Die Hainschwebfliege, auch Winterschwebfliege genannt, ist die am Randecker Maar am häufigsten beobachtete ziehende Art. - Foto: Helge May
Warum Schwebfliegen verschwinden
Extreme Rückgänge von bis zu 97 Prozent
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Die Stiftschwebfliege gehört ebenfalls zu den ziehenden Arten. Ihre Larven ernähren sich von Blattläusen. - Foto: Helge May
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Sumpfschwebfliegen unternehmen im Herbst weite Wanderungen nach Süden. - Foto: Helge May
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Die Mistbiene oder Keilfleckschwebfliege gehört aufgrund ihrer Größe zu den auffälligen Wanderern. Ihre im Wasser lebenden Larven ernähren sich von Abfallstoffen. - Foto: Helge May
11. Oktober 2022 | UPDATE - Die Weltnaturschutzunion (IUCN), die die Rote Liste der bedrohten Arten herausgibt, schlägt erneut Alarm für die Schwebfliegen: Zwei Drittel der Schwebfliegenarten in Europa sind vom Aussterben bedroht. 314 der 890 europäischen Arten von Schwebfliegen weisen eine der drei höchsten Gefährdungskategorien auf, sind also vom Aussterben bedroht, stark gefährdet oder gefährdet. Die größten Bedrohungen stellen aktuell laut IUCN der Klimawandel, die intensive Landwirtschaft, der Einsatz von Insektenschutzmitteln sowie die intensive wirtschaftliche Nutzung von Wäldern dar.
Für unsere Ökosysteme spielen die Schwebfliegen eine wichtige Rolle: Die adulten Tiere als Bestäuber, ihre Larven ernähren sich unter anderem von Blattläusen, und unterstützen so die Schädlingskontrolle.
Die Wissenschaftler der IUCN fordern daher als Maßnahme gegen weiteren Schwebfliegenschwund einen nachhaltigen Umbau der Landwirtschaft und Wirtschaft, den umfassenderen Schutz von Feuchtgebieten, die Sicherung von Totholz als Kinderstube für Schwebfliegenlarven. Wirksamer Insektenschutz braucht beides: Ein Eindämmen der Klimakrise und geschützte, wiederhergestellte Ökosysteme.
29. Oktober 2020 - „Was wir heute noch sehen, ist niederschmetternd“, beklagt Dr. Wulf Gatter. „Eigentlich lohnt es sich gar nicht mehr, Fangreusen für Insekten aufzustellen, weil es so wenige sind, wo einst die Luft flimmerte von Tausenden ziehender Schwebfliegen.“ 1969 hat Gatter die Forschungsstation Randecker Maar gegründet. Wissenschaftlicher Schwerpunkt der Station ist eigentlich der Vogelzug. Bald zeigt sich aber, dass an dem ehemaligen Vulkantrichter auch unzählige Insekten die Schwäbische Alb durchqueren.
Der Trichtereffekt des Maars führt dazu, dass auf einer Breite von über sechs Kilometern Vögel und Insekten aus nördlichen Richtungen durch den ehemaligen Vulkantrichter von rund 300 Meter Höhe im Vorland auf 800 Meter Höhe hochfliegen und im Anflug sowie beim Durch- und Überflug gut und standardisiert erfasst werden können. Über 600 Mitarbeiter aus ganz Deutschland und Europa haben sich in den letzten 50 Jahren im Rahmen des Arbeits- und Forschungsprogrammes im Spätsommer und Herbst beteiligt.
Zählung per Fernglas und mit Fangreusen
„Die Schwebfliegen haben wir mit zwei Methoden erfasst“, erläutert Gatter. „Seit 1970 zählten wir viermal stündlich je eine Minute die südwärts ziehenden Schwebfliegen.“ Die Ergebnisse sind niederschmetternd. „Der Vergleich der ersten fünf Jahre ab 1970 mit den Werten der Jahre 2014 bis 2019 zeigt bei der größten und artenreichsten Gruppe, deren Larven räuberisch vor allem von Blattläusen leben, einen Rückgang um 97 Prozent gegenüber den Ausgangswerten. Das ist noch deutlich dramatischer als der Rückgang, den unsere Kollegen im Rahmen der Krefelder Studie für 27 Jahre nachgewiesen haben.“ Andere Arten, deren Larven sich von Abfallstoffen in nährstoffreichen, oft überdüngten Gewässern ernähren, gingen etwas weniger stark zurück.
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Zwei andere Artengruppen, Waffenfliegen und parasitische Schlupfwespen, gingen im Zeitraum von 35 bis 40 Jahren um 84 beziehungsweise 86 Prozent zurück. Im Bild eine Langhorn-Waffenfliege. - Foto: Helge May
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Schlupfwespen parasitieren an anderen Insekten und begrenzen so deren Bestände. Hier versuchen sich zwei kleine Schlupfwespen an einer Pyramideneulenraupe. - Foto: Helge May
Die zweite Erfassungsmethode sind Insektenreusen. Sie werden bei geeignetem Wetter stündlich kontrolliert. Der Vergleich der Erhebungen von 1978 bis 1987 mit denen von 2014 bis 2019 zeigt einen Rückgang von rund 90 Prozent jener Schwebfliegen-Arten, deren Larven sich von Blattläusen sowie weiteren Kleininsekten und Milben ernähren. Zwei andere Artengruppen, Waffenfliegen und parasitische Schlupfwespen, gingen im Zeitraum von 35 bis 40 Jahren um 84 beziehungsweise 86 Prozent zurück.
Großflächige Verarmung der Kulturlandschaft
Bedenkt man den Einzugsbereich des „Wanderweges“ am Randecker Maar, spiegeln die dramatischen Verluste eine großflächige Artenverarmung in unseren Kulturlandschaften über Tausende von Quadratkilometern wider. „Die Studie verstärkt die bisherigen Forschungsergebnisse zum Rückgang der Insekten in Deutschland und weit darüber hinaus“, kommentiert der Insektenkundler Prof. Dr. Lars Krogmann vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart. „Die gesammelten Daten zeigen dramatisch eine kontinuierliche Verarmung unserer heimischen Insektenvielfalt. Weltweit einmalig ist die Erfassung des Rückgangs von Schlupfwespen, die sich parasitisch in anderen Insekten entwickeln. Wenn die Wirtsinsekten im Bestand zurückgehen, dann sterben auch ihre Gegenspieler mit unabsehbaren Folgen für unsere Ökosysteme.“
- Fachartikel: „50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge“
- Forschungsstation Randecker Maar
Seit er als Neunjähriger einen Film von Hugo Wolter über die Vogelinsel Trischen sah, ist Dr. Wulf Gatter dem NABU eng verbunden. Er gründete die Forschungstation Randecker Maar und setzt sich in Liberia für den Zuvogelschutz ein. Mehr →
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