Dr. Wulf Gatter - Foto: NABU/Sebastian Hennigs
Zwischen Alb und Afrika
Dr. Wulf Gatter entdeckte 1966 das Phänomen des Vogelzugs am Randecker Maar
In Süddeutschland hat der Herbst endgültig Einzug gehalten, als wir an einem Oktobertag auf die Schwäbische Alb hinauffahren. Wir sind mit Dr. Wulf Gatter verabredet: Forstökologe, Ornithologe, Naturschützer und Gründer der Forschungsstation Randecker Maar, einer wissenschaftlichen Einrichtung zur Langzeitbeobachtung des Vogel- und Insektenzuges. Schwer vorstellbar, bei dem Nieselregen auch nur einen Zugvogel oder ein Insekt zu sehen.
Wulf Gatter, geboren 1943, begrüßt uns gut gelaunt. Man merkt ihm seinen Tatendrang deutlich an, während er vor uns her zu dem kleinen Stück Land marschiert, auf dem er seit über 50 Jahren den Vogelzug beobachtet und dokumentiert. „Genau hier“, erklärt er uns, „treffen die aus dem Norden kommenden Zugvögel auf den 400 Meter steil aufragenden Nordrand der Schwäbischen Alb. Das Randecker Maar ist ein Vulkankrater, der durch Erosion nach Norden offen ist. Felsbewehrte Steilhänge zu beiden Seiten leiten die Vögel auf das Nadelöhr zu, an dessen Südende sie die Albhochfläche bei der Station passieren.“
Spartanische Einrichtung
Dieses Phänomen, und damit die Bedeutung dieser Stelle für den Vogelzug, entdeckte Gatter im Jahr 1966, als er bereits seit mehreren Jahren an verschiedenen Pässen und Bergen der Schwäbischen Alb südlich von Kirchheim unter Teck ziehende Vögel beobachtete. Jahre später entstand daraus die Forschungsstation.
Dass es hier ausschließlich um die Sache an sich geht, zeigt die spartanische Einrichtung aus ein paar Plastikstühlen und schmalen selbstgebauten Tischen am Beobachtungsort. Zwei rostbraune Bauwagen (einer zum Schlafen, einer zum Arbeiten und Essen) und eine Insektenreuse ergänzen das Ensemble. Gatter nimmt die Plastiktüte ab, die am Ende der Reuse hängt und in der die Insekten bei ihrem Drang, in den Süden zu gelangen, landen. Wanderinsekten, eine Gelbe Bandeule und eine Schwebfliege befinden sich darin. „Es hat einen spürbaren Insektenschwund gegeben“, sagt Gatter. „Früher waren bis zu eineinhalbtausend Schwebfliegen in der Reuse. Seit einigen Jahren sind sie spärlich.“
Seit er als Neunjähriger einen Film von Hugo Wolter, Ziehsohn der NABU-Gründerin Lina Hähnle, über die Vogelinsel Trischen sah, ist Gatter dem NABU eng verbunden. Er war mehrere Jahre im Vorstand des baden-württembergischen NABU-Landesverbands und zehn Jahre als Ortsvorsitzender des NABU Kirchheim/Teck tätig. Bis heute ist er Mitglied der NABU-Bundesarbeitsgruppe Afrika.
Beobachten und notieren
Die Insektenreuse wird während der Zugsaison von August bis Anfang November stündlich kontrolliert. Während dieser Zeit befinden sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang drei bis vier Personen in der Station. Akribisch wird jeder der täglich bis zu 70.000 Vögel notiert, die vorbeifliegen –mit bis zu weit über hundert Arten. „Es sind meist die kleineren Zugvogelarten wie Kernbeißer, Buchfinken, Rauchschwalben und Tauben, die so niedrig fliegen, dass die Alb für sie ein Hindernis bedeutet. Aber auch Greifvögel wie Fischadler passieren das Randecker Maar“, erklärt Gatter und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: „Kormorane ziehen vor allem sonntags, wenn die Schwaben die Seen bevölkern und es den Vögeln dort zu unruhig wird.“
Ohne die von Beginn an ideelle und tatkräftige Unterstützung seiner Frau Dorothea wäre der Stationsbetrieb nicht zu bewältigen, sagt er. Die Forschungsstation sei ihrer beider Baby. So gut wie jeden Tag kommt Gatter her und arbeitet gemeinsam mit einem wechselnden Team von 10 bis 15 Personen je Saison, einer bunten Mischung von Studenten und Hobbyornithologen unterschiedlicher Altersgruppen und Nationalitäten. Viele möchten hierherkommen und mal reinschnuppern in die geschichtsträchtige Arbeit, die Gatter hier aufgebaut hat, möchten wenigstens ein kleines bisschen was mitnehmen von seiner langjährigen Erfahrung und dem umfassenden Wissen.
Mehrere Bücher Gatter er bereits veröffentlicht, darunter eines über seine jahrzehntelange Forschung am Randecker Maar und „Birds of Liberia“, das erste und bislang einzige Werk über die Vogelwelt des westafrikanischen Landes.
Liberia ist Gatters zweite große Leidenschaft. In seinem Haus, inmitten eines naturbelassenen Gartens am Rand von Kirchheim unter Teck, gibt es Andenken an das Land, in das er seit fast 40 Jahren für mindestens vier Wochen im Jahr reist. „Ich habe mein Leben lang als Förster gearbeitet“, erzählt er. „Anfang der 80er-Jahre reiste ich, beurlaubt von der Forstverwaltung, als Entwicklungshelfer gemeinsam mit meiner Familie für drei Jahre erstmals nach Liberia. Es ging darum, die Regenwälder dort zu erhalten.“
Etappenzug der Rauchschwalben innerhalb Afrikas
Und Gatter forschte weiter. Er begab sich auf die Spuren der Vogelwelt Liberias und fand heraus, dass die Vögel mit den Regenzeiten und dem damit einhergehenden Insektenangebot große Umwege auf sich nehmen. Die Rauchschwalben beispielsweise, die im September das Randecker Maar passieren, ziehen im November eilig durch Liberia, um ihr Winterquartier in Südafrika zu erreichen. Bereits zum Ende der dortigen Regenzeit im Februar wenden sie sich wieder nach Norden und erreichen nach einem Umweg von 2.000 Kilometern das liberianische Westafrika im März, wenn nun zu Beginn der äquatorialen Regenzeit die Termiten schwärmen. Erst nach Verdoppelung ihres Körpergewichts geht es an die Überquerung der Sahara. Trotz aller Umwege kommen sie immer noch rechtzeitig in Europa an.
Bis heute ist Gatter in Liberia aktiv, erforscht gemeinsam mit liberianischen Studenten die Tier- und Pflanzenwelt des Landes, baut Camps auf, verhandelt mit der Forstverwaltung um Schutzgebiete und veröffentlicht seine Ergebnisse. Für sein unerschöpfliches Engagement hat er bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter die Ehrendoktorwürde der Wilhelms-Universität Münster und der University of Liberia. 2016 wurde er von der Präsidentin Liberias in den „Order of the Star of Africa“ aufgenommen und erhielt den Status des „Grand Commander“, die höchste Ehrung Liberias.
Britta Hennigs
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