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Der Bitterling ist "Fisch des Jahres 2008"
Kulinarisch ist er eine Enttäuschung, aber an Schönheit ist der kleine Karpfenfisch kaum zu toppen. "Wenige unserer Flussfische kommen dem Bitterling an Zierlichkeit und Schönheit der Färbung gleich", schreibt Tiervater Alfred Brehm, und meint die Färbung der Bitterling-Männchen, dessen Hochzeitskleid während der Laichzeit in allen Regenbogenfarben schillert. Noch im 19. Jahrhundert war der kleine Fisch in einzelnen Gewässern so häufig, dass ganze Schwärme in Sieben gefangen und als Schweinefutter genutzt wurden. Das Schuppenkleid des Bitterlings wurde sogar zur Herstellung von Perlessenz herangezogen, dem sogenannten Fischsilber. Doch all die Schönheit nutzte dem kleinen Fisch wenig. Für Angler und Fischer von nur geringem Interesse, starb er in den letzten Jahrzehnten fast unbemerkt in vielen Gewässern aus.
Zwerg unter den Karpfen
Der Bitterling besitzt einen hochrückigen, seitlich stark abgeflachten Körper mit relativ großen Schuppen. Rücken- und Afterflosse sind recht lang. Der Zwerg unter den europäischen Karpfenfischen wird nur fünf bis sechs Zentimeter groß. Selten erreichen "kapitale Exemplare" acht oder neun Zentimeter.
Bitterlinge leben gesellig - mit Vorliebe in flachen, stehenden oder langsam fließenden Gewässern mit Pflanzenwuchs und Muschelpopulationen. Flachlandbäche und Flüsse der Brassenregion und deren Altwässer sind die primären Lebensräume der Art. Aber auch verkrautete Teiche und Grabensysteme werden angenommen. Jungfische fressen Zooplankton und Zuckmückenlarven. Später ernährt sich der kleine Fisch als vorwiegender Vegetarier von Algen und weichen Pflanzenteilen.
Fortpflanzung auf Umwegen
So schillernd wie sein Äußeres, so kompliziert ist das Sexualleben des kleinen Fisches. Zur Laichzeit zwischen April und Juni besetzt das Männchen bei Wassertemperaturen über 17 Grad Celsius ein kleines Revier, in dem eine bis drei Fluss- oder Teichmuscheln vorhanden sind, und lockt Weibchen zu einem der Schalentiere.
Das Weibchen bildet zur Fortpflanzungszeit eine bis zu fünf Zentimeter lange Legeröhre aus, mit der es einzelne Eier in die Kiemen der Muschel legt. Unmittelbar danach gibt das Männchen seine Spermien ab, die über das Atemwasser ins Muschelinnere gelangen und dort die Eier befruchten. Jede Muschel erhält nur ein oder zwei der drei Millimeter großen Eier - dann wird der Vorgang an weiteren Muscheln wiederholt. Die rund 40 Eier eines Weibchens werden so auf viele Wirtstiere und mehrere Reviermännchen verteilt. In der sauerstoffreichen Umgebung der Muschelkiemen wachsen die Jungfische heran; sie verlassen den Wirt erst, wenn sie Fische schwimmfähig sind.
Doch vollkommen selbstlos sind auch die Muscheln nicht. Als wenig mobile Tiere nutzen sie die Fische als Taxi für die eigene Brut: Beim engen Kontakt zwischen Muschel und Fisch haften Muschel-Larven am Bauch des Bitterling-Weibchens. Der Wirtswechsel der Bitterlinge ermöglicht als Shuttle-Service die Verbreitung der Muschellarven. Später fallen die Jungmuscheln ab und suchen kleine Bodenspalten oder andere geschützte Plätze auf.
Jahrtausende lang hat die gemeinsame Familienplanung der beiden Tierarten gut funktioniert. "Tausche Schutz gegen Mobilität" lautete das Geschäft, von dem beide profitieren. Doch fehlen die Muscheln, wird auch das Liebesleben der Bitterlinge zum Coitus interruptus. Und die Muscheln machen sich rar: Faulschlammbildung und Verlandung setzen ihnen zu. Auch starke Nährstoffeinträge gehen den Wirten der Bitterlinge an die Schalen. Beseitigung von Altarmen und Kleingewässern in den Auen und der Ausbau von Niederungsbächen tun ein Übriges.
Pelzige Gefahr aus Übersee
Eine besondere Gefahr kam bereits vor über 100 Jahren aus Nordamerika: die Bisamratte. Aus Pelztierfarmen gelangten die Nager ins Freie und vermehrten sich explosionsartig. In der kalten Jahreszeit zeigen die hauptsächlich vegetarischen Bisamratten eine Vorliebe für die nahrhaften Teich- und Flussmuscheln. Die haben den kräftigen Nagergebissen wenig entgegenzusetzen.
Mit dem Rückgang der Muscheln verschwand auch der Bitterling aus vielen Gewässern. Eine Ausweichmöglichkeit besitzt der kleine Karpfen nicht. Die einst so erfolgreiche Brutstrategie versagt, wenn der Mensch Lebensräume verändert und mit der Einbringung neuer Arten in biologische Prozesse eingreift.
Das Areal des Bitterlings erstreckt sich vom Ural und dem Kaspischen Meer über Mitteleuropa bis nach Mittelfrankreich. Südlich der Alpen, in Nordeuropa sowie in Irland fehlt der Bitterling. In Deutschland ist die Art nur unregelmäßig verbreitet. In keinem Bundesland ist der Fisch wirklich häufig. Die Schwerpunkte liegen im Flachland und in den Flussniederungen.
Neue Heimat Klesberger Weiher
Um dem Bitterling zu helfen, müssen seine Lebensräume erhalten, wiederhergestellt und vernetzt werden. Vor allem die naturnahe Entwicklung der Fließgewässerunterläufe als Lebensräume für Großmuscheln und Bitterlinge muss im Mittelpunkt der Naturschutzbemühungen stehen.
Aber auch eine extensive und bitterlingfreundliche Bewirtschaftung von Fischteichen kann der Art helfen. So erst kürzlich geschehen im hessischen NABU-Schutzgebiet Klesberger Weiher bei Steinau. Hier hat der NABU nach umfangreicher Revitalisierung des Gewässers Bitterlinge neu angesiedelt. Dank der vorhandenen Muscheln vermehren sich die Bitterlinge in ihrer neuen Kinderstube gut.
Sibylle Winkel