Wiederkehr der Saiga-Antilope
Die Überlebenskünstler sind noch immer bedroht
Bereits während der letzten Eiszeit bevölkerten Saiga-Antilopen zusammen mit den Mammuts die Erde. Auch in Mitteleuropa kamen sie vor. Heute sind die winterkalten Steppen und Halbwüsten Zentralasiens ihre Heimat. Um 1990 lebten noch mehr als eine Million von ihnen in den Steppen Kasachstans. In den folgenden Jahren brach ihr Bestand jedoch förmlich ein: Der massive Anstieg von Wilderei in der Region führte dazu, dass in den frühen 2000er Jahren nur noch zwischen 30.000 und 40.000 Tiere in den Steppen Kasachstans lebten. In den letzten Jahren haben sich verschiedene Populationen in unterschiedlichem Maße wieder erholt. Wir begeben uns auf die Spuren dieser Entwicklung und geben Einblicke in das NABU-Projekt „Gemeindebasierter Schutz der Saiga-Antilope“.
Die Saiga-Antilope im Wandel der Zeiten
Die Saiga kam auch nach der Eiszeit noch in Mittel- und Osteuropa vor. In der Ukraine starb sie im 18. Jahrhundert aus. Heute leben sie nur noch in fünf voneinander isolierten Gebieten: in der Mongolei, in Russland, Kasachstan und Usbekistan. Tatsächlich waren die Saigas bereits Anfang des 20. Jahrhunderts beinahe ausgerottet. Dank strenger Schutzmaßnahmen erholten sich die Bestände jedoch. In der Zeit der Sowjetunion wurden Saigas intensiv zur Fleischproduktion genutzt und in manchen Gebieten als sogenannte Landwirtschaftsschädlinge bewusst reduziert.
Auch Massensterben durch Extremwetter – wie starken Schneefall und Eisbildung – sowie Krankheiten und vermutlich weitere Ursachen führten in der Vergangenheit mehrfach zu Bestandseinbrüchen. Dank ihrer hohen Vermehrungsraten konnten sich die Saiga-Bestände stets weitgehend erholen. Denn Saigas können schon im ersten Lebensjahr trächtig werden. Ab dem zweiten Lebensjahr bringen die Weibchen meist Zwillinge zur Welt.
Saigahorn: beliebtes Gut auf dem Schwarzmarkt
Nach dem Ende der Sowjetunion sind die riesigen Saigaherden innerhalb weniger Jahre verschwunden. Steppen und Halbwüsten verwaisten. Was war geschehen? Ein Faktor: Die Armut in den ehemals sowjetischen Ländern stieg rapide an und mit ihr die Wilderei, etwa in Kasachstan. So töteten Wilderer Saiga-Antilopen in Massen, vor allem um an die Hörner der Böcke zu gelangen. Das Saigafleisch wurde auf den lokalen Märkten verkauft, während die Saigahörner nach China gingen. Die Nachfrage nach Saigahörnern für die traditionelle chinesische Medizin (TCM) war enorm und ist es auch heute noch. Zu Pulver zermahlen werden Saigahörner als Medikament eingesetzt. Für ein Kilo Horn wurden auf dem Schwarzmarkt umgerechnet bis zu 350 Euro erzielt. Auf diese Weise wurden die männlichen Saigas derart reduziert, dass ihr Nachwuchs ausblieb. Mit einem Rückgang von über 90 Prozent in nur einem Jahrzehnt gehörte die Saiga-Antilope zu den am stärksten bedrohten Tierarten weltweit!
Kommt jetzt die Trendwende?
Die Population in Zentralkasachstan erlebte 2015 ein erneutes Massensterben, bei dem etwa 200.000 Tiere, rund 85 Prozent der damaligen Gesamtzahl, starben. Dank intensiver Schutzmaßnahmen der Regierung, unterstützt durch lokale und internationale NGOs, wie den NABU, konnten sich die Saiga-Bestände in den letzten Jahren jedoch erholen. Laut aktueller Zahlen, die ein Monitoring-Team ermittelt hat, leben nun wieder ähnlich viele Saigas in der Region wie vor dem letzten Massensterben. In der größten Population, am Ural, soll es Anfang 2021 sogar wieder mehr als eine halbe Million Tiere gegeben haben: ein großartiger Erfolg für den Naturschutz, der zugleich neue Herausforderungen mit sich bringt.
Aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze
Heute fürchten viele Landwirt*innen Schäden durch Saiga-Antilopen in ihren Getreidefeldern sowie die Futterkonkurrenz mit ihren Haustieren. Forderungen nach „Bestandsregulierungen“, also massenhaftem Abschuss der Saiga-Antilopen, werden lauter. Es besteht die Gefahr, dass die Saiga in der öffentlichen Wahrnehmung nun von einer streng geschützten Seltenheit zu einem zu bekämpfenden „Schädling“ wird.
Konzepte, die diese Konflikte abmildern, werden dringend benötigt. Dazu zählen nachhaltige Nutzungsoptionen für Landwirt*innen und die lokale Bevölkerung, um Anreize zu schaffen, die Saiga-Antilopen zu tolerieren – und schließlich langfristig zu schützen. Genau darauf baut unser gemeindebasierte Ansatz in der der Ustyurt-Region im Südwesten Kasachstans an der Grenze zu Usbekistan. Die in der Ustyurt-Region lebenden Herden gehören zu den kleinsten und verwundbarsten. Noch 2015 wurden sie auf nur noch maximal 1.300 Tieren geschätzt.
Hirt*innen und Wilderer werden zu Saigaschützer*innen
Der NABU arbeitet mit seinen Expert*innen seit 2015 in der Ustyurt-Region, um die Saiga-Antilope hier vor dem Aussterben zu bewahren. Die Regierung allein kann die Saiga-Antilope nicht erhalten: Staatliche Wildhüter können die riesigen Weiten nicht effektiv kontrollieren. Was tun wir also konkret? Wir gewinnen die Bewohner*innen der wichtigsten Ustyurt-Dörfer als Verbündete und beraten sie, wie sie anerkannte Wildtierschutzvereine zum Schutz der Saiga-Antilope gründen und selbst Ranger*innen ausbilden können. Als Sofortmaßnahme rüsten wir diese Wildhüter*innen mit Fahrzeugen, Ferngläsern und GPS-Geräten aus. Wir unterstützen sie auf ihren Patrouillen, indem wir Schutzhütten bauen und einrichten. Die Mitglieder der gemeindebasierten Gruppen tragen einen großen Teil der Kosten selbst, vor allem indem sie unbezahlt „ihre“ Saiga-Antilopen vor Wilderei schützen.
Die Menschen vor Ort möchten die Saiga-Antilope als wichtigen Teil ihrer kulturellen Identität erhalten und erhoffen sich für die Zukunft auch wirtschaftlichen Nutzen davon. Sobald sich die Bestände erholt haben, soll gemeinsam ein System entwickelt und den kasachischen Naturschutzbehörden vorgeschlagen werden, welches dafür sorgt, dass die Menschen, die mit der Saiga zusammenleben und sie und ihren Lebensraum erhalten, auch finanziell profitieren. Dies kann zum Beispiel Ökotourismus beinhalten, aber auch eine legale und regulierte, nachhaltige jagdliche Nutzung der wiedererstarkten Saigaherden.
Die Artenschutzarbeit vor Ort hilft nicht nur einer der ältesten Säugetierarten der Welt, sie bewahrt auch das Ökosystem „Steppe“ vor Degradierung, denn die Steppe braucht die grasenden Herden. Die Huftiere düngen sie, verbreiten Pflanzensamen und halten sie kurz. Damit ermöglichen sie Greifvögeln, wie dem gefährdeten Sakerfalken, ihre Beute auszumachen. Auch den Flughühnern ermöglichen sie so einen idealen Lebensraum.
Die Zukunft der Saiga-Antilope
Trotz lokaler Erfolge in den vergangenen Jahren sind die Gefahren für die Saigas nicht gebannt. Noch immer gefährdet Wilderei die kleinen Populationen in Russland, der Mongolei und der Ustyurt-Region in Kasachstan sowie Usbekistan. Die Mongolische Saiga ist zudem durch Übertragung von Haustierseuchen und Lebensraumzerstörung durch intensive Viehweide bedroht. Bahntrassen, Straßen und Grenzzäune behindern die Wanderungen der Saigas. Felder, Bergbau und die Förderung von Erdöl und Erdgas verkleinern ihren Lebensraum. Neue Bauprojekte, die bereits in Planung sind, und weitere Öl- und Gasgebiete, die in der Heimat der Saiga erschlossen werden, sind eine wachsende Gefahr.
Auch in Zukunft wird es auf die enge und ambitionierte Zusammenarbeit zwischen Naturschützer*innen und den Menschen vor Ort ankommen, um diese faszinierende Tierart zu schützen. Nur dann haben die Saiga-Antilopen in Zentralasien eine Zukunft.
Das Projekt „Gemeindebasierter Schutz der Saiga-Antilope und anderer Arten durch Entwicklung dörflicher Wildschutzvereine in Kasachstan“ wird vom Bundesumweltministerium mit Mitteln des Beratungshilfeprogramms (BHP) für den Umweltschutz in den Staaten Mittel- und Osteuropas, des Kaukasus und Zentralasiens sowie weiteren an die Europäische Union angrenzenden Staaten gefördert und vom Bundesamt für Naturschutz und dem Umweltbundesamt begleitet. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.
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