Bereits die Hälfte aller Wildbienen sind im Bestand gefährdet - Foto: Helge May
Insektensterben in Deutschland
Fragen und Antworten zum Insektenschwund


Wie groß ist die Welt der Insekten?
Bereits seit 400 Millionen Jahren bevölkern Insekten die Erde. Mit weit mehr als einer Million Arten sind sie die artenreichsten Tierklasse überhaupt. Allein in Deutschland geht man von über 33.000 Insektenarten aus.
Welche sind die häufigsten Insektenarten?
Zu den häufigsten Insektenordnungen in Deutschland gehören die Hautflügler (z.B. Bienen, Wespen und Ameisen), Zweiflügler (z.B. Fliegen, Mücken), Käfer und Schmetterlinge. Auch von Wanzen, Zikaden und Tierläusen gibt es hunderte Arten.
Welche Bedeutung haben Insekten für unser Ökosystem?
So vielfältig wie die Welt der Insekten ist, so wenig können wir auf sie verzichten. Das Funktionieren fast aller Ökosysteme hängt von ihnen ab. Damit sind sie für Mensch und Natur unersetzlich:
Als Nahrungsquelle bilden Insekten eine wichtige Grundlage für eine Vielzahl weiterer Tierklassen wie Vögel, Säugetiere, Amphibien oder Reptilien. So füttern beispielsweise die meisten Brutvogelarten ihre Jungen mit Insekten.
Durch das Sammeln von Nektar und Pollen sorgen sie für die Bestäubung und den Fortbestand von weltweit etwa 90 Prozent aller Pflanzenarten und stellen damit einen Großteil der menschlichen und tierischen Ernährung sicher.
Als Regulatoren sind sie ebenfalls unersetzlich: Insekten sind wichtige Nützlinge in der Forst- und Landwirtschaft, da durch sie die Ausbreitung schädlicher Insekten eingedämmt werden. Die Larven der Florfliegen beispielsweise können pro Entwicklungsphase bis zu 500 Blattläuse oder Milben verzehren.
Auch für die Remineralisierung organischer Stoffe wie Pflanzenresten und Tierleichen im Boden, in der Bodenstreu oder im Totholz spielen sie eine wichtige Rolle als Verwerter. Somit sind sie unersetzbar für die Fruchtbarkeit unserer Böden.Somit sind sie unersetzbar für die Fruchtbarkeit unserer Böden. Somit sind sie unersetzbar für die Fruchtbarkeit unserer Böden.
Wie ist der aktuelle Zustand der Insekten in Deutschland?
Die vorliegenden Daten aus verschiedenen Studien sprechen eine klare Sprache: Wir haben es mit einem massiven Rückgang der Insekten zu tun. Sei es der Verlust der Artenzahlen, der Häufigkeiten oder der Biomasse – hier stehen alle Zeiger auf rot. Die Dramatik ist nicht nur regionaler Natur, sondern ein flächendeckendes Problem.
Beispiel Biomasse: Die Studie der Entomologischen Vereins Krefeld hat 2017 anschaulich gezeigt, dass die Biomasse an Fluginsekten in Schutzgebieten Nordwestdeutschlands in den vergangenen 27 Jahren um über 75 Prozent zurückgegangen ist. Der Verlust wurde als Trend über alle untersuchten Standorte hinweg erkannt und ist nicht spezifisch für bestimmte Biotoptypen, sondern betrifft das gesamte Offenland. Jährlich werden zahlreiche Studien veröffentlicht, die den starken Rückgang der Insekten bestätigen. Eine Auswahl an Publikationen zu dem Thema finden sie hier.
Beispiel Rote Liste: Mehr als ein Viertel der Insektenarten, die in der Roten Liste erwähnt werden, sind mindestens bestandsgefährdet, viele bereits ausgestorben. Dabei weisen im langfristigen Trend 40 Prozent der Insektenarten eine negative Entwicklung auf, wonach sehr wahrscheinlich viele Arten zukünftig einer höheren Gefährdungskategorie zugeordnet werden müssen und sich die Bestandsabnahme vieler Arten weiter fortsetzen wird.
Bei den Wildbienen sind bereits jetzt über die Hälfte der Arten in ihrem Bestand gefährdet. Daneben gelten als ausgestorben oder bestandsgefährdet 7 Prozent der Gnitzen, 17 Prozent der Schmetterlinge, 29 Prozent der Schwebfliegen, 32 Prozent der Raubfliegen, 35 Prozent der Heuschrecken, 37 Prozent der Laufkäfer und 87 Prozent der Wasserkäfer.
Dass die Gefährdungslage aller Insekten weitaus dramatischer sein dürfte als es die Rote Liste suggeriert, verdeutlicht die Tatsache, dass von den über 33.000 in Deutschland vorkommenden Arten erst die Hälfte durch die Rote Liste bewertet wurden. Für viele Arten fehlen verlässliche Daten.
Beispiel Vogelrückgang: Vogelarten, die während der Brutzeit überwiegend auf die Ernährung von Insekten angewiesen sind, weisen, gemessen an der Gesamtartenzahl, im 25-Jahre-Trend mit etwa 20 Prozent die stärksten Bestandsrückgänge auf. Von den 291 Brutvögeln in Deutschland steht fast jede zweite Art auf Roten Liste.
Was sind die Ursachen für das dramatische Insektensterben?
Der alarmierende Rückgang der Insekten ist vermutlich auf eine ganze Reihe von Ursachen und vor allem auf das gleichzeitige Einwirken dieser Ursachen zurückzuführen. Nachfolgend werden die wichtigsten aufgeführt.
Intensive Landwirtschaft: Die landwirtschaftliche Produktion ist hierzulande die häufigste Form der Flächennutzung. Über die Hälfte der Landesfläche werden landwirtschaftlich genutzt. Es liegt demnach auf der Hand, dass hier mit der Suche nach möglichen Ursachen begonnen werden muss.
Pestizide: Deutschland gehört zu den vier EU-Mitgliedstaaten, die am meisten Pestizide verbrauchen. Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre wurden jährlich etwa 15.000 Tonnen Herbizide und knapp 1.000 Tonnen Insektizide eingesetzt. Totalherbizide wie Glyphosat vernichten sämtliche Ackerbeikräuter und minimieren damit entscheidende Nahrungs-, Nist- und Überwinterungsquellen für Insekten. Insektizide wie Neonicotinoide wiederum führen dagegen zum direkten Tod oder vermindern die Orientierung- und Fortpflanzungsfähigkeit.
Eintönige Landschaften: Monotone Äcker aus Mais, Raps oder Getreide bestimmen vielerorts das Bild unserer Kulturlandschaft. Verengung der Fruchtfolgen, fehlende Strukturen wie Feldgehölze, Acker- und Gewässerrandstreifen sowie Überdüngung führen zu einer enormen Minimierung der Pflanzenvielfalt – mit der Folge, dass beispielsweise wichtige Nahrungshabitate für Insekten verloren gehen. Auch durch den Verlust ökologisch hochwertiger Flächen wie Brachen oder extensiv genutztes Grünland werden Insekten notwendige Lebensräume entzogen.
Flächenfraß: Für den Bau von Infrastruktur, Gewerbeflächen oder Siedlungen werden ganze Lebensräume zerstört. Jedes Jahr werden knapp 20.000 Hektar neu versiegelt.
Klimawandel: Geeignete Lebensräume können auch durch Veränderungen des Klimas verschoben werden. Temperaturanstiege führen beispielsweise dazu, dass Arten in Richtung Norden und in höhere Bergregionen wandern.Stärkerer Regen kann zum Beispiel Nester zerstören und durch mildere Winter breiten sich Krankheitserreger und schädliche Pilze aus, weshalb weniger Individuen den Winter überstehen.
Welche Auswirkungen hat das Insektensterben?
Führt man sich nochmals die enorme Bedeutung vor Augen, die Insekten für das Funktionieren der Ökosysteme und damit auch das menschliche Wohlergehen haben, mag man sich die Auswirkungen nicht ausmalen. Setzt sich der momentane Abwärtstrend fort, wird sich nicht nur der Artenverlust in Flora und Fauna weiter verstärken. Auch die Sicherung menschlicher Ernährung ist grundlegend gefährdet. Der ökonomische Wert von Insektenbestäubung allein wurde in Deutschland auf 3,8 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt - diese Leistung steht auf dem Spiel. Ganz zu schweigen von der traurigen Vorstellung, dass das Zirpen der Heuschrecken oder der Flug eines Schmetterlings schon bald der Vergangenheit angehören und kommende Generationen das nicht mehr erleben können.
Was kann jeder Einzelne gegen das Insektensterben tun?
Konsumverhalten: Durch unser tägliches Konsumverhalten haben wir direkten Einfluss auf unsere Umgebung. Auch unsere Nahrungsgewohnheiten bestimmen, in welche Richtung sich landwirtschaftliche Produktionsweisen entwickeln. Wer sich immer nur möglichst billig und fleischlastig ernähren will, muss sich nicht wundern, dass die Landwirtschaft weiter auf Hochleistungsniveau intensiviert wird und großflächig eintönige Kulturen wie Mais oder Weizen angebaut werden. Der Schutz der biologischen Vielfalt und damit auch der Insekten hat seinen Preis, den es uns wert sein sollte zu erbringen. Im Zweifel möglichst regional, saisonal und bio einkaufen!
Garten und Balkon: Wer einen eigenen Garten hat, sollte hier auf den Einsatz von Pestiziden komplett verzichten. In Bezug auf die Gestaltung des Gartens gilt eine Grundregel: Die Ausstattung sollte möglichst vielfältig sein. Viele Tipps und Anleitungen, was der Einzelne im Garten oder auf dem Balkon anpflanzen oder anlegen kann, finden sich unter: www.NABU.de/gartenvielfalt
Städte und Kommunen: Auf öffentlichen Grünflächen sollte nicht nur die Verwendung gebietsheimischer Pflanzenarten der Regelfall sein und der Pestizideinsatz komplett untersagt werden, sondern auch ein insektenfreundliches Pflegeregime realisiert werden.
Politisch werden: Biodiversitätsschutz muss in allen Ebenen der Politik ankommen, daher ist es wichtig, dass jede*r sich auf seine Weise beteiligt - sei es bei Wahlen, über Petitionen oder die Teilnahme an Demonstrationen. Auch mit Leserbriefen oder einer Pressemitteilung zu einer lokalen Schutzaktion kann ein Zeichen gesetzt werden. armeWir brauchen unter anderem eine effektive Regulierung von Pestizid- und Düngemitteleinsatz, Rückzugsorte für die Natur und ein verbessertes Schutzgebietsmanagement. Verbunden damit muss auch die Unterstützung der Landwirt*innen gewährleistet sein. Mehr zum politischen Insektenschutz finden Sie hier.
Weiterführende Literatur
Zahlreiche Studien der letzten Jahre zeigen den dramatischen Einbruch der Insektenpopulationen in allen Landschaftstypen in Deutschland. Hier können Sie bei Interesse weiterlesen:
- Deutschsprachige, umfassende Informationsquelle: Fartmann, Jedicke, Streitberger & Suhldreher, „Insektensterben in Mitteleuropa – Ursachen und Gegenmaßnahmen“ 2021 Ulmer Verlag
- Die „Krefelder Studie“, die als erste Studie große mediale Aufmerksamkeit für den Insektenschwund erzeugt hat, zeigt, dass 75% der Fluginsektenbiomasse innerhalb von knapp 30 Jahren in Schutzgebieten zurückgegangen ist (englischsprachiger Artikel): Hallmann et al. 2017, „More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas“.
- Eine groß angelegte Metastudie hat weltweite Daten von verschiedenen Publikationen zu Insektenpopulationen über insgesamt 20 Jahre zusammengefasst. Dabei zeigt sich ein allgemeiner Trend von ca. 50 % Verlust an Individuen und 27 % der Arten. Zusätzlich wurden die intensive Landwirtschaft und der Klimawandel als Treiber analysiert: Outhwaite et al. 2022, „Agriculture and climate change are reshaping insect biodiversity worldwide“.
- Eine Analyse der Treiber des Insektensterbens, vor allem wie diese Treiber gleichzeitig gemeinsam Druck auf die Insektenpopulationen ausüben. Außerdem wird die bestehende Literatur zu dem Thema zusammengefasst (englischsprachiger Artikel): Wagner et al. 2021, „Insect decline in the Anthropocene: Death by a thousand cuts“.
- In einer Studie im Wald und Grünland wurde ein starker Insektenrückgang in Bayern gezeigt (z.B Waldinsektenbiomasse um über 60 % und Grünlandinsektenbiomasse um über 40 % in 10 Jahren zurückgegangen). Intensive Landwirtschaft wurde hier als einer der Haupttreiber identifiziert (englischsprachiger Artikel): Seibold et al. 2019, „Arthropod decline in grasslands and forests is associated with landscape-level drivers“.
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