Am Unteren Niederrhein ist ein wichtiges Brutgebiet für den stark gefährdeten Kiebitz – doch auch hier lauern viele Gefahren. Bitte helfen Sie dabei, die Kinderstuben des kleinen Vogels zu schützen!
Jetzt spenden!Fliegende Spürnasen
Sherlock, der Truthahngeier wird zum Leichensucher ausgebildet
von Christina Selzer, Deutschlandradio Kultur
Gerade hat German Alonso vor einem großen Publikum eine beeindruckende Flugshow präsentiert. Die Show im Weltvogelpark Walsrode ist ein tägliches Spektakel, das kein Besucher verpassen will. Greifvögel fliegen haarscharf über die Köpfe der kreischenden Zuschauer hinweg. Bunte Papageien flattern wild durcheinander, um dann auf Kommando auf dem Unterarm des Vogeltrainers zu landen. Inzwischen sind die Vögel wieder eingefangen und Alonso steht vor den Käfigen hinter den Kulissen. Hier wohnen die Vögel, wenn sie nicht gerade in einer Show auftreten. Auch die drei Truthahngeier Colombo, Miss Marple und Sherlock. Ihre Namen weisen schon darauf hin, dass sie beim Lösen von Kriminalfällen einmal in sehr große Fußstapfen treten werden. Während Colombo und Miss Marple aber noch am Anfang ihrer Ausbildung sind, hat Sherlock schon Erfahrung.
Vögel könnten Polizeieinsätze effizienter machen
Der Geier sitzt in seinem großen Verschlag und lugt vorsichtig über die Bretterwand. Okay, eine Schönheit ist er nicht mit seinem kahlen, roten Kopf, dem etwas schlabberigen Hals und dunklem Gefieder. „Hallo Sherlock, wir haben Besuch!“ Alonso macht die Tür des Käfigs auf, hält einladend seinen Arm hin, der Geier hüpft drauf. Ein Lederriemen um seine Krallen verhindert, dass er wegfliegen kann. Sherlock flattert aufgeregt mit seinen Flügeln. Alonso beruhigt ihn mit sanfter Stimme und trägt ihn auf den Trainingsplatz.
Truthahngeier stammen aus Südamerika. Sie haben einen ausgeprägten Geruchssinn und können Aas kilometerweit riechen. Der Leiter des Landeskriminalamtes in Hannover, Rainer Herrmann, hatte einen Tierfilm darüber gesehen und kam auf die Idee, dass man diese Geier auch einsetzen könnte, um menschliche Leichen zu finden. Den Job machen normalerweise Spürhunde. Doch Hunde müssen oft Pausen machen. 100 Quadratmeter maximal können sie pro Tag absuchen. Ein Geier könnte ein viel größeres Terrain überfliegen und dadurch für die Polizeiarbeit effektiver sein, so die Idee, die einige verrückt fanden. Doch der Vogeltrainer German Alonso fand sie interessant und ist seitdem dabei, den Geier zu trainieren.
Kloppen wie die Kesselflicker
Alonso hat, bevor er Sherlock aus seinem Stall geholt hat, einen Köder in einem Rasenloch versteckt. Es ist eine Stoffratte, an ihr ist ein gelber Plastikbecher befestigt. Darin steckt ein Stofflappen mit menschlichem Leichengeruch. Den bekommt er regelmäßig vom LKA.
Sherlock löst seine Aufgabe schnell. Er landet über auf dem Rasen und stapft suchend im Gras herum. Schon nach kurzer Zeit hat er das Loch mit der versteckten Beute entdeckt. Seine Belohnung: Ein Stück Fleisch. Doch Alonso macht sich keine Illusionen: „Wahrscheinlich hat das nicht nur etwas mit Riechen zu tun, sondern er weiß, wenn er lange genug herumläuft und guckt, findet er seine Beute.“ Bisher hat der Geier noch nicht gelernt, die Witterung aus der Luft aufzunehmen. Dazu braucht er normalerweise seine Artgenossen. Truthahngeier sind nämlich keine Einzelgänger. Deshalb hat Sherlock ja auch Gesellschaft bekommen: Miss Marple und Columbo sollen später mit ihm gemeinsam Leichen aufspüren. Das Dreierteam funktioniert aber leider noch nicht. Weil sie mit der Hand aufgezogen wurden, ist der Trainer ihre Bezugsperson. Also beißt ein Geier den anderen weg, um den Trainer für sich allein zu haben. „Sie kloppen sich wie die Kesselflicker“, schimpft German Alonso, „das ist ein echtes Problem“. Noch ist außerdem nicht klar, ob die Vögel im Einsatz später tote Menschen aufspüren oder ob sie vielleicht vom Geruch verendeter Tiere angezogen werden. Im Training ist es jedenfalls schon vorgekommen, erzählt Alonso grinsend, dass Sherlock ausbüchste und erst Stunden später im Gebüsch gefunden wurde, wie er eine halb verweste Amsel verspeiste.
Weil Sherlock aus Walsrode aber eine Berühmtheit ist, kommen sogar aus dem Ausland schon Anfragen. Kriminologen wollen sich die fliegende Spürnase für die Leichensuche ausleihen. Doch bis es soweit ist, kann es noch Jahre dauern. Ob es überhaupt klappt und nicht bloß eine verrückte Idee ist – das muss Sherlock noch beweisen.
Der Beitrag entstand im Rahmen der großen Vogelschau vom 9. bis 14. Mai 2011 auf Deutschlandradio Kultur.