Ein verlorenes Jahrzehnt
Globaler Bericht zum Zustand der Biodiversität



Rebhuhn - Foto: Rüdiger Arp/www.naturgucker.de
Zum fünften Mal hat die UN-Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD) ihren globalen Bericht veröffentlicht ( „Global Biodiversity Outlook“, GBO5, auf Englisch). In dem am 15. September 2020 in Kanada vorgestellten Dokument wird bewertet, ob die Staaten der Welt ihre Ziele erreicht haben, die sie vor zehn Jahren für den Schutz der Biodiversität – das heißt Vielfalt an Arten, Ökosystemen und Genen – vereinbart hatten. Der Bericht ist ein entscheidender Baustein für die laufenden Verhandlungen über ein neues Weltnaturschutzabkommen, das nächstes Jahr auf der 15. CBD-Vertragsstaatenkonferenz (COP15) verabschiedet werden soll.
Das Ergebnis der Analyse ist vernichtend: Die Weltgemeinschaft hat die meisten ihrer 20 Ziele (siehe Kasten) krachend verfehlt. Kein einziges wurde vollständig erreicht, sechs wenigstens teilweise und 14 überhaupt nicht (siehe Tabelle unten). Während es beim Ziel, 17 Prozent der Landfläche als Schutzgebiete auszuweisen, wenigstens flächenbezogen gute Fortschritte gab, änderten die Regierungen fast nichts an den naturschädlichen Subventionen, oder an den Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft.
Der NABU-Dachverband BirdLife International veröffentlicht zudem regelmäßig seinen globalen Bericht zum Zustand der Vogelwelt. Der am 30. September 2020 erschienene Report untermauert die Ergebnisse des GBO-5. Vogeldaten sind ein guter Indikator für die Biodiversität auf unserem Planeten und auch sie zeigen, dass die Aichi-Ziele verfehlt worden sind. Allerdings gibt der Bericht auch Grund zur Hoffnung: Viele Beispiele zeigen, dass sich Vogelpopulationen positiv entwickelten, nachdem die Regierungen Schutzmaßnahmen ergriffen hatten. Wir verfügen bereits über das Wissen und die Werkzeuge um einen positiven Trend herbeizuführen – Maßnahmen sind jedoch in einem weit größeren Umfang nötig.
Was sind die Aichi-Ziele für biologische Vielfalt?
Der Strategische Plan 2011 bis 2020 der Konvention über die Biologische Vielfalt der Vereinten Nationen (CBD) umfasst insgesamt 20 Kernziele, die bis 2020 erreicht werden sollten, die sogenannten „Aichi-Ziele“. Die Ziele wurden nach der japanischen Provinz Aichi benannt, in der die zehnte Vertragsstaatenkonferenz (CBD COP10) stattfand, auf der die Ziele beschlossen wurden. Die 20 Aichi-Ziele lassen sich fünf größeren, strategischen Zielen zuordnen:
- A: Bekämpfung der Ursachen des Rückgangs der biologischen Vielfalt durch ihre durchgängige Einbeziehung in alle Bereiche des Staates und der Gesellschaft
- B: Abbau der auf die biologische Vielfalt einwirkenden unmittelbaren Belastungen und Förderung einer nachhaltigen Nutzung
- C: Verbesserung des Zustands der biologischen Vielfalt durch Sicherung der Ökosysteme und Arten sowie der genetischen Vielfalt
- D: Mehrung der sich aus der biologischen Vielfalt und den Ökosystemleistungen ergebenden Vorteile für alle
- E: Verbesserung der Umsetzung durch partizipative Planung, Wissensmanagement und Kapazitätsaufbau
Mit dem Verfehlen der CBD-Ziele ist auch ein Scheitern im Klimaschutz verbunden. Ohne wirksamen Schutz der Biodiversität in Wäldern, Gewässern, Grünland und Seegraswiesen, ohne die Wiedervernässung von Mooren und Flussauen, werden viele Landschaften von Treibhausgassenken zu Quellen, sie speichern für uns nicht mehr Kohlenstoff und Wasser, sondern erodieren, trocknen aus oder brennen ab. Ohne Erfolge im Biodiversitätsschutz wird die Welt auch ihre globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) verfehlen.
Trotzdem sehen die Verfasser*innen des Berichts noch eine Chance, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen und umzukehren. Dafür ist in vielen Bereichen ein ebenso schneller wie tiefgreifender Wandel nötig. Dies gilt für die Land- und Forstwirtschaft genauso wie bei der Nutzung und dem Schutz von Gewässern und Meeren, für die Art und Weise, wie wir uns ernähren und unsere Städte gestalten, und ob wir mit oder gegen die Natur Klimaschutz betreiben. Die Welt muss gemeinsam handeln, das reiche Deutschland steht hierbei in der Pflicht, Vorreiter und Zugpferd zu sein.
Welche Ziele wurden verfehlt?
Strategisches Ziel | Kernziel (Aichi-Ziel) | Status |
---|---|---|
A: Bekämpfung der Ursachen des Rückgangs der biologischen Vielfalt; Einbezug in alle Bereiche von Staat und Gesellschaft | 1) Weltweites Naturbewusstsein | nicht erreicht | 2) Biodiversität im Wirtschaftssystem | nicht erreicht | 3) Ende schädlicher Subventionen | nicht erreicht | 4) Produktion und Konsum nachhaltig | nicht erreicht | B: Abbau der unmittelbaren Belastungen auf die biologische Vielfalt und Förderung einer nachhaltigen Nutzung | 5) Lebensraumzerstörung gegen Null | nicht erreicht | 6) Ende der Überfischung | nicht erreicht | 7) Nachhaltige Land- und Forstwirtschaft | nicht erreicht | 8) Umweltverschmutzung minimiert | nicht erreicht | 9) Invasive Arten unter Kontrolle | teilweise erreicht | 10) Korallenriffe geschützt (bis 2015) | nicht erreicht | C: Besserer Zustand der biologischen Vielfalt durch Sicherung von Ökosystemen, Arten und genetischer Vielfalt | 11) 17% Schutzgebiete an Land, 10% auf See | teilweise erreicht | 12) Stopp des Artenschwunds | nicht erreicht | 13) Genetische Vielfalt in der Landwirtschaft | nicht erreicht | D: Mehrung der Vorteile durch die biologische Vielfalt und der Ökosystemleistungen für alle | 14) Ökosystemleistungen wiederhergestellt | nicht erreicht | 15) Klimaschutz durch Biodiversität gestärkt | nicht erreicht | 16) Vereinbarung gegen "Biopiraterie" wirksam | teilweise erreicht | E: Verbesserung der Umsetzung durch partizipative Planung, Wissensmanagement und Kapazitätsaufbau | 17) Nationale Aktionspläne | teilweise erreicht | 18) Traditionelles Wissen berücksichtigt | nicht erreicht | 19) Wissen verbessert und verbreitet | teilweise erreicht | 20) Mehr finanzielle Ressourcen | teilweise erreicht |
Der Zustand der Natur hat sich in den letzten zehn Jahren weltweit dramatisch verschlechtert. Das hat zahlreiche Gründe. Beispielsweise stehen nach wie vor viele wichtige Gebiete für die biologische Vielfalt gar nicht unter Schutz. Gerade in den Ozeanen klafft eine große Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Vor allem aber existieren viele bereits ausgewiesene Gebiete nur auf dem Papier – viele befinden sich in einem kaum besseren Zustand als ihre Umgebung. Oft fehlt das Geld für effektiven Schutz durch Pflege, Überwachung und Betreuung, Landnutzer*innen bekommen beispielsweise keinen Anreiz, die Gebiete zu schonen und biodiversitätsfreundlich zu nutzen. Die Gebiete sind zudem oft zu klein und nicht genügend vernetzt. Die Vernetzung der Gebiete, zum Beispiel durch ökologische Korridore, ist für den Erhalt der Artenvielfalt und der genetischen Vielfalt jedoch essenziell.
Zahlreiche Flächen müssten außerdem in einen naturnahen Zustand zurückgeführt werden, um widerstandsfähiger gegen die Erdüberhitzung und damit verbundene Wetterextreme zu werden. Das Potenzial des sogenannten naturbasierten Klimaschutzes wird laut GBO5-Bericht aktuell nur zu zwei Prozent ausgeschöpft. Zur Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen sind nur wenige Daten verfügbar.
Eine große Niederlage müssen sich die Regierungen bei den Treibern des Rückgangs der biologischen Vielfalt eingestehen: Lebensraumzerstörung durch Land- und Forstwirtschaft, zu intensive Landnutzung, Überfischung, Umweltverschmutzung, die Einwanderung invasiver Arten und die Erdüberhitzung haben sich in den letzten Jahren noch verstärkt. Die globale Landwirtschaft wirtschaftet beispielsweise zunehmend auf Kosten von Artenvielfalt, Klima, Grundwasser und Bodenfruchtbarkeit. Und damit zerstört sie genau die Faktoren, von denen ihre Zukunft abhängt.
Ein andauernder Skandal sind die naturschädlichen Subventionen. Mit Steuergeld wird Biodiversität vernichtet, obwohl dies längst bekannt ist und Alternativen existieren. Die EU-Agrarpolitik ist hierfür ein trauriges Beispiel. Weltweit werden laut Bericht rund 100 Milliarden Dollar jährlich in Agrarsubventionen investiert, die schädlich für die biologische Vielfalt sind. Fossile Brennstoffe, die die Klimaüberhitzung weiter anheizen und damit auch die biologische Vielfalt stark gefährden, werden aktuell mit rund 500 Milliarden Dollar pro Jahr subventioniert.
Hoffnungsschimmer?
Trotzdem gibt es auch positive Nachrichten, die hoffen lassen, dass im kommenden Jahrzehnt eine Wende vollziehen könnte: Viele Länder haben ihre Biodiversitätspolitik verbessert, das Verständnis und Wissen über die biologische Vielfalt hat in einigen Teilen der Welt stark zugenommen. Die weltweite Fläche an Schutzgebieten im Meer und an Land hat sich deutlich vergrößert. Bis zu 25 Vogel- und Säugetierarten konnten durch Naturschutzmaßnahmen seit 2010 vorläufig vor dem Aussterben gerettet werden.
Insgesamt steht auch mehr Geld für den Erhalt der biologischen Vielfalt zur Verfügung als zu Beginn des Jahrzehnts: Der Gesamtwert der jährlichen internationalen Biodiversitätsfinanzierung hat sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt, wie es auf CBD-Ebene auch vereinbart war. Besonders Deutschland hat sich finanziell engagiert, wenn es darum ging, Entwicklungsländer im Naturschutz zu unterstützen.
Was muss passieren?
Der NABU fordert, dass die 196 Vertragsstaaten des Übereinkommens zur biologischen Vielfalt sich bei ihren noch voraussichtlich bis Herbst 2021 laufenden Verhandlungen für neue globale Biodiversitätsziele einsetzen. Diese Ziele sollten ambitioniert sein, vor allem aber auch konkret, messbar und verbindlich. Neben bewährten aber unzureichend umgesetzten Instrumenten wie Schutzgebieten und überfälligen Maßnahmen wie Reformen der Agrarsubventionen ist auch neues Denken notwendig, um den dringend nötigen tiefgreifenden Wandel herbeizuführen. Naturbasierter Klimaschutz, die Renaturierung von Ökosystemen und ein nachhaltiges Finanzwesen müssen zum Standard werden. Der GBO-5 nennt acht Handlungsfelder, von der Landnutzung bis zu ganzheitlicher Gesundheitsvorsorge, denn Naturschutz ist nicht zuletzt auch Schutz vor Pandemien (siehe Kasten).
Die Biologische Vielfalt ist die Grundlage menschlichen Lebens. Deshalb sollte ihr Erhalt nicht alleine ein Anliegen von Umweltministerien und –verbänden sein. Sondern muss in Zukunft konsequent in allen politischen Bereichen mitgedacht und bei politischen Entscheidungen einbezogen werden. Ein grundlegender transformativer Wandel ist nötig, der neben der Politik auch von wirtschaftlichen Akteur*innen und gesellschaftlichen Gruppen getragen wird.
Empfehlungen
Der „Global Biodiversity Outlook 5“ liefert Empfehlungen für acht Handlungsfelder, um eine Kehrtwende einzuleiten und die Lebensgrundlage aller dauerhaft zu erhalten.
- nachhaltige Landnutzung und Wälder: Erhaltung und Wiederherstellung intakter Ökosysteme, Reduzierung und Umkehrung Degradierung, Vermeidung von Landnutzungsänderungen durch Landschaftsplanung
- nachhaltige Landwirtschaft: Neugestaltung landwirtschaftlicher Systeme durch agrarökologische und andere innovative Ansätze zur Steigerung der Produktivität bei gleichzeitiger Minimierung negativer Auswirkungen auf die biologische Vielfalt.
- nachhaltiges Ernährungssystem: nachhaltige, gesunde und vielfältige Ernährung mit Nahrungsmitteln meist pflanzlicher Herkunft und einem moderateren Verzehr von Fleisch und Fisch; sowie einer starken Verringerung von Lebensmittelabfällen.
- Nachhaltige Fischerei und Ozeane: Schutz und Wiederherstellung der Meeres- und Küstenökosysteme, nachhaltige Fischerei, Aquakultur und anderer Nutzung der Ozeane, zur Verbesserung von Ernährungssicherheit und Lebensgrundlagen
- Städte und Infrastruktur: Förderung "grüner Infrastruktur"; Raum für die Natur in gebauten Landschaften für mehr Gesundheit und Lebensqualität und einen geringeren ökologischen Fußabdruck von Städten und Infrastruktur
- Süßwasser: ein integrierter Ansatz zur Gewährleistung der nötigen Wasserflüsse und Wasserqualität, Schutz kritischer Lebensräume, Kontrolle invasiver Arteninvasive Arten und Verbindung von Ökosystemen, Wiederherstellung von Süßwassersystemen
- Klimamaßnahmen: naturbasierte Lösungen für den Klimawandel, rascher Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe
- Ganzheitliche Gesundheitsversorgung, die die biologische Vielfalt einschließt: integriertes Management von Ökosystemen, einschließlich landwirtschaftlicher und städtischer Ökosysteme, sowie die Nutzung von Wildtieren zur Förderung gesunder Ökosysteme und Menschen.
Häufig gestellte Fragen
Im Rahmen der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) wollen die 196 Vertragsstaaten bis 2020 weltweit das Artensterben stoppen, Ökosysteme wiederherstellen und die Entwicklungsländer im Naturschutz unterstützen. Hier finden Sie Antworten auf die wichtigsten Fragen. Mehr →