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Steuerung durch Raumordnung
Die derzeitige Situation im Einzelhandel ist geprägt von einer Konzentration der Betreiber, einer Vergrößerung der Betriebsflächen, der Intensivierung des Wettbewerbs bei einer stagnierenden Kaufkraft. Im Ergebnis führt das zu einem massiven Verdrängungswettbewerb, bei dem neue Verkaufsflächen und Handelsketten den eingesessenen inhabergeführten Facheinzelhandel unter Druck setzen. Was kann die Raumordnung tun, um dennoch eine wohnortnahe, dezentrale Nahversorgung zu sichern?
Vergrößerte Betriebsflächen entstehen oft an neuen Standorten an der Peripherie der Siedlungen, auf der grünen Wiese, an neuen, weder städtebaulich noch verkehrlich gut integrierten Standorten (meist ohne Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr) Die Versorgungsfunktion der Innenstädte wird auf diese Weise ausgehöhlt. Gemischt genutzte Ortszentren verlieren ihre bewährte Funktion. Öffentliche Investitionen in zentrale Infrastrukturen verkommen.
Betriebsformen und Marktentwicklung
Neben den Konzentrationsprozessen der Betreiber durch Übernahmen oder Verbünde suchen die Wettbewerber gleichzeitig die räumliche Nähe zueinander, so genannte Fühlungsvorteile, und zwar sowohl bei gleichen Sortimenten als auch bei sich ergänzenden Sortimenten. Gleichzeitig versuchen die Betreiber, ihre innerbetrieblichen Abläufe sowie die Logistik betriebswirtschaftlich zu optimieren, was häufig dazu führt, dass größere Einzelstandorte mit überörtlicher Funktion entstehen. Darunter leiden Nahversorgung und Kundennähe, der Wegeaufwand wird auf den Käufer verlagert. Gleiches vollzieht sich infolge der Selbstbedienungsstrukturen, bei denen Beratung und Service durch Fläche und Verpackung ersetzt werden, womit wiederum eine Verlagerung von Servicefunktionen (Auswählen, Informieren, Einpacken) auf die Kunden stattfindet. .
Ein so genannter Vollsortimenter (Umsatzleistung rund 5000 EURO je m²) mit etwa 1500 m² Verkaufsflächen benötigt für einen wirtschaftlichen Betrieb einen Umsatz von rund 7,5 Mio. EURO. Eine Umsatzleistung in dieser Größenordnung entspricht in etwa der Lebensmittelkaufkraft von rund 5000 Einwohnern, so dass daraus gefolgert werden kann, dass ein Vollsortimenter in etwa einen derartigen Versorgungsbereich abdecken kann. Ungefähr das gleiche gilt für einen Discounter mit 800 m² Verkaufsfläche (1,5 bis 2-fache Flächenproduktivität bei geringerer sortimentsspezifischer Kaufkraft).
Der Konzentrationsprozesses der Betreiber hat z.B. dazu geführt, dass inzwischen die fünf größten Lebensmittelketten rund 75 % des Umsatzvolumens. Hier entsteht eine marktbeherrschende Stellung, die später zu Nachteilen vor allem für die Kunden führen kann (wie dieses bei den Oligopolen im Energie- oder Tankstellenbereich bereits beobachtet werden kann).
Auch ist zu erwarten, dass mit der Deregulierung des Ladenschlussrechts der mittelständisch geprägte und oft an städtebaulich integrierten Standorten etablierte Facheinzelhandel besonders unter Druck gerät und durch Ketten verdrängt wird. Damit entsteht eine neue Dimension der Auszehrung der Ortskerne, in denen nach dem Auszug des Lebensmittelhandels der Auszug des Fachhandels droht. Danach ist es nur noch eine Frage der Zeit bis auch andere Dienstleistungen (Banken, Post, ...) schließen und die Ortskerne damit endgültig veröden. Außerdem sinken die Angebotsbreite und die Möglichkeit für regional differenzierte Angebote. Dabei stellen die Discounter wegen ihrer schnell wechselnden Aktionswaren (die insbesondere den Facheinzelhandel auszehren) sowie ihrer hohen Flächenproduktivität ein besonderes Problem dar.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Zentrale Regelungen zur Begrenzung der oben beschriebenen Effekte und Entwicklungen sind insbesondere die Leitvorstellungen der Raumordnung sowie die in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) normierte Schwelle der Regelvermutung, nach der zu vermuten ist, dass Einzelhandelsvorhaben ab einer Größe von rund 700 m² Verkaufsflächen bzw. 1200 m² Geschossfläche überörtliche Wirkungen entfalten. Da neue Vorhaben sich nach Darstellung der Betreiber aus ökonomischen Gründen kaum noch unterhalb dieser Schwelle bewegen können entsteht ein zunehmender überörtlicher Koordinierungsbedarf zur Sicherung der Nahversorgung der Kommunen, öffentlicher Investitionen und einer dezentralen Versorgungssituation.
Es ist festzustellen, dass fast alle derzeit diskutierten Einzelhandelsformen die Schwelle der Regelvermutung nach § 11 Abs. 3 der BauNVO tangieren bzw. überschreiten. Nur wenige Nahversorger oder spezielle Fachmärkte sind für sich unterhalb der Schwelle der Regelvermutung. Die Fachmärkte treten jedoch meist in Kombination mit anderen Fachmärkten oder Lebensmittelmärkten auf, so dass Agglomerationen entstehen die wie großflächige Einkaufszentren wirken.
Bezüglich der Koordinierungsnotwendigkeit sowie der dazu anwendbaren Instrumente ist grundsätzlich zwischen der erforderlichen Nahversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs sowie weitergehenden Versorgungsnotwendigkeiten mit Gütern des wiederkehrenden Bedarfs zu unterscheiden.
Für die Güter des wiederkehrenden Bedarfs ist eine Orientierung an den Zentralen Orten nachvollziehbar und in der Lage, eine ausgewogene dezentrale Versorgung zu gewährleisten. Hier stellt sich besonders in Verdichtungsräumen die Frage, welche Standorte geeignet sind und wie diese im Verhältnis zwischen Bauleitplanung, Regionalplanung und ökonomischen Interessen gesichert werden können, so dass zum Einen die Oberzeile einer dezentralen Versorgung und zum Anderen Ansiedlungsmöglichkeiten gewahrt werden können. Festsetzungen in Text und Karte wie z.B. in den Regionen Stuttgart und Hannover sind Ansatzpunkte, die es zu evaluieren gilt.
Bezüglich der Güter des täglichen Bedarfs (insbesondere Lebensmittel) bestehen andere Anforderungen. Hier ist eine Dezentralität noch dringender erforderlich, so dass auch neue Kleinflächenkonzepte wie KommIn, UmsEck, Ihr Kaufmann, ... einbezogen werden müssen. Durch ihre synergetischen Konzepte mit Einzelhandels- und Dienstleistungsnutzungen (Bank, Post etc.) erlauben derartige Formen einen wirtschaftlichen Betrieb auch auf kleineren Flächen. Damit sind sie in der Lage, insbesondere im ländlichen Raum, aber auch in Verdichtungsräumen mit vielen kleinen Kommunen selbst kleinere Einzugsbereiche zu bedienen und damit die Nahversorgung sicherzustellen. Gerade diese Nahversorgung muss an integrierten, wohnungsnahen Standorten erfolgen und darf sich nicht an peripheren, autoaffinen und überörtlich wirkenden Standorten konzentrieren.
In der Mehrzahl der Bundesländer gibt es Regelungen in den Landesraumordnungsprogrammen sowie Einzelhandelserlassen zu der Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetrieben in Orten verschiedener zentralörtlicher Bedeutung, den Standortanforderungen, der Bewertung von Wirkungen sowie Sortimentsabgrenzungen (u.a. Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen).
Darin wird in der Regel eine Konzentration des Einzelhandels in den Zentralen Orten ab den Unterzentren vorgesehen. Dem dienen die Konzentration an raumplanerisch abgestimmten Standorten (Konzentrationsgebot i.d.R. in Zentralen Orten) sowie die Integration in das Siedlungsgefüge. Des Weiteren werden die Kongruenz (Passfähigkeit) des Vorhabens zu seinem Einzugsbereich (Vermeidung überörtlicher Wirkungen) und das Verbot der Beeinträchtigung benachbarter Orte und Nahversorgungslagen gefordert. Die beiden letzten Kriterien sind in der Regel einzelfallbezogen über Marktgutachten nachzuweisen.
Von der Grünen Wiese in die Zentren: Was es zu tun gibt
Die genannten Forderungen können und müssen im Rahmen der Raumordnung und Regionalplanung durch eine Konzentration der Standorte und deren Integration in vorhandene städtebauliche Strukturen umgesetzt werden, da die neuen Vorhaben zunehmend überörtliche Wirkungen entfalten.
Ziel muss dabei in erster Linie die Sicherung der wohnortnahen, dezentralen Nahversorgung vor allem mit den Gütern des täglichen Bedarfs sein. Das kommt den Bedürfnissen einer immer älter werdenden Bevölkerung ebenso entgegen wie Familien mit Kindern. Integrierte Lagen des Einzelhandels sind zu erhalten und zu stärken, damit nicht immer größere Bevölkerungsteile zum Einkauf auf die Nutzung motorisierter Verkehrsmittel und insbesondere das Auto angewiesen sind bzw. weite Wege zurücklegen müssen. Darüber hinaus geht es um die in den letzten Jahrzehnten mit Milliarden privater und öffentlicher Gelder attraktiv gestalteten Innenstädte. Allein das Land Baden-Württemberg hat z.B. zwischen 1974 und 2004 rund 4,7 Mrd. EURO Städtebaufördermittel zur Sanierung und Aufwertung der Ortskerne aufgewendet, die durch viele zusätzliche kommunale und private Mittel ergänzt wurden. Eine Verlagerung des Einzelhandels auf autoaffine Standorte auf der grünen Wiese würde diese Investitionen konterkarieren und die mit Handel, Dienstleistungen und Wohnen gemischt genutzten urbanen Ortskerne veröden lassen.
Die Raumordnung kann dieses durch die Ausweisung geeigneter Standorte als Ziel der Raumordnung und Ausschluss an anderen, ungeeigneten Stellen bewirken. Grüne-Wiese-Standorte sind von einer Ansiedlung auszunehmen. Stattdessen muss der großflächige Einzelhandel auf zentral gelegene, städtebaulich integrierte und bereits erschlossene Flächen (Industrie- und Gewerbebrachen etc.) gelenkt werden. Durch die Formulierung als Ziel der Raumordnung ist vorgegeben, dass die Festsetzungen nicht abwägungsfähig und daher von den Trägern der Bauleitplanung zu beachten sind, was als einzige Lösung anzusehen ist, durchgreifende und sanktionierbare Regelungen zu treffen.
Folgende Festsetzungen sind von Bedeutung:
- Im Sinne der Erhaltung einer verbrauchernahen Versorgung und zur Vermeidung von Fahrverkehr, sind im Rahmen der Bauleitplanung die innerörtlichen zentral und günstig zu Wohngebieten gelegenen Standorte des Einzelhandels zu fördern (Konzentrationsgebot und Integrationsgebot).
- Es ist eine für die Gemeinden angemessene und bedarfsgerechte Ergänzung mit Einzelhandelseinrichtungen in günstiger Zuordnung zu den Stadt- und Ortskernen grundsätzlich zulässig (Integrationsgebot).
- Bei der Standortwahl und der Verkehrserschließung von Einzelhandelseinrichtungen sind insbesondere Anforderungen von Behinderten, Familien mit Kindern und Senioren zu berücksichtigen. Die Standorte sollen für den Fußgänger- und Fahrradverkehr gut erschlossen und mit dem öffentlichen Personennahverkehr gut erreichbar sein (Taktzeiten!).
- Für großflächige und überörtlich wirkende Einzelhandelsbetriebe, Einkaufszentren, und sonstige großflächige Handelsbetriebe für Endverbraucher im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO 1990, die überörtliche Wirkungen entfalten (Einzelhandelsgroßprojekte), sowie die Erweiterung bestehender Einrichtungen sind die Standorte räumlich konkret festzulegen. Dabei ist eine Abstimmung mit den Kommunen erforderlich.
- Die Funktionsfähigkeit des zentralörtlichen Versorgungskerns der Standortgemeinde und anderer Zentraler Orte sowie die verbrauchernahe Versorgung dürfen dabei nicht beeinträchtigt werden (Kongruenzgebot und Beeinträchtigungsverbot). Dieses ist in der Regel im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens anhand einer Marktuntersuchung nachzuweisen.
- Für Einzelhandelsgroßprojekte mit nicht-zentrenrelevantem Sortiment (dazu ist eine Sortimentsliste darzustellen) sind ebenfalls Standorte festzusetzen. Zentrenrelevante Randsortimente sind dabei nur ausnahmsweise zuzulassen und zu begrenzen. Dieses dient der Absicherung einer Konzentration des Einzelhandels mit zentrenrelevanten Sortimenten in den integrierten Lagen und ist erforderlich, weil manche Handelsformen wie z.B. große Bau- und Gartenmärkte oder Möbelhäuser oft über großflächige Randsortimente verfügen, deren Dimension die Schwelle der Großflächigkeit nach § 11 Abs. 3 der BauNVO überschreiten und somit für sich nicht genehmigungsfähig wären.
Jenseits der Steuerungsmöglichkeiten der Raumordnung sollte darüber nachgedacht werden, städtebaulich integrierten, zentralen Standorten und Läden bei ihrer Gestaltung der Ladenöffnungszeiten mehr Freiheiten einzuräumen als Grüne-Wiese-Standorten.
Fazit
Zusammenfassend ist festzustellen, dass angesichts der Wettbewerbssituation im Einzelhandel zunehmend überörtliche Wirkungen feststellbar werden. Gleichzeitig finden Deregulierungen des Wettbewerbsrechts statt, die zu einer weiteren Verschärfung der Situation führen. Damit steigen die Herausforderungen für die Schaffung von volkswirtschaftlich verträglichen Investitionsmöglichkeiten bei Wahrung sozialer und ökologischer Standards.
In diesem Kontext ist die koordinierende Rolle der Regionalplanung prädestiniert, aber auch aufgefordert, zum Wohle der Allgemeinheit, zur Steigerung der Investitionssicherheit sowie der Steigerung der Planungssicherheit, nicht zuletzt im Interesse der Investoren aktiv zu werden. Sie kann und muss wesentliche Grundlagen wie ein differenziertes Instrumentenset für Güter des täglichen Bedarfs sowie Güter des wiederkehrenden Bedarfs aufstellen und anwenden.
Eine auch in Deutschland sehr bekannte, schwedische Möbelhauskette verfolgt in England inzwischen eine Strategie der kleinen Läden in der Stadt, weil die dortige Raumplanung sich für Ansiedlungen auf der Grünen Wiese nicht mehr erweichen lässt und konsequent auf Innenentwicklung setzt. Es geht also!
Experten
Dr. Dirk Vallée, Chefplaner Verband Region Stuttgart, vallee@region-stuttgart.org
Ulrich Kriese, Siedlungspolitischer Sprecher des NABU, Ulrich.Kriese@NABU.de