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Jetzt NABU-Mitglied werden!Die wahren Kosten des Bauens auf der grünen Wiese II
Unterschiedliche Interessen der Akteure verdecken die strukturelle Kostenfalle
Der anhaltende Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland führt zu bislang kaum zur Kenntnis genommenen zusätzlichen Kosten bei der öffentlichen Hand und den privaten Haushalten. Diese ergeben sich vor allem aus einer kontinuierlichen Ausweitung der mit öffentlichen Mitteln oder über Gebühren zu finanzierenden Infrastrukturen (z.B. Straßen, Wasser- bzw. Abwasserleitungen, Schulen, Kindergärten) bei stagnierender und in immer stärkerem Maße auch zurückgehender Bevölkerung. Dessen ungeachtet weisen viele Kommunen neue Wohngebiete in der Hoffnung aus, durch die damit verknüpften zusätzlichen Steuereinnahmen (Einkommensteuer, Grundsteuer, Schlüsselzuweisungen) eine deutliche Verbesserung ihrer kommunalen Haushaltslage zu erreichen.
Berechnungen für den Großraum Hamburg zeigen aber, dass sich neue Wohngebiete in den meisten Fällen für die kreisangehörigen Gemeinden bestenfalls als fiskalisch neutral erweisen. Zusätzliche Einnahmen und Ausgaben aufgrund eines Neubaugebietes halten sich in etwa die Waage, wobei in den ersten Jahren die zusätzlichen Ausgaben deutlich überwiegen. Neue Wohngebiete sind somit als Mittel der Haushaltssanierung in den meisten Fällen nicht geeignet. Der interkommunale Wettbewerb um Einwohner und Arbeitsplätze verliert damit eine seiner wichtigsten Begründungen. Eine kosteneffiziente Siedlungsentwicklung muss im gemeinsamen Interesse aller Beteiligten liegen, weil die ungebrochene Zunahme des Infrastrukturaufwandes pro Kopf erhebliche Finanzierungsrisiken birgt.
Die wesentlichen Handlungsfelder zur Reduktion des Kosten- und Flächennutzungsanstiegs sind die verstärkte, interkommunal abgestimmte Nutzung der in vielen Städten und Gemeinden vorhandenen erheblichen Innenentwicklungspotenziale, die Realisierung Flächen sparender Bauweisen und die Konzentration der Siedlungstätigkeit auf Gemeinden und Ortsteile mit bereits ausgebauter sozialer Infrastruktur. Eine weniger disperse Siedlungsentwicklung kann zudem einen wichtigen Beitrag zur Verminderung der Verkehrszunahme in den Stadtregionen bewirken.
Mehr Kostentransparenz ist notwendig
Die durch die Zersiedlung entstehenden Zusatzkosten sind oft nicht leicht erkennbar.
Die durch die Zersiedlung entstehenden Zusatzkosten sind durch die vielen beteiligten Kostenträger und gegenseitige Abhängigkeiten von Zahlungsströmen oft nicht leicht erkennbar. Notwendig ist eine bessere Transparenz über Höhe und Verursacher der Kosten. Die spezifischen Kosten pro Einwohner (oder pro Quadratmeter Geschossfläche) differieren in neu gebauten Wohngebiet erheblich. Wie Abbildung 1A bis 1C zeigen, bildet die realisierte Nutzungsdichte - hier dargestellt als realisierte Geschossflächenzahl (GFZ) - den entscheidenden Einflussfaktor für die spezifischen Kosten. So nimmt der Aufwand an technischer Infrastruktur (laufender Meter Straße, Wasser- bzw. Abwasserleitung) insbesondere im Dichtebereich von Gebieten mit freistehenden Einfamilienhäusern (realisierte Geschossflächenzahl (GFZ) etwa 0,1 bis 0,3) sprunghaft zu.
Steigende Kosten sind im allgemeinen kein ernsthaftes Problem, solange ihnen ein entsprechender Nutzen gegenübersteht und die entsprechenden Finanzmittel erwirtschaftet werden können. Die zunehmende Verschuldung der privaten, vor allem aber der öffentlichen Haushalte zeigt aber, dass die mit dem Flächenverbrauch einhergehende Ausweitung der Infrastruktur in zunehmendem Maße auch zu einem finanziellen Problem wird. So schlagen die neu errichteten Infrastrukturen für Siedlung und Verkehr nicht nur mit ihren einmaligen Herstellungskosten, sondern auch mit ihren langfristigen Betriebs- und Finanzierungskosten zu Buche. Das wird meist vergessen und nicht einkalkuliert.
Während zwischen 1993 und 2003 die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland um zwölf Prozent gewachsen ist, hat die Bevölkerung nur um etwa zwei Prozent zugenommen. Bleibt es bei der aktuellen Rate des Flächenverbrauchs, so kommen bis zum Jahr 2020 etwa 7.600 km2 Siedlungs- und Verkehrsfläche zum heutigen Bestand dazu. Dieser Zuwachs entspricht etwa der dreifachen Fläche des Saarlandes. Einer fast 19-prozentigen Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche steht im gleichen Zeitraum (2004-2020) aber nur ein Bevölkerungswachstum von 0,3 Prozent gegenüber (Variante 5 der 10. koordinierten Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes, 2003).
Selbst bei Realisierung des ambitionierten Reduktionszieles des Bundesregierung, die tägliche Neuinanspruchnahme von Flächen für Verkehr- und Siedlungszwecke auf 30 ha pro Tag im Jahre 2020 zu reduzieren, betrüge der Flächenverbrauch (Annahme: linearer Rückgang) bis 2020 immer noch etwa 4.500 km2. Damit läge die bis 2020 zusätzlich zu finanzierende Siedlungs- und Verkehrsfläche mit 11 Prozent vom Ausgangswert 2003 immer noch deutlich über dem Bevölkerungswachstum (+0,3 Prozent bis 2020). Das Verhältnis aus Kostenträgern (Einwohnern) und Kosten wird so immer ungünstiger.
Dies muss umso mehr beunruhigen, als sich durch die demografische Entwicklung der Anteil der Steuern und Einkommen generierenden Bevölkerung verkleinert. Interessant ist dabei zu bemerken, dass die in den USA seit vielen Jahren sehr intensiv geführte Debatte über die "Kosten der Zersiedlung" ("Cost of Sprawl") vor dem Hintergrund eines erheblichen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums stattfindet. Um so drängender stellt sich in der von Bevölkerungsrückgang und schwachem Wirtschaftswachstum geprägten Situation in Deutschland die Frage, ob die kontinuierliche Erweiterung der Infrastruktursysteme und Siedlungsflächen noch finanzierbar ist.
Das Dilemma der Infrastrukturplanung
Die Kosten der Flächeninanspruchnahme sind abhängig von Lage und Nutzungsdichte
Der überwiegende Teil neuer Wohnungen wird heute in nicht zentralen Orten gebaut. Das stellt die öffentliche Infrastrukturbereitstellung vor ein Dilemma: Hält sie an dem Ziel fest, soziale Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Sportanlagen wohnungsnah bereit zu stellen, kommt es durch die zunehmend disperse Verteilung von Angeboten und Nachfragern im Raum tendenziell zu einer Unterauslastung der Einrichtungen mit entsprechend hohen Kosten pro Nachfrager (Kindergartenkind, Schüler, Sportler etc.). Die demografische Entwicklung verschärft diese Problematik, insbesondere hinsichtlich der kostenintensiven Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche. Eine Fortsetzung der dispersen Siedlungsentwicklung bindet Mittel, die zur Qualitätsverbesserung im Bestand dringend gebraucht werden.
Will eine Kommune hingegen die spezifischen Kosten reduzieren und trotzdem an einer dispersen Siedlungsstruktur festhalten, dann ist sie gezwungen gegen das Versorgungsziel "wohnungsnah" zu verstoßen und den Bewohnern weitere Wege zu den Einrichtungen zuzumuten - mit entsprechenden Belastungen ihrer Bürger und Folgekosten im Verkehrsbereich . In den USA hat sich in diesem Zusammenhang inzwischen der Begriff "soccer mom" eingebürgert. Gemeint sind Mütter, die einen erheblichen Teil ihres Alltages mit "Taxidiensten" für ihre Kinder verbringen, da viele Einrichtungen in den zersiedelten Stadtlandschaften der amerikanischen Agglomerationen nur mit dem Auto erreichbar sind.
Wohngebiete in größerer Entfernung zu den Arbeitsplatzschwerpunkten und den sozialen Einrichtungen erzeugen deutlich mehr Autoverkehr (zurückgelegte Entfernung pro Tag und Bewohner) als Standorte in den zentralen Orten und den Siedlungsachsen. Beispielhaft zeigt Abbildung 2 die Verkehrserzeugung neuer Wohngebiete im Großraum Hamburg auf Basis einer umfangreichen Haushaltsbefragung in Neubaugebieten.
Von der Fixkostenfalle zur Instandhaltungskrise
Den Städten und Gemeinden droht mit der Erschließung von neuen Siedlungen eine Kostenfalle
In Deutschland werden pro Tag etwa 100 000 Quadratmeter neue Erschließungsstraßen für Siedlungserweiterungen gebaut - mit einem entsprechenden Erhaltungsbedarf für den Straßenoberbau und die Leitungsnetze. Dies ist insofern bemerkenswert, als viele Kommunen bereits heute nicht in der Lage sind, die für die Werterhaltung ihres Straßennetzes notwendigen Haushaltsmittel bereitzustellen.
Den Städten und Gemeinden droht somit eine strukturelle Kostenfalle. Gebaute Infrastruktur bindet Kapital und bedarf kontinuierlicher Erhaltungsinvestitionen, um einem vorzeitigen Wertverlust vorzubeugen. Auf diese Weise entstehen hohe "de facto"-Fixkosten, die den Spielraum für künftige Entscheidungen deutlich einschränken. Welche unangenehme Dynamik ein Auseinanderdriften der zu finanzierenden Infrastrukturen und der zur Verfügung stehenden Finanzmittel hat, zeigt die aktuelle Situation vieler stadttechnischer Versorger in den neuen Bundesländern.
Hier verbrauchen immer weniger Einwohner deutlich weniger Wasser oder andere Ressourcen, ohne dass die Fixkostenbelastungen der dafür vorhandenen Infrastrukturen spürbar zurückgehen. Die verbliebenen Bewohner werden für ihre Verbrauchseinsparungen durch regelmäßige Gebührenerhöhungen sogar regelrecht bestraft. Zwar ist diese Dynamik das Ergebnis einer besonderen Situation in Ostdeutschland nach der deutschen Vereinigung. Sie zeigt jedoch sehr deutlich die finanziellen Risiken, wenn eine konstante oder sogar rückläufige Bevölkerung ein immer aufwändigeres Infrastruktursystem finanzieren muss. Diese Gefahr kann als eine "Fixkostenfalle" beschrieben werden, die - sobald die Finanzmittel fehlen - in eine "Instandhaltungskrise" übergeht. Letztere ist in vielen, zum Teil sogar relativ wohlhabenden Kommunen heute schon Realität.
Wieviel Geld erhalten die Gemeinden wirklich?
Studie zur Prüfung der fiskalischen Effekte von Neubaugebieten
Unabhängig von der eben beschrieben "strukturellen Kostenfalle" aufgrund des immer größeren Infrastrukturbedarfs für immer weniger Menschen wird der fiskalische Nettoeffekt konkreter Neubauprojekte durch die Gemeinden sehr häufig überschätzt. So wurden in einer Studie am Beispiel der Gemeinden des Großraums Hamburg und der kreisfreien Städte Kiel und Hannover die fiskalischen Wirkungen neuer Wohngebiete modellhaft überprüft. Jedem möglichen Standort in der Region wurde dazu die (aus den Baufertigstellungsstatistiken der zurückliegenden Jahre abgeleitete) "ortstypische Bebauung" zugeordnet und die für die gebietsausweisende Gemeinde haushaltsrelevanten fiskalischen Wirkungen bilanziert. Die Tabelle (siehe unten) zeigt eine Zusammenstellung dieser fiskalischen Wirkungen sowie das Gesamtergebnis für das jeweils günstigste und ungünstigste Szenario.
Tabelle: Fiskalische Bilanz neuer Wohngebiete für die gebietsausweisenden Kommunen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein
"Ungünstigster Fall": ohne Abschluss von Erschließungs- und Folgekostenverträgen, alle Bewohner des neuen Wohngebiets ziehen zusätzlich in die Gemeinde. "Günstigster Fall": Abschluss von Erschließungs- und Folgekostenverträgen, alle Bewohner des neuen Wohngebiets haben bereits in der Gemeinde gewohnt und wären sonst abgewandert. Abweichungen zwischen Summe der Einzelwerte und Bilanzen aufgrund der Rundung aller Werte von 10 EUR-Schritte. "Ortstypisches Wohngebiet" meint eine städtebauliche und soziale Struktur, die sich aufgrund des Bodenpreises im Durchschnitt in entsprechenden Lagen einstellt. In Niedersachsen sind die Zahlungen zum Familienleistungsausgleich in den Zuweisungen des Kommunalen Finanzausgleichs enthalten.
Auf der Einnahmenseite schlägt zunächst die Grundsteuer zu Buche. Die Einnahmen liegen hier - trotz der im Mittel kleineren Grundstücke - bei den Kernstädten aufgrund der Hebesätze und der Einheitswerte i.d.R. etwas höher als im Umland.
Wichtigste zusätzliche Einnahmequelle der Gemeinden bei neuen Wohngebieten ist der kommunale Anteil an der Einkommensteuer. Für deren Veränderung ist jedoch nicht die real von den Bewohnern des neuen Wohngebiets bezahlte Einkommensteuer relevant, sondern vielmehr der Wert, um den diese zusätzlichen Steuerzahler die sogenannte Schlüsselzahl der Gemeinde verändern. Die Schlüsselzahl einer Gemeinde legt deren Anteil bei der landesweiten Verteilung des kommunalen Anteils an der Einkommensteuer fest. Da sie durch das jeweilige Innenministerium aber nur alle drei Jahre neu festgesetzt wird und zudem die Festlegung aufgrund des komplizierten Steuersystems stets auf relativ weit zurückliegende Daten zurückgreift, wirkt sich der Zuzug eines Steuerzahlers erst nach sechs bis acht Jahren auf die Schlüsselzahl (und damit die Einnahmen der Gemeinde) aus. Aus diesem Grunde sind alle Angaben in Abbildung 3 (nicht nur zu den kommunalen Einnahmen aus der Einkommensteuer) jeweils als Annuitäten über einen Zeitraum von 25 Jahren mit einem rechnerischen Zinssatz von vier Prozent dargestellt.
Kürzere Betrachtungszeiträume und höhere Zinssätze führen zu einem etwas schlechteren, längere Betrachtungszeiträume und niedrigere Zinsen zu einem etwas günstigeren Ergebnis, ohne die nachfolgenden Kernaussagen zu verändern. Die zusätzlichen kommunalen Einnahmen aus der Einkommensteuer durch die Bewohner neuer Wohngebiete ist in den Kernstädten aufgrund der höheren Einkommen etwas höher als im Umland. Die Unterschiede sind aber fast vernachlässigbar. Zusätzlich erhalten die Gemeinden gewisse Zuweisungen im Rahmen des sogenannten Familienleistungsausgleichs. Diese sind in Schleswig-Holstein an die zusätzlichen Einnahmen aus der Einkommensteuer gekoppelt. In Niedersachsen werden sie über die Schlüsselzuweisungen des Kommunalen Finanzausgleiches verteilt.
Die zeitlichen Schwankungen der Zahlungsströme bei der Einkommensteuer finden bei den Zuweisungen des Kommunalen Finanzausgleichs ihr Echo, da dieser jedes Jahr die Steuerkraft der Gemeinden einem normierten Finanzbedarf gegenüberstellt. Ein Neubaugebiet erhöht sowohl den Finanzbedarf (durch zusätzliche oder gehaltene Einwohner) als auch die Steuerkraft (durch die zusätzlichen Einnahmen aus der Grundsteuer und - zeitverzögert - aus der Einkommensteuer). In den meisten Fällen ist die Bilanz für die Gemeinden dabei positiv, d.h. der ihnen zugeschriebene Finanzbedarf steigt schneller als die Steuerkraft, so dass sie für das Neubaugebiet zusätzliche Schlüsselzuweisungen erhalten. Die Höhe der Zuweisungen ist vor allem von ihrer Verwaltungsform und ihrer Größe abhängig. Kreisfreie Städte erhalten deutlich höhere Zuweisungen, da im kreisangehörigen Umland die Zuweisungen für Kreisaufgaben an die Landkreise gehen. Mitgliedsgemeinden von Samtgemeinden in Niedersachsen erhalten keine Zuweisungen.
Was sind die wahren Kosten?
Kostenfaktoren werden bei der Ausweisung oft nicht berücksichtigt
Den zusätzlichen Einnahmen der Kommunen aufgrund eines Neubaugebietes stehen aber auch zusätzliche Ausgaben gegenüber. So verbleiben bei der Baulandbereitstellung bestimmte Anteile der Kosten bei der Gemeinde. Dies sind zum einen die Gemeindeanteile der beitragsfähigen Erschließungskosten und zum anderen die nicht beitragsfähigen Kosten, z.B. für die äußere Verkehrserschließung. Eine Auswertung kommunaler Kostenangaben zu etwa 200 Neubaugebieten in Norddeutschland ergab, dass kleine Neubaugebietsprojekte sowie Gebiete in örtlicher Randlage pro Wohneinheit höhere (nicht beitragsfähige) äußere Erschließungskosten aufweisen als größere und integriert gelegene Neubaugebiete. Zudem steigt der Aufwand der Erschließung insgesamt im Dichtebereich von Einfamilienhausgebieten (realisierte GFZ 0,15 bis 0,30) fast exponentiell an (vgl. Abbildung 1). Entsprechend höhere Kosten entstehen in den "ortstypischen" Neubaugebieten der Umlandgemeinden.
Die größte Ausgabenposition sind die zusätzlichen laufenden Ausgaben im Verwaltungshaushalt für die Aufgaben, welche die Gemeinde in eigener Leistungserstellung erbringt (d.h. die nicht über die Umlagen an Samtgemeinde, Amt oder Kreis finanziert werden). Die in Abbildung 3 dargestellten Werte berücksichtigen dabei nur die kommunalen Aufgaben, für die eine zusätzliche Nachfrage durch das Neubaugebiet erwartet werden kann (z.B. Personal- und Betriebskosten für Kindergarten, Schule oder Straßenbeleuchtung und -reinigung). Beim Vergleich der Gemeindetypen zeigt sich deutlich der unterschiedliche Grad der eigenen Leistungserstellung. Dieser ist naturgemäß in den kreisfreien Gemeinden (die umgekehrt keine Kreisumlage entrichten) am höchsten. Die angegebenen Werte enthalten dabei mögliche "Spill-Over-Vorteile" der kleineren Gemeinden, d.h. sie nutzen die Einrichtungen anderer Gemeinden mit ohne sich an den Kosten zu beteiligen. Ausgaben für soziale Hilfen wurden nicht angesetzt, d.h. es wurde unterstellt, dass die Bewohner des Neubaugebiets nie Sozialhilfe oder ähnliche kommunale Leistungen in Anspruch nehmen. Trifft diese Annahme nicht zu, verschlechtert sich die Gesamtbilanz des Neubaugebiets gegenüber den Werten in Abbildung 3.
Die Ausgabenposition "Eigene Einrichtungen" in Abbildung 3 steht für die investiven Ausgaben der Kommunen beim Neu- oder Ausbau sozialer Infrastruktureinrichtung in eigener (oder durch sie bezuschusster) Trägerschaft. Der Bedarf zum Ausbau dieser Einrichtungen (z.B. Kindergärten, Schulen und Turnhallen) ist insbesondere dann gegeben, wenn eine Gemeinde einen starken Zuzug erfährt. Vor allem generative Nachfragespitzen, die durch ein - im Verhältnis zur Restgemeinde - großes Neubaugebiet entstehen ("plötzlich viele Kinder") zwingen die Gemeinde aufgrund der Betreuungs- und Bildungsansprüche der Familien zu entsprechenden Kapazitätsausweitungen, die nicht selten später unterausgelastet weitere Folgekosten verursachen. Eigenentwicklungsstrategien, d.h. ein behutsamer Neubau mit dem Ziel der Verhinderung von Abwanderung und dem Erhalt einer möglichst homogenen generativen Entwicklung in der Gemeinde, können die in Abbildung 3 dargestellten Kostenwerte vermeiden. Die dargestellten Werte berücksichtigen zusätzlich die Wahrscheinlichkeit einer kommunalen Trägerschaft der betroffenen Einrichtungen (diese ist in kleinen Gemeinden geringer) sowie die Wahrscheinlichkeit, mit der die vorhandenen Einrichtungen Unterauslastungen aufweisen. Letzteres ist vor allem in den Kernstädten häufig gegeben.
Letzte zusätzliche Ausgabenposition sind die Umlagen an Kreis, Amt oder Samtgemeinde, so die Gemeinden Mitglieder der entsprechenden Verwaltungseinheiten sind. Die zusätzlich zu zahlenden Umlagen sind in aller Regel von den zusätzlichen Einnahmen abhängig, so dass sich auch hier die oben dargestellten zeitlichen Schwankungen ergeben. Mögliche planungsbedingte Bodenwertgewinne der Gemeinden sind in der Aufstellung in Abbildung 3 nicht enthalten, da nur noch wenige Gemeinden finanziell in der Lage sind, eine entsprechende Bodenbevorratungspolitik zu betreiben.
Die Bilanz der Effekte
Fiskalischer Nettoeffekt neuer Wohngebiete für die Gemeinden geringer als oft angenommen
Bilanziert man die zusätzlichen Einnahmen und Ausgaben, so lässt sich ein "günstigster" und ein "ungünstigster Fall" konstruieren (vgl. Summenzeilen in Abbildung 3). Im günstigsten Fall kann die Gemeinde ihren kommunalen Anteil an den Erschließungskosten und die investiven Folgekosten zum Ausbau der eigenen Einrichtungen auf einen Investor abwälzen (oder durch eine behutsame Innenentwicklungs- und Eigenentwicklungspolitik, die starken Zuzug vermeidet, von vornherein minimieren).
Im ungünstigsten Fall muss sie alle aufgezeigten zusätzlichen Ausgaben tragen.
Die beiden Fälle spannen somit die Marge der wahrscheinlichen fiskalischen Bilanz eines Neubaugebietes in der jeweiligen Gemeinde auf. Grob zusammengefasst zeigt sich dabei,
- dass die fiskalische Gesamtbilanz neuer Wohngebiete in den kreisangehörigen Gemeinden in der Größenordnung von "plus minus Null" liegt;
- dass sich in den kreisfreien Städten positive fiskalische Bilanzen ergeben;
- dass neue Wohngebiete selbst in sehr finanzstarken ("abundanten") Gemeinden nicht selten zu fiskalisch negativen Gesamtwirkungen führen (Effekt in Abbildung 3 nicht dargestellt);
- im kreisangehörigen Umland die realen fiskalischen Wirkungen damit deutlich unter den häufig von kommunalen Entscheidern geäußerten fiskalischen Wirkungserwartungen liegen;
- dass die fiskalischen Bilanzen ggf. sogar noch negativer sind, da - wie dargestellt - in Abbildung 3 u.a. angenommen wurde, dass die Bewohner im Betrachtungszeitraum (25 Jahre) nie Sozialhilfe und ähnliche kommunale Leistungen in Anspruch nehmen.
Die Ausweisung neuer Wohngebiete führt in den kreisangehörigen (Umland-)Gemeinden somit in vielen Fällen nicht zu einem positiven fiskalischen Gesamtsaldo. Da sich die Einnahmen aus der Einkommensteuer, der wichtigsten zusätzlichen Einnahmequelle, aufgrund der verzögerten Anpassung der mit ihrer Verteilung auf die Gemeinden verknüpften Schlüsselzahlen erst nach etwa sieben Jahren einstellen, sind kurzfristigere Bilanzen in jedem Fall negativer als die in Abbildung 3 genannten Werte für einen Zeitraum von 25 Jahren.
Wer verdient am Siedlungsbau?
Unterschiedliche Interessen der Akteure verschleiern die Kostenwahrnehmung
Die durch Zersiedlung und steigende Infrastrukturmenge entstehenden Kosten verteilen sich in sehr unterschiedlicher Weise auf die einzelnen Akteure. Dies wird bei der Ausweisung neuer Wohngebiete besonders deutlich, auf die ganz verschiedene Interessen Einfluss nehmen. So wollen zum Beispiel Grundstücksbesitzer einen guten Verkaufspreis erzielen, Projektentwickler ein gutes Geschäft machen, spätere Wohnungskäufer und -mieter bestimmte Wohnvorstellungen realisieren und die Gemeinde - so zumindest die Hoffnung - über die Ansiedlung von Einwohnern und Arbeitsplätzen in ihrem Gemeindegebiet eine strukturelle Verbesserung der Haushaltslage herbeiführen. Im Geflecht dieser und anderer Einzelinteressen gerät die langfristige Kostenentwicklung aus dem Blick.
Eine Studie im Auftrag der Österreichischen Raumordnungskonferenz beziffert die durch ein ungeordnetes Siedlungswachstum in Österreich zusätzlich entstehenden Kosten im Bereich der technischen Infrastruktur auf jährlich 145 Millionen Euro (ca. 15 Prozent des Gesamtinvestitionsvolumens). Die Studie zeigt, dass bei einer genauen Bilanzierung nur etwa 37 Prozent dieser Mehrkosten durch die privaten "Häuslebauer" getragen werden, der Rest von der öffentlichen Hand, das heißt der Gesamtheit der Steuerzahler. Dies belegt einmal mehr, wie wichtig es ist, auf eine bessere Kostentransparenz der Siedlungsentwicklung hinzuarbeiten und die identifizierten Kosten dann verursachergerecht anzulasten.
Experten
Ihre Ansprechpartner
Dr.-Ing. Jens-Martin Gutsche, Gertz Gutsche Rümenapp - Stadtentwicklung und Mobilität, Hamburg, Gutsche@Gertz-Partner.de
Stefan Flaig, Ökonsult Stuttgart, Flaig@Oekonsult-Stuttgart.de
Links & Literatur
LINKS
Gertz Gutsche Rümenapp - Stadtentwicklung und Mobilität
http://www.gertz-partner.de/
Technische Universität Hamburg-Harburg. Arbeitsbereich Verkehrssysteme und Logistik.
http://www.vsl.tu-harburg.de/
Österreichische Raumordnungskonferenz
http://www.oerok.gv.at/
Forschungsprojekt "Siedlungsentwicklung und Infrastrukturfolgekosten" des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung
http://www.bbr.bund.de/aufbau-ost/infrastruktur/infrastruktur_index.html
LITERATUR
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Gutsche, J.-M. (2003): Verkehrserzeugung potenzieller Standorte für neue Wohngebiete im Großraum Hamburg. ECTL-Working Paper Nr. 23. Hamburg. Download: www.vsl.tu-harburg.de/index/wps_html
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