simpel muss Energie gespart werden, unter anderem durch eine bessere Energie- und Wärmeeffizienz.
Fazit: Arten-Konflikte ja, aber das Thema bietet noch viel mehr Diskussionsstoff.
Wie läuft das Genehmigungsverfahren, vergeben Umweltverbände Ökozertifikate?
Im Tatort: Naturschützer vergeben Ökozertifikate für Windparks.
Der NABU-Check: Die deutsche Verwaltungspraxis sieht vor, dass Anträge für Windparks beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) auf Grundlage der Seeanlagenverordnung gestellt werden müssen. Die Antragsteller sind aufgefordert mögliche Auswirkungen auf die Meeresumwelt mit Hilfe des Standarduntersuchungskonzeptes in 4. Auflage (StUK4) abzuprüfen. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) ist für die naturschutzfachliche Beurteilung der Vorhaben in der sogenannten Ausschließlichen Wirtschaftszone (200-Seemeilenzone) zuständig.
Es gab und gibt jedoch keinerlei Umweltzertifikate, die von Naturschutzorganisationen für Windparks vergeben werden.
Fazit: Verwaltungspraxis und Rolle von Umweltverbänden bei Entwicklung der Offshore-Windparks unklar dargestellt
Und zu guter Letzt: Stimmt das Bild der Ökos?
Im Tatort: Umweltschützer, die sich umbringen, eine korrupte Managerin, gefälschte Beweise.
Der NABU-Check: der Tatort bedient viele Klischees. Dabei gibt es DEN Öko aber nicht. Das Spektrum der Umweltverbände reicht von echten Aktivisten über Wissenschaftler und Feldforscher bis zu politischen Lobbyisten. Für den NABU halten wir fest: wir bringen uns für die Sache nicht um, wir fälschen keine Beweise und unsere Mitgliederbasis verhindert, dass wir uns unsere naturschutzfachliche Meinung abkaufen lassen. Das überlassen wir der Fantasie der Tatort-Autoren.
Für uns hat die naturverträglich ausgestaltete Energiewende höchste Priorität. Dabei ist vor allem der Dialog wichtig – mit Betreibern und Politik. Wir wollen, dass die Projekte sauber und im Einklang mit der Natur geplant werden. Das heißt: ohne Arten und Lebensräume zu gefährden. Wir sehen es daher als unsere Aufgabe, Versäumnisse in der Planungs- und Genehmigungspraxis der vergangenen Jahre offen zu legen und uns kritisch mit den Umweltrisiken des Windstroms vom Meer auseinanderzusetzen.
Fazit: Überzeichnete Klischee-Figuren.
Die EU-Kommission befragt derzeit alle Bürgerinnen und Bürger, ob wir in Zukunft noch Schweinswal, Wattenmeer und Seevögel schützen sollen - oder die Naturschätze der Ausbeutung preisgegeben werden sollen. Denn Kommissionspräsident Juncker will die EU-Naturschutzgesetze ändern. Unter dem Motto #NatureAlert protestiert der NABU mit hunderten anderen Umweltverbänden in Europa dagegen.
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